GRÜNER Antrag zu Alternativen zu Abschiebehaft − Zais: Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft machen krank
Rede der Abgeordneten Petra Zais (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Alternativen zur Abschiebungshaft und zum Ausreisegewahrsam nutzen" (Drs 6/7695)
52. Sitzung des Sächsischen Landtags, 11. April, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
2011 erregte ein bemerkenswertes BGH Urteil Aufsehen. Es stellte fest, dass die Inhaftierung zum Zwecke der Abschiebung von Herrn C rechtswidrig war. Herrn C erreichte das Urteil nicht mehr. Der 58-jährige Vater und Großvater hatte sich in der Abschiebehafteinrichtung das Leben genommen. (Quelle: ARD, Magazin Panorama v. 02.09.2010; BGH 06.10.2011, Az: V ZB 314/10)
Was, verehrte Kolleginnen und Kollegen hat dieser Fall mit unserem Antrag zu tun?
Dieser Fall, aber auch zahlreiche Studien belegen, das Abschiebehaft – die Inhaftierung von Menschen, die keine Straftat begangen haben, aber wie Kriminelle behandelt werden – enorme psychische und physische Auswirkungen hat. Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft machen krank, sie verstärken Depressionen, Verzweiflung und Suizidgefahr.
Aufgrund des starken Eingriffs in das Jedermann-Grundrecht der Freiheit der Person hat der Bundesgesetzgeber deshalb geregelt, dass Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam nur als allerletzte Möglichkeit – also als ultima ratio – zum Einsatz kommen dürfen. Vorher müssen andere mildere Mittel gescheitert sein. >>Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann.<< ( § 62 Absatz 1 AufHG) Die EU-Rückführungsrichtlinie fordert dies ausdrücklich.
In ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag behauptet die Staatsregierung, dass vor der Beantragung von Abschiebungshaft durch die Ausländerbehörde und vor der Anordnung durch das Gericht stets der Einsatz milderer Mittel geprüft werde. Ich behaupte, dass dies allenfalls formelhaft geschieht, denn die Nachweisführung ist die Staatsregierung bisher schuldig geblieben. Zu Recht befürchtet der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, dass es so zu einer Reihe von rechtswidrigen Haftanordnungen kommen kann.
Aber auch, weil es eine komplizierte Rechtsmaterie ist, mit der die Amtsgerichte schlichtweg überfordert sein könnten. So ist die Frage, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt, grundsätzlich nicht vom Haftrichter, sondern auf dem Verwaltungsrechtsweg zu klären. Wenn eine Abschiebung wegen es Gesundheitszustandes des Betroffenen und der Versorgungslage im Zielland ganz offensichtlich Verfassungsrecht verletzen würde, ist dies jedoch auch vom Haftgericht zu beachten und die Haft aufzuheben. (LG Hannover, 17.05.2010, 8 T 25/10)
Deshalb muss der Freistaat den Ausländerbehörden und den Gerichten konkrete Modelle für solche milderen Mittel zur Sicherung der Abschiebung anbieten. Nicht mehr und nicht weniger fordern wir mit unserem Antrag.
Mildere Mittel können neben Meldeauflagen, die verpflichtete Abgabe des Reisepasses bzw. der Reisedokumente, die Zahlung einer Kaution, die Übernahme einer Bürgschaft oder auch die Übergabe in den Verantwortungsbereich von Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, Migrantenorganisationen oder Seelsorgenden oder eine verpflichtende Rückkehrberatung sein. In Belgien werden positive Erfahrungen mit der im Gemeinwesen verankerten Einzelfallbetreuung für Familien im Asylverfahren bzw. ohne festen Aufenthaltsstatus gemacht.
Das Frauen und Kinder nicht in Ausreisegewahrsam oder Abschiebehaft genommen werden sollen, dürfte aufgrund ihres besonderen Schutzbedürfnisses eigentlich selbstverständlich sein.
Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft sind teuer. Zu den Baukosten kommen Betriebs- und Personalkosten, Kollege Hartmann hat auf einem Podium hier in Dresden von 76 Angestellten gesprochen. Die Frage, woher diese Angestellten kommen sollen, ist ungeklärt.
Wir fordern mit unserem Antrag, dass die Staatsregierung eine Studie in Auftrag geben soll, in der die Kosten, der Nutzen und die Machbarkeit von nicht freiheitsentziehenden Alternativmodellen im Vergleich zur Abschiebungshaft dargestellt werden. Hier folgen wir der Anregung eines Sachverständigen vom Jesuiten-Flüchtlingsdienstes aus der Anhörung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Sächsisches Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz.
Bemerkenswert ist, dass in den Jahren 2011 bis 2013 in Sachsen noch jährlich bis zu mehr als 300 Menschen in Abschiebungshaft genommen wurden, die Zahl in den Folgejahren massiv zurückging. In den Jahren 2015 und 2016 wurden nur 12 Personen auf Anordnung sächsischer Gerichte in Abschiebungshaft genommen.
Der Grund für den starken Rückgang liegt wohl darin, dass seit dem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2014 die räumliche Trennung von Strafgefangenen und Abschiebehäftlingen gilt. Mangels eigener Kapazitäten wurden Abschiebungen fortan in Eisenhüttenstadt und Berlin-Köpenick vollzogen.
Da bis zum Bau einer eigenen sächsischen Abschiebungshaftanstalt noch einige Monate bis Jahre ins Land gehen werden, setzt der Innenminister nun auf den sogenannten Ausreisegewahrsam, der hier in Dresden vollzogen werden soll.
Ich befürchte ganz konkret, dass mit Inkrafttreten des Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetzes und mit Fertigstellung der Einrichtung in der Hamburger Straße die zuletzt rückläufigen Zahlen wieder massiv ansteigen werden – und künftig nicht nur 4 Tage sondern sogar 10 Tage dauern kann (so im Referentenentwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht im Februar 2017 vorgesehen). Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, dass sich die Staatsregierung verstärkt der Anwendung milderer Mittel zuwendet.
Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag!
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