Klimaschutz: Falls Minister Dulig irgendwo einen Entwurf des neuen Energie- und Klimaplans im Schubkasten hat, wäre genau jetzt der Zeitpunkt, ihn auf den Tisch zu legen

Rede des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zum Antrag der GRÜNEN "Jetzt handeln – Sachsen aktiv im Klimaschutz positionieren" (Drs 6/10736)
61. Sitzung des Sächsischen Landtags, 28. September, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
>>Wir werden Wege finden, um das nationale 40-Prozent-Klimaschutzziel bis zum Jahr 2020 einzuhalten. Das verspreche ich Ihnen.<<
Das ist ein Zitat, meine Damen und Herren. Ein Zitat von Angela Merkel, jetzige und wahrscheinlich auch künftige Bundeskanzlerin, vor genau zwei Wochen zur besten Sendezeit im Fernsehen.
Nur wer mit eigenen Vorschlägen in die jetzt bundesweit anstehende Diskussion über neue Klimaschutzmaßnahmen und weitere Klimaschutzinstrumente geht, kann bei deren Ausgestaltung ein Wörtchen mitreden.
Tut die Staatsregierung das nicht, so wird sie nur dabei zusehen, was andere auch für Sachsen festlegen. Wie weit sie sich dann quer stellen kann, das wird von der eigenen Verhandlungsmacht abhängen. Und die ist wohl in den letzten Tagen nicht gewachsen.
Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Staatsregierung dazu auf, eigene Vorschläge für substantielle Beiträge Sachsens zur Erreichung von Klimaschutzzielen auf nationaler Ebene zu unterbreiten.
Wir fordern die Staatsregierung auf, dies zur Stärkung der eigenen Rolle in diesem Prozess aktiv im Rahmen einer Bundesratsinitiative für ein Sofortprogramm zu tun.
Dazu muss die Staatsregierung zunächst mal eigene Ziele und Teilziele in den einzelnen Sektoren definieren. Das wäre Aufgabe eines aktuellen Energie- und Klimaprogramms des Freistaates.
Jetzt rächt sich, dass dessen Fortschreibung verschleppt wurde. Wir fordern deshalb, wenigstens Eckpunkte zu Sektorzielen rasch zu erarbeiten und vorzustellen. Das ist von hoher Dringlichkeit.
Lieber Herr Minister Dulig,
ich glaube, sie sind mit dem Ansatz eigener Gegenvorschläge zur Abwehr von Lösungsansätzen aus dem Bund ganz gut vertraut.
Sie haben es ja im Jahr 2015 als Erfolg und als Planungssicherheit für die Braunkohlewirtschaft gefeiert, als Sachsen im Konzert mit den anderen Kohleländern und der IGBCE den von ihrem eigenen Bundeswirtschaftsminister lange und entschlossen zur sicheren Erreichung der Klimaschutzziele präferierten Klimaschutzbeitrag fossiler Kraftwerke abgeschossen hat. Stunden später hatte Vattenfall sämtliche Umsiedlungsplanungen gestoppt.
Für die war nämlich das Gegenteil von Planungssicherheit eingetreten. Jedem, der rechnen konnte, war völlig klar, dass mit dieser Entscheidung spätestens 2018 ein entschlossenes Nachsteuern unvermeidlich werden würde, weil rund 12 Mio. Tonnen Einsparung aus einer teuren Sicherheitsreserve von 2,7 GW alter Braunkohleblöcke bei weitem nicht ausreichen.
Während der Klimaschutzbeitrag ein auf viele Jahre im Voraus berechenbares Instrument gewesen wäre, war jetzt nur noch klar, dass 2018 irgendein zusätzliches Instrument kommen würde – ein CO2-Mindestpreis, ein Emissionsdeckel, ein Mindestwirkungsgrad – irgendwas jedenfalls mit nicht kalkulierbaren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell.
Warum wird nun jetzt, nach der Bundestagswahl des Jahres 2017, das lange zuvor absehbare Nachsteuern unvermeidlich und überaus dringlich?
Deutschland ist von der Erfüllung der beschlossenen Klimaschutzziele weit entfernt. Das hat die Bundesregierung bereits in ihrem jüngsten Projektionsbericht 2017 eingestanden und  für das Jahr 2020 eine Emission von 816 Mio. Tonnen Treibhausgasäquivalent prognostiziert – mithin eine jährliche Lücke von 66 Mio. Tonnen zum Ziel von 750 Mio. Tonnen, das sich aus der 40-prozentigen Reduktion gegenüber 1990 ergibt.
Der Think Tank Agora Energiewende, der das Bundeswirtschaftsministerium in energie- und klimapolitischen Fragen berät, hat Anfang September eine Analyse vorgelegt, wonach dieses Ziel noch sehr viel deutlicher verfehlt wird, nämlich um 116 Mio. Tonnen, so dass dann statt 40 Prozent nur 30,5 Prozent stünden.
Doch wie unbeweglich ist dieses Ziel? Gerade im Kohleland Sachsen habe ich immer wieder gehört, das Bundesziel sei eben zu ambitioniert und man müsse ja nicht mehr tun als andere.
Das Bundesziel für 2020 ist ja beileibe nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Die dritte Bundesregierung in Folge hat es nunmehr bekräftigt. Auch die aktuelle Bundesregierung sieht da keine Luft zu weniger Ambitionen. Das Ergebnis des Pariser Klimaschutzabkommens bedeutet nichts anderes als ein globales Budget, welches man selbstverständlich auf nationale Budgets und dort auf Sektoren und auch auf Sektoren in Bundesländern herunter brechen kann und wird. Das erschreckend geringe Volumen dieses Budgets steht nicht etwa für eine Lockerung, sondern für eine weitere Verschärfung des nationalen Ziels.
Und über dieses Budget können Sie überhaupt nicht verhandeln. Da sitzt schlicht niemand an der anderen Seite des Tisches. Die Natur verhandelt nicht mit uns!
Wir müssen uns auch hier in Sachsen davor hüten, bei begründeten Zielen, die uns Anstrengungen abverlangen, reflexhaft über die Abwehr der Ziele anstatt über Veränderungen der Politik auf dem Weg zur Zielerreichung nachzudenken! Das gilt nicht nur für Treibhausgase, dasselbe haben wir in den letzten Wochen beim hochgiftigen Quecksilber aus sächsischen Kohlekraftwerken und bei gesundheitsschädlichen Stickoxiden beobachten müssen.
Offenbar hat aber beim Klimaschutz die Staatsregierung die ganze Zeit darauf spekuliert, die nationalen Klimaschutzziele für 2020 und 2030 wären dehnbar, um ausreichend Platz für ihre hochfliegende Kohleträume und tiefer gelegte sächsische Klimaschutzziele zu machen.
Mit dieser Überzeugung im Hinterkopf hat sie die im Koalitionsvertrag vereinbarte Fortschreibung des sächsischen Energie- und Klimaprogramms verschleppt und stattdessen gebetsmühlenartig die Überzeugung von einer jahrzehntelangen Zukunft der Braunkohle wiederholt.
Ich glaube, auch Ihnen dämmert langsam, dass Sie sich gründlich verspekuliert haben könnten.
Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass es nicht nur langsam dämmert, sondern dass Ihnen ganz schnell ein Licht aufgeht!
Es ist keine zwei Wochen her, dass die Bundeskanzlerin die Zieleinhaltung versprochen hat.
Wenn man am Ende bei 38 oder 39 Prozent landet, so ist das vermutlich bereits ein Beleg für ernsthafte Anstrengungen. Doch ein krachendes Verfehlen kann sich die Bundesrepublik, die sich bei den G7, den G20 und darüber hinaus für große internationale Anstrengungen stark gemacht hat, kann sich auch eine Bundeskanzlerin, die gerade daraus einen erheblichen Teil ihrer weltweiten Reputation bezieht, schlicht nicht leisten.
Und dass die Verfehlung eines mit relativ einfachen und volkswirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen erreichbaren Klimaschutzziels für meine Partei inakzeptabel ist, die rein rechnerisch in Frage kommt, da auch ein Wörtchen mitzureden, das brauche ich wohl nicht zu betonen.
Herr Minister Dulig,
wenn Sie irgendwo einen Entwurf des neuen Energie- und Klimaplans im Schubkasten haben, so wäre genau jetzt die Zeit, ihn da raus zu holen. Egal, an welchem CDU-geführten Ministerium der Entwurf vielleicht abgeprallt ist. Denn wenn es ihn gibt, dann stehen dort die einzigen Zahlen, die man für die weitere Diskussion hat. Sie, Herr Minister Dulig, sind mit dem Wirtschafts- und Energieresort derjenige, der im Bund die Diskussion über die sächsischen Minderungsbeiträge zu führen hat.
Und glauben Sie mir: hier geht es nicht um einen Kampf gegen Berliner Ministerien. Es geht um einen Kampf, den alle gemeinsam gegen die Zeit zu führen haben. Sie werden dort nicht ohne substanzielle Minderungsbeiträge rausgehen. Und wenn Sie die nicht vorschlagen können, dann wird man ihnen eine Liste vorlegen.
Wenn es dann daran scheitert, dass Ihnen in Sachsen der Instrumentenkasten fehlt, um solche Minderungsziele dann auch zu verankern, auf Sektoren aufzuschlüsseln, ein Monitoring einzuführen und dem Ganzen auch in der Landesplanung die nötige Durchsetzungskraft zu geben – da können wir helfen. Unser Klimaschutzgesetzentwurf, den wir noch in dieser Legislatur in die zweite Lesung bringen werden, hält all das bereit. Stimmen Sie ihm dann zu und sie können damit sofort losarbeiten.
Verantwortungsvolle Landespolitik handelt, bevor ihr Handeln von außen bestimmt wird. Zumindest hat verantwortungsvolle Politik für Sachsen rechtzeitig einen Plan davon, was auf uns zukommt. Handeln Sie verantwortungsvoll und gestalten Sie Sachsens Rolle im Klimaschutz aktiv! » alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » alle Infos zur 60./61. Landtagssitzung