Gerd Lippold: Sie versuchen, sich das von diesen Leuten und ihren Wanderpredigern aufgebaute und gepflegte Protestpotenzial einzuverleiben.

Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zum Antrag der Fraktion AfD "Moratorium für Windkraftanlagen im Freistaat Sachsen" (Drs 6/2009)
17. Sitzung des Sächsischen Landtags, 9. Juli 2015, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Sie wünschen sich also ein Moratorium für den weiteren Ausbau der Windenergie in Sachsen, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion.
2014 gingen in Sachsen 14 Windenergieanlagen ans Netz. Die Gesamtzahl der Anlagen in Sachsen ging dabei gegenüber 2013 sogar um etliche Anlagen zurück, weil mehrere alte Anlagen im Rahmen des Repowering am selben Standort durch wenige moderne, leistungsstärkere Anlagen ersetzt wurden.
Damit fängt die handwerkliche Schluderei in diesem Zweisatzantrag, die wir ja von Ihrer Fraktion inzwischen gewohnt sind, schon mal an.
Meinen sie den Neubau von Anlagen, meinen sie das Repowering, meinen sie neue Standorte, meinen sie die Gesamtzahl der Anlagen, meinen sie die installierte Erzeugungskapazität? Das ist Ihnen wahrscheinlich völlig egal, solange das am Stammtisch gut klingt: „Moratorium!“
Ich verstehe Ihre Forderung mal so, dass Sie in Sachsen keine weiteren Windenergieanlagen mehr errichtet sehen wollen. Sie meinen, das sei notwendig, weil  kein „rechtssicherer Nachweis“ erbracht sei, dass – ich zitiere – „…durch den Betrieb von Windenergieanlagen keine, nach den gesetzlichen Rechtsnormen des Freistaates Sachsen unzulässigen Beeinträchtigungen für Menschen und Tiere ausgehen.“ Nachdem sich das Schaudern über den Gebrauch der deutschen Sprache, der Ihrer Partei doch immer so wichtig ist, gelegt hat, kommen wir mal zum Kern.
Sie meinen also, solange nicht mit abschließender Sicherheit wissenschaftlich geklärt sei, dass keine Beeinträchtigungen auftreten können, dürfe man solche Anlagen nicht genehmigen?  Nun ja, das müsste man dann ja grundsätzlich für alle genehmigungspflichtigen Anlagen fordern, nicht wahr? 
Wer in der Bundesrepublik eine genehmigungsbedürftige Anlage errichten möchte, der muss heute ein aufwändiges Genehmigungsverfahren auf Grundlage des Bundesimmissionschutzgesetzes mit seinen Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften durchlaufen, oberhalb gewisser Schwellen auch eine umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfung.
Vorrangiges Ziel ist dabei die Begrenzung von Emissionen. Die gesetzliche Begrenzung von Emissionen ist immer ein Eingriff in die Handlungs-, namentlich die Gewerbefreiheit. Folglich dürfen sie nicht „um ihrer selbst willen“ begrenzt werden, sondern nur – nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip – analog zu ihrer Schädlichkeit, das heißt ihrer konkreten Einwirkung auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit.
Nun ist dazu keine abschließende wissenschaftliche Erkenntnis zu erwarten – einfach weil wissenschaftliche Erkenntnis nie abschließend ist. Wenn Sie solch abschließende und damit rechtsichere Erkenntnis wirklich für möglich halten, dann warte ich schon auf Ihren Antrag zu einem Moratorium für überflüssig gewordene Forschungsfinanzierung.
Aber der Mangel an abschließenden Erkenntnissen ist – weil allgegenwärtig – vom Gesetzgeber natürlich berücksichtigt worden. Deshalb ist der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach dem BImSchG eben nicht auf ewig vor neuen Anforderungen an die immissionsschutzrechtliche Sicherheit gefeit. Es können auch nach der Genehmigung Anordnungen getroffen werden, um die Betreiber-Grundpflichten des BImSchG durchzusetzen.
Eine allgemeine Betreibergrundpflicht zitiere ich aus §5 Satz 1 BImSchG:“ Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.“
Es bedarf somit keiner Moratorien zu Technologien, die zum Genehmigungszeitpunkt genehmigungsfähig sind, weil man neue Erkenntnisse zu schwerwiegenden Gefährdungen auch später noch über nachträgliche Anordnungen berücksichtigen kann.
Diese Regelungen sind sinnvoll und haben sich überall in der Industrie so bewährt. Würde man das anders halten, dann dürfte man nämlich gar nichts mehr genehmigen. Mit der Logik, jede Anlage zu verbieten, bei der nicht mit letzter Sicherheit  – anstatt mit der Sicherheit des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik – Schutz vor Beeinträchtigungen besteht, würden wir jetzt noch auf den Bäumen hocken und mit Nüssen werfen, meine Damen und Herren, was ja nicht der Fall ist. Allerdings schwindet da meine Gewissheit,  wenn ich mir so den letzten AfD-Parteitag in Erinnerung rufe.
Angesichts dessen, was da an Ungeheuerlichkeiten, Vorurteilen und Pöbeleien in die Welt schwappte, sollten Sie sich das mit der Nicht-Zulässigkeit von Gesundheitsexperimenten an weiten Teilen der sächsischen Bevölkerung, die sie in Ihrer Antragsbegründung betonen, mal selber durch den Kopf gehen lassen. Es gibt auch eine psychische Gesundheit, meine Damen und Herren!
Doch zurück zum Thema Windenergie. 2012 waren 55.300 Menschen in der Branche direkt beschäftigt (übrigens zweieinhalbmal so viele wie in der gesamten deutschen Braunkohlenwirtschaft), mindestens 109.000 unter Einbeziehung der indirekten Beschäftigung. Der größte Teil übrigens im Segment der Herstellung neuer Anlagen. Die direkte und indirekte Bruttowertschöpfung der Branche lag bei 10,7 Mrd. Euro, darunter fast 5 Mrd. Euro im Export von Anlagen und Ausrüstungen.
Durch dramatisch gefallene Kosten erleben wir heute weltweit einen beispiellosen Boom bei Anlagen und Ausrüstungen für die globale Energiewende. Hier entstehen spannende Wachstumsmärkte auch für die deutsche Industrie.
Und genau in diesem Moment kommen Sie mit der Forderung, wir sollten unsere eigenen hochentwickelten Anlagen für nicht sicher genug erklären, um davon hier bei uns auch nur eine einzige errichten zu können. Und zwar nicht etwa, weil Erkenntnisse vorlägen, die einer Genehmigungsfähigkeit im Wege stünden, sondern weil KEINE abschließenden Erkenntnisse zu Beeinträchtigungen vorliegen!
Gegen Windmühlen kämpfen – das ist ein geflügeltes Wort geworden. Es ist die bekannteste Episode in Cervantes berühmtem Roman über seine Figur Don Quijote. Der rasante Fortschritt trieb damals gesellschaftliche Veränderungen voran und Cervantes sah in der lächerlichen Auflehnung des Möchtegern-Ritters gegen die Windmühlen das ideale Symbol für den Machtverlust des Überkommenen.
Meine Damen und Herren von der AfD, es gab hier im Parlament schon mal einen Don Quijote, der mit dem Kampf gegen die Windmühlen versuchte, die 5 Prozent-Hürde zu überspringen. Er ist dabei mit seiner gelben Truppe genauso vom Pferd gefallen wie das historische Vorbild.
Sie versuchen nun, sich das von diesen Leuten und ihren Wanderpredigern aufgebaute und gepflegte Protestpotenzial einzuverleiben.
Die vom letzten Don Quichote genutzten Lanzen gegen die Windmühlen drohen Ihnen dabei abhanden zu kommen. Die Strategie der Verhinderungsplanung über pauschale Mindestabstände will die Regierungskoalition ja nicht fortsetzen. Die Ausbaubremse im Energie-und Klimaprogramm will sie wohl auch lösen. Beides steht im Koalitionsvertrag und auf Podien habe ich die Koalitionspartner das auch gemeinsam so sagen gehört.
Im gemeinsamen Regierungshandeln warten wir noch auf die Umsetzung. Wenn ich mir allerdings die in der CDU derzeit auf regionaler Ebene angestrebten Beschlüsse zur Windenergieplanung anschaue und das neue energiepolitische Eckpunktepapier der CDU-Fraktion in diesem hohen Haus betrachte, dann bin ich zunehmend gespannt, wie Sie diese Kuh vom Eis bekommen wollen, meine Damen und Herren.
Sie jedenfalls, meine Damen und Herren  von der AfD Fraktion, müssen damit rechnen, dass die 10H-Lanze bereits beim Fall des Vorgängers vom Pferd zerbrochen wurde. Und deshalb kommen Sie nun mit Ihrer Moratoriumsforderung.
Sie beziehen sich in Ihrer Begründung auf eine in der Windenergiegegner-Szene hoch und runter zitierte Publikation des Robert –Koch-Institutes (RKI). Während das RKI dort sehr wohl weiteren Forschungsbedarf im Bereich der Auswirkungen niederfrequenter Schallemissionen sieht, betont es, dass alle bisherigen Untersuchungen einheitlich ergaben, dass die festgestellten Infraschallpegel von Windkraftanlagen unterhalb der normalen Wahrnehmungsschwelle liegen. Zur individuellen Wahrnehmung durch besonders sensitive Personen lägen keine ausreichenden Daten vor.
Beschwerden aus der Bevölkerung über so genannte Brummtöne häuften sich erstmals 1999 und 2000 in Baden-Württemberg. Die Behörden führten daraufhin an insgesamt 13 Orten Schall-, Erschütterungs- und Magnetfeldmessungen durch, ohne das Phänomen eindeutig klären zu können. Sie von der AfD brauchen da natürlich nicht lange nachzudenken. Für Sie ist das völlig klar. Ursache für solche Beschwerden können natürlich nur die verhassten Windmühlen sein!
Dann schauen wir uns das doch mal konkret an, und zwar anhand der Daten einer Studie aus dem Umweltbundesamt, die sie selbst  – allerdings höchst selektiv – in Ihrer Begründung anführen.
Danach verteilen sich die Beschwerden aus der Bevölkerung über Infraschall und tieffrequente Geräusche auf identifizierbare Quellengruppen wie folgt:
Die zwei größten Quellengruppen waren mit 35% Raumlufttechnische Anlagen und Produktionsanlagen sowie mit immerhin 33% Anlagen der Energieerzeugung und des Transports.
Dieses Drittel Energieerzeugung und Transport – sind das Ihre verhassten Windmühlen? Weit gefehlt. Dieses Drittel setzt sich wie folgt zusammen:  28,2% Wärmepumpen, 25,4% Biogasanlagen, 19,7% Blockheizkraftwerke, 9,9% Windkraftanlagen und 7% Transformatoren, um die wichtigsten Einzelquellen zu nennen.
Sie fordern aber kein Moratorium für Wärmepumpen oder Transformatoren, sie fordern auch kein Moratorium für Lüftungsanlagen in Großstädten, sie fordern kein Moratorium für Fahrzeuge, Bundestraßen und Autobahnen. Sie fordern keine Absiedlung aus Gebirgsregionen, in denen jeder Föhnwind intensive niederfrequente Schallimmissionen erzeugt.
Sie kümmert das alles nicht, denn Ihnen geht es nicht um Schallimmissionen. Sie wollen die Errichtung von Windkraftanlagen stoppen. Deshalb verbinden Sie selektiv das eine mit dem anderen.
Ihnen geht es übrigens auch nicht um Vogelschutz, denn sonst würden Sie über planerische Möglichkeiten für machbaren, besseren Vogelschutz nachdenken. Sie wollen einfach die Windmühlen bekämpfen und deshalb ziehen sie alles herbei, das sich nur irgendwie greifen lässt.
Dabei lassen sie jegliche Sorgfalt vermissen. So hat die dänische Regierung längst offiziell Stellung genommen zu den angeblich auf Windenergieanlagen zurückzuführenden Vorfällen in der Nutztierhaltung, die Sie in Ihrer Antragsbegründung unter Bezug auf einen Welt-Artikel vom März anführen. Die  dänische Stellungnahme sagt aus:
Die Entwicklung der Windkraft in Dänemark stimmt nicht mit den Informationen überein, die im Artikel der Zeitung „Die Welt“ geschildert werden.
Der Ausbau der Windkraft stagniert nicht. Ein Rückgang beim Ausbau im Vergleich zum Jahr 2013 wird durch veränderte Tarifbestimmungen seit dem 1. Januar 2014 begründet.
Anhand der existierenden wissenschaftlichen Grundlage gibt es keinen Beleg dafür, dass Windräder negative Auswirkungen für die Gesundheit haben. Das dänische Ministerium für Klima, Energie und Bau hat deswegen bekannt gegeben, dass die Planung von Windenergieanlagen während des Untersuchungszeitraumes einer derzeit laufenden Geräuschemissionsstudie fortgesetzt werden kann.
Das Kompetenzzentrum für Landwirtschaft und Pelztiere hat angegeben, dass Berichte über negative Auswirkungen für die Produktion von Nerzen – selbst bei einem Abstand von nur 200 Metern zu Windrädern – nicht vorliegen.
Wenn es die Redezeit erlauben würde, würde ich mich mit Vergnügen Punkt für Punkt mit Ihren Begründungen beschäftigen. Sie erlaubt es leider nicht. So kann ich nur das Fazit bringen: Was immer man auch genauer anschaut von den Dingen, die sie da aus Zusammenhängen herausgerissen als Begründungen anführen, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion – es bleibt nichts übrig, was irgendein Abweichen von den bewährten Vorgaben des Bundesimmissionsschutzgesetzes und seiner regelmäßig fortgeschriebenen Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften auch nur ansatzweise begründen könnte.
Als in Deutschland die Eisenbahn Einzug hielt, da wurde vor geistigen Schäden angesichts der schnellen Fortbewegung gewarnt. Die Bauern gingen mit Mistgabeln gegen Landvermesser vor, weil sie fürchteten, Ihre Kühe würden angesichts der Dampfrösser weniger Milch geben. Wenige Jahre später hatten dieselben Bauern in der Eisenbahn eine willkommene Möglichkeit entdeckt, um ihre Milch besser und frischer in die Städte verkaufen zu können.
Und wenn Sie, Herr Kollege Urban, in ihrer Verweigerung gegenüber den Veränderungen des Energiewendezeitalters in Wirtschaft und Gesellschaft nun Ihren Kampf gegen die Windmühlen mit einer Moratoriumsforderung führen wollen, so können sie das Ende bereits bei Cervantes nachlesen. Es ist ein Ende als Ritter von der traurigen Gestalt, den es böse aus dem Sattel gehoben hat.
Vielen Dank!

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