Jahresbericht des Ausländerbeauftragten − Zais: Leider kann ich nicht erkennen, dass Sie Ihre Aufgabe nach dem Ausländerbeauftragtengesetz erfüllt haben
Rede der Abgeordneten Petra Zais zum Jahresbericht 2017 (Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten) (Drs 6/13701)
Mittwoch, 7. November, TOP 12
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielen Dank für die Vorlage des Jahresberichtes 2017.
1. Leider kann ich, wie schon beim letzten Jahresbericht, nicht erkennen, dass Sie Ihre Aufgabe nach dem Sächsischen Ausländerbeauftragtengesetz erfüllt haben.
In Paragraf 3 Aufgaben und Befugnisse heißt es in Absatz 2: >>Der Ausländerbeauftragte erstattet dem Landtag einen jährlichen Bericht zur Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer. Er kann dem Landtag jederzeit Einzelberichte vorlegen. […]<<
Auf nur wenigen Seiten haben Sie die Situation in Sachsen dargestellt (S. 15-18), was bei weitem nicht dem in Paragraf 3 Abs. 2 SächsAuslBeauftrG formulierten gesetzlichen Auftrag entspricht. Auch ein Aneinanderreihung statistischer Daten vermag nicht die Lage der in Sachsen lebenden Ausländer in aufschlussreicher Art und Weise darstellen. Die neun Interviews, in denen Sie Migrantinnen und Migranten zu Wort kommen lassen, sind interessant, aber nicht repräsentativ für die Vielfalt der in Sachsen lebenden Menschen mit Migrationshintergrund.
Deshalb frage ich erneut, wie und wann der Sächsische Ausländerbeauftragte künftig diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen möchte?
In Paragraf 3 Absatz 5 heißt es weiter: >>Der Ausländerbeauftragte nimmt an ihn gerichtete Bitten und Beschwerden (Eingaben) entgegen und geht ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten nach. Er kann sich dabei an die zuständigen staatlichen und privaten Stellen mit der Bitte um Unterstützung wenden. Soweit nicht auszuschließen ist, dass es einer Aufklärung des Sachverhalts der Eingabe mit den Mitteln des Gesetzes über den Petitionsausschuss des Sächsischen Landtags vom 11. Juni 1991 bedarf, soll der Ausländerbeauftragte sie mit Zustimmung des Eingabeführers an den Präsidenten des Landtages als Petition weiterleiten.<<
In dem vorgelegten Bericht finden sich auch zur Wahrnehmung dieser Aufgabe keine Angaben. Mich interessiert natürlich inwieweit der Ausländerbeauftragte im Rahmen dieser ‚Quasi-Ombudsfunktion‘ in Anspruch genommen wurde, wie das konkrete Vorgehen im ‚Eingabefall‘ ist, ob die Eingabeführer über das Ergebnis der Aktivitäten des Ausländerbeauftragten informiert werden und in wie vielen Fällen der Ausländerbeauftragte von dem Mittel der Weiterleitung der Beschwerde als Petition Gebrauch gemacht hat.
2. In Ihrem Vorwort sprechen Sie von gesellschaftlicher Teilhabe und Einbindung (Seite 4). Das begrüße ich.
Ich begrüße auch, dass Sie in Ihrem Bericht die Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration ‚Wie gelingt Integration‘ mit aufgenommen haben (Seite 66-72). Diese Studie befasst sich mit den Lebenslagen und Teilhabeperspektiven von Flüchtlingen in Deutschland. Danach fehlt es nach wie vor an belastbaren Wissen über die Lebenslagen von Flüchtlingen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Maßnahmen zur Förderung gesellschaftlicher Teilhabe weiter geöffnet werden müssen und soziale Begegnung und Teilhabe eine wichtige Ressource für alle Lebensbereiche ist (Seite 71).
Es ist jedoch nicht ausreichend, nur Auszüge aus der Studie abzudrucken. Wir erwarten auch, dass Sie – als Interessenvertreter der in Sachsen lebenden Ausländer, Stellung dazu zu beziehen: Wie ist die Situation in Sachsen? Welche konkreten Schritte sind in Sachsen notwendig, um eine bessere Teilhabe für alle Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen? Das tun Sie nicht.
Ich möchte deshalb beispielhaft drei Punkte aus der Studie aufgreifen, welch ich für die bessere Teilhabe und Integration von Flüchtlingen im Freistaat Sachsen relevant halte:
• So heißt es in der Studie: Maßnahmen für Geflüchtete führen ins Leere, wenn die Menschen sie nicht kennen und verstehen.
→ In Sachsen fehlt es immer noch an ausreichend Beratungsangeboten, vor allem im ländlichen Raum. Ich spreche hier von den Migrationsberatungsstellen und Jugendmigrationsdiensten, von der sozialen Beratungsangeboten sowie von den Asylberatungsstellen. Hier besteht dringender Handlungs- und Finanzierungsbedarf.
• Studie: Flüchtlingsaufnahme und Integration müssen immer im familiären Kontext gesehen werden
→ in Sachsen: Ministerpräsident Kretschmer sprach sich gegen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aus. Hier wäre es Ihre Aufgabe gewesen, sich klarer zu positionieren. Im Jahresbericht ist dazu außer Zahlen nichts zu finden.
→ in Sachsen kommt es immer wieder zu Familientrennungen bei Abschiebungen. Erst im September und Oktober 2018 wurden drei Familien bei einer Abschiebung getrennt. Diese inhumane Praxis, die dazu führt, dass Menschen in ständiger Angst leben, muss beendet werden.
• Studie: dezentrale Unterbringung. Die Studie rät, >>Menschen aus sicheren Herkunftsländern nach sechs Monaten in individuellen Wohnarrangements<< unterzubringen, wenn das Asylverfahren länger dauert.
→ in Sachsen wurden 2017 Menschen in Gemeinschaftsunterkünfte untergebracht, obwohl sie schon dezentral untergebracht waren, aus Kostengründen, wie sie in Ihrem Jahresbericht schreiben (S. 64). Damit wurde jegliche Integrationsleistung wieder zerstört.
→ Gleiches gilt für den aktuellen Gesetzesentwurfs der Staatsregierung zum Flüchtlingsaufnahmegesetz, welches den längsmögliche Zeitraum von 24 Monaten in Erstaufnahmeeinrichtung vorsieht. Hier vermissen wir Ihre kritische Stimme.
Als letzter Punkt:
• Studie: >>Maßnahmen zur Förderung gesellschaftlicher Teilhabe sollen geöffnet werden“ (Seite 71) und „soziale Begegnung und Teilhabe ist eine wichtige Ressource und soll gestärkt werden<< (Seite 71)
An dieser Stelle möchte ich auf unsere beiden Gesetzesentwürfe verweisen. Zum einen das „Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für dauerhaft in Deutschland lebender Ausländerinnen und Ausländer“ und zum anderen das „Gesetz für Chancengerechtigkeit und zur Verbesserung der Teilhabe von Migrantinnen und Migranten im Freistaat Sachsen“ (welches morgen mit der 1. Lesung in das Plenum eingebracht wird).
Beide Gesetzesentwürfe haben die politische Teilhabe von Migrantinnen und Migranten zum Ziel.
Menschen mit Migrationshintergrund sollen an politischen Entscheidungen, die auch sie betreffen, mit entscheiden können. Dies gelingt, indem wir unsere Verwaltungsstrukturen öffnen, Landesmigrationsbeiräte schaffen und bestehende Gesetze anpassen, um eine Teilhabe überall zu ermöglichen. Hierzu bringen wir unser Teilhabegesetz ein.
Wichtigstes demokratisches Mittel für eine direkte Mitgestaltung des Zusammenlebens in den Städten und Dörfern ist jedoch das Wahlrecht auf Kommunalebene, welches wir mit unserem weiteren Gesetzesentwurf fordern.
Mit beiden Gesetzesentwürfen wollen wir auch hier im Haus eine Debatte führen, in welcher Gesellschaft wir in Sachsen leben wollen, um ein klares politisches Zeichen für eine demokratische Integration der in Sachsen lebenden Menschen zu setzen und Rassismus und Diskriminierung entschlossen entgegenzutreten. Das sollte auch Ihr Anliegen sein, Herr Mackenroth.
Erfreut hat mich, dass die Gründung und Arbeit des Dachverbandes sächsischer Migrantenorganisationen im Jahresbericht vorgestellt wird (S. 51). Auch deren Arbeit ist wichtig für die Teilhabe von Migranten in Sachsen. Gerade deshalb sollte deren institutionelle Förderung noch mehr von Ihnen in den Fokus gerückt werden. Ich kann mich der Vorstandsvorsitzenden nur anschließen, wenn sie sagt: „Unsere Arbeit ist wichtig. Sie kann nicht nur ehrenamtlich geleistet werden.“ (Seite 56).
3. Es gibt noch weitere Punkte, die ich ansprechen möchte:
• Etwa den sogenannte ‚Spurwechsel‘ in die legale Arbeitsmigration für bereits eingereiste Schutzsuchende, für den Sie sich zuletzt in Ihrer Pressemitteilung vom 24.07.2018 ausgesprochen haben. Das finde ich gut. Allerdings hätten Sie Ihre Forderung in der Koalition klar benennen und auf eine Initiative des Freistaates im Bund drängen können. Im Bericht ist dazu nichts zu finden.
• Auch zum Thema Ausbildungsduldung besteht weiter dringend Handlungsbedarf. Hier gibt es noch viele Unsicherheiten auf Seiten der Ausländer und Ausländerinnen sowie auf Seiten der Unternehmen, ob tatsächlich ein Aufenthalt für die gesamte Zeit der Ausbildung bestehen bleibt. Und wir beobachten ein immer rigideres Agieren der Behörden, die hinsichtlich der Ausbildungsduldung von ihrem Ermessensspielraum immer weniger Gebrauch machen. Es ist Ihre Aufgabe, auf dieses Missstände aufmerksam zu machen und sich für eine praktikable und sichere Lösung einzusetzen.
• Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Zugang zum Bildungssystem in den Erstaufnahmeeinrichtung. In Ihrem Bericht erwähnen Sie lediglich am Rande, dass hierzu ein Curriculum in der EAE Chemnitz ausgetestet werden soll. Eine rechtliche Stellungnahme (vom SFR in Auftrag gegeben) kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Curriculum nicht das Niveau einer Regelschule erfüllt. Es ist Ihre Aufgabe, sich für die Wahrung der Belange der hier lebenden Ausländer einzusetzen. Sie fordern zu Recht gesellschaftliche Teilhabe. Dann sollten sie auch bei den Kindern anfangen. Im März 2018 waren es 58 Kinder, die ihr Recht auf Bildung nicht wahrnehmen konnten.
• Als letzten Punkt möchte ich noch die Psychosozialen Zentren (Seite 79) ansprechen. Ich begrüße Ihre Unterstützung der Traumaambulanzen. Aber die Probleme sind noch groß. Die Wartezeiten für die Betroffenen sind zu lang. Wenn 50- 80 Personen auf der Warteliste stehen, muss das Netzwerk in Sachsen vor allem auch im ländlichen Raum weiter wachsen.
Sehr geehrter Herr Mackenroth, meine Fraktion dankt Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die geleistete Arbeit.