Klimaschutz – Lippold: Verzögerungstaktik von CDU und SPD beim Klimaschutz kommt alle teuer zu stehen

Rede des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema:
"Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle GroKo-Leute − Nichtstun beim Klimaschutz bestraft unsere Kinder und Enkel"
66. Sitzung des Sächsischen Landtags, 31. Januar, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Kretschmer,

Die soeben zu Ende gegangene Aktuelle Debatte hat noch einmal deutlich gemacht, dass es beim Klimaschutz nicht ausschließlich um jene geht, die nach uns kommen. Es geht auch um Risiken und um den Preis, den heute lebende Generationen dafür zahlen, dass viel zu lange zwar geredet, aber nicht gehandelt wurde.
Ich möchte mit einem Zitat starten:
"Die meisten Menschen fangen viel zu früh an, die wichtigen Dinge im Leben zu spät zu beginnen."
Das ist ein Zitat des polnischen Lyrikers Stanislaw Lec. Es war ein Lieblingszitat von Hermann Scheer, eines großen Sozialdemokraten, der mir auch ganz persönlich vor über einem Jahrzehnt Impulse gegeben hat, die bis heute wirken.
Und genau deshalb bin ich gerade bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, ganz besonders traurig, wenn Sie verzagen und die wichtigen Dinge so lange liegen lassen, bis es zu spät ist.
Das, genau das, meine Damen und Herren, wollen wir Ihnen mit dem Titel der heutigen Aktuellen Debatte sagen.
Der Titel nimmt Anleihe in den ersten Zeilen des Gedichtes "Der Aufschub" des deutschen Schriftstellers Felix Christian Weiße. Diese Zeilen "Morgen, morgen, nur nicht heute, sprechen immer träge Leute" lernen heute nicht nur weltweit jene, die Deutschkurse des Goetheinstitutes besuchen. Wohl jeder hat sie in seiner Kindheit mal gehört, wenn er keine Lust zum Aufräumen oder zum Lernen für die Klassenarbeit hatte.
Und die Erfahrung war: am Ende kam man genau daran dennoch nicht vorbei. Allerdings unter höchstem Zeitdruck und zum Teil nach üblen Konsequenzen. Dass es in Bezug auf die üblen Konsequenzen zwischen einer vergeigten Mathearbeit und dem Umkippen globaler Strömungssysteme nochmal eine deutliche Eskalation gibt, brauche ich wohl nicht zu erläutern.
Kommen wir zu verschiedenen Ebenen des ‚Sich-Ehrlich-Machens‘. Zu einer Bundes- und einer sächsischen Ebene.
Da prägten kürzlich SPD-Sondierer in Berlin den grandiosen Euphemismus, das Schleifen von Klimazielen in dieser Legislatur wäre natürlich keine Zielaufgabe, sondern man würde sich ehrlich machen. Das schlägt dem Fass den Boden aus! Denn das sagen genau die, die diese Ausgangslage durch jahrelanges, fahrlässiges Verschleppen und Blockieren zuvor selbst herbeigeführt haben. DIES einzugestehen, DAS könnte man "Ehrlichmachen" nennen, wenn es denn Einsicht wäre als erster Schritt zur Besserung. Doch Sie haben weder einen ersten Schritt noch irgendwelche weiteren Schritte im Sinn!
Vielmehr setzen Sie weiter auf dieselbe Strategie: einfach neue Ziele setzen. Ziele, die die konkrete Regierungsrechenschaft für die Zielerreichung ein weiteres Jahrzehnt in die Zukunft schieben! Wie elegant, könnte man sagen: Ziele zu setzen, an deren Einhaltung man sich gar nicht selbst messen lassen muss. Ziele für eine Regierung der übernächsten Wahlperiode! Eine Verpflichtung zu Lasten Dritter. Aufgeschrieben, ohne zu wissen, wer dann regiert und was diese Regierung von Ihren Langfristversprechungen halten wird.
Wie weit dieses Denken bei der SPD inzwischen Fuß gefasst hat, durften wir bei der Reaktion vom Kollegen Vieweg auf unseren Klimaschutzantrag drei Tage nach der letzten Bundestagswahl erleben, der geradezu hämisch meinte, jetzt könnten wir Grüne das mit dem Klimaschutz ja mal im Bund zeigen. Zeigen, wie wir das klimapolitische Fiasko aufräumen, dass Ihr Wirtschaftsminister dort gegen Ihre Umweltministerin angerichtet hat und dass Sie uns nur zu gern vor die Füße gekippt hätten?
Ich sage Ihnen, wir sind fest entschlossen und auch in der Lage, es aufzuräumen. Denn was uns unterscheidet, ist, dass wir auf einem Sofortprogramm bestehen, also auf dem berühmten ersten Schritt, mit dem jeder Weg zu jedem Ziel beginnen muss, während Sie sich mit dem Reden über ferne Ziele zufrieden geben.
Ganz aktueller Anlass für diese Debatte sind nämlich sowohl in Sachsen als auch im Bund drohende Zielverfehlungen. Und da meine ich noch gar nicht mal den verlogenen Umgang mit dem nationalen minus 40 Prozent-Reduktionsziel bis 2020.
Nein, ich meine zunächst einmal die Tatsache, dass auch die bisher als gesetzt geltenden 2020 Ziele im Nicht-ETS Bereich, also etwa bei Verkehr, Wärme und Landwirtschaft verfehlt werden! 14 Prozent gegenüber 2005 hatte Deutschland bis 2020 zu schaffen. 2016, nach mehr als zwei Dritteln der Zeit, waren 6 Prozent geschafft und 2017 haben die Emissionen offenbar nicht ab- sondern wieder zugenommen.
Zu den Konsequenzen und zur sächsischen Ebene des ‚Sich-Ehrlich-Machens‘ komme ich in der nächsten Runde.
Die Nichterreichung der Ziele in den genannten Bereichen außerhalb des Emissionshandels ist fatal. Denn diese Ziele sind in der EU verbindlich und so drohen der Bundesrepublik hier erstmals empfindliche Strafzahlungen. Wir wollen aber keinen Ablasshandel, mit dem man sich auf Kosten der deutschen Steuerzahler von der eigenen, peinlichen Verschleppungstaktik freikauft, sondern wir wollen, dass die Mittel, die wir hier in die Emissionsminderung stecken, auch hier eine Investition in die Zukunft darstellen!
Auch hier in Sachsen, meine Damen und Herren, sind selbst die unambitionierten Ziele der schwarz-gelben Vorgängerregierung, festgelegt im Energie- und Klimaprogramm 2012, ganz offensichtlich außer Reichweite, wenn man die Zahlen zugrunde legt, die ich von der Staatsregierung als Antwort auf eine kleine Anfrage erhalten habe. Auf die Frage, wie man denn in der verbleibenden Zeit gedenkt, die Lücke zu schließen, gab es die Antwort, man fühle sich nicht zu einer Antwort verpflichtet.
Ich sage Ihnen auf den Kopf zu, meine Damen und Herren in Staatsregierung und Koalition, wozu Sie sich nicht verpflichtet fühlen, ist die Einhaltung ihrer eigenen Ziele, die Sie selbst von Anfang an nicht ernst genommen haben!
Und genau das ist eben das Charakteristische Ihrer GroKo-Politik in Land und im Bund: Einfach Ziele aufschreiben. Wahlperiode für Wahlperiode. Und nicht erreichen. Wahlperiode für Wahlperiode. Sie können diese Ziele gar nicht erreichen, weil Sie nach dem Aufschreiben der Ziele keine wirksamen Instrumente zur Zielerreichung schaffen.
Die Großen Koalitionen im Bund wie im Land wussten seit Jahren, dass die Instrumente der eigenen Politik ungeeignet sind, die selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Dennoch führte das nicht dazu, dass Sie diese ungeeignete Politik veränderten und die Instrumente schärften. Nein. Sie passen lieber die Ziele an, nachdem sie das bis zum letzten Moment aussitzen.
Und da sind wir bei der sächsischen Ebene des ‚Sich-Ehrlich-Machens‘.
Warum sagen Sie den Menschen nicht einfach die Wahrheit darüber, was die völkerrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens, was der nationale Klimaschutzplan 2050 mit seinen Sektorzielen für 2030 auch für Sachsen bedeuten? Sie können doch rechnen und dass sie die stolz verkündeten 1,5 Mrd. vom Bund einfach mal so geschenkt bekommen, das glaubt Ihnen auch keiner.
Sie, Herr Ministerpräsident, mögen vielleicht wirklich glauben, es zahle vor Ort auf Ihr politisches Konto ein, wenn sie den Menschen, die nichts ändern wollen, erzählen, dass sich noch viele, viele Jahre nichts ändern wird.
Es ist deutlich erkennbar, dass Sie sich darauf vorbereiten, empört mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, wenn es dann absehbar anders kommt. Die da mit ihrer angeblich unverantwortlichen und unberechenbaren Politik, die in Berlin und Brüssel, angeblich ohne Herz für die Regionen, die seien Schuld an allem, was anders kommt als sie es wollen.
Das ist jedoch nicht nur ein falsches Spiel (denn Sie, Herr Kretschmer, haben im Bundestag selbst mit beschlossen, die Parisziele für die Bunderepublik verbindlich zu machen), es ist auch politisch kreuzgefährlich. Denn wer da seit Jahren hier wie im Bund regiert, das ist doch die CDU.
Sie stehen deshalb mit Vorwürfen und Schuldzuweisung nach Berlin nicht als der starke Interessenvertreter da, sondern als schwach – selbst im eigenen Haus. Wer von all den Menschen mit Bedürfnis nach Sicherheit und Berechenbarkeit der eigenen Zukunft braucht denn sowas?
Da wählen die doch lieber das Original der Merkel-muss-weg-Trompeter! Zumindest DIESE Botschaft sollte doch wohl angekommen sein, wenn es aus Ihren Reihen nach der Bundestagswahl "wir haben verstanden" hieß!
Ehrlich machen hieße: ja, wir haben auch hier zu lange nicht auf neue Herausforderungen reagiert, die ganz real sind. Und auf Veränderungen, die kommen. Das werden wir jetzt ändern, indem wir gemeinsam mit unseren Partnern im Bund so entschlossen wie möglich Strukturwandelförderung betreiben und uns darum kümmern, dass gerade Sachsen in besonderem Maße von den Chancen der Veränderungen profitiert! Das ist etwas, was Sie versprechen und auch halten können.
Warum die SPD sich nicht wirklich ehrlich macht, ist noch unverständlicher. Ich vermute: pure Angst in wackeliger Situation. Sie glauben, Öffentlichkeit (intern/extern) könne Wahrheit nur in Scheibchen ertragen. Genau das erleben wir gerade im Drama ihrer internen Groko-Debatten.
Selbst diese Koalition kann doch nicht mehr wirklich glauben, sie gewinne Zeit, wenn Sie ein paar Jahre später anfange zu handeln? Und sowas gaukeln Sie den Menschen da draußen in den Kohleregionen vor! Doch das Gegenteil ist der Fall! Die gnadenlose Konsequenz eines begrenzten Budgets heißt: jedes Jahr, dass sie heute beim Einstieg in entschlossene Reduzierungsbemühungen verbummeln, bedeutet am Ende, dass noch früher ganz Schluss sein muss mit der Kohleverstromung und anderen fossilen Quellen.
Ein Emissionsbudget, das auf heutigem Kohleverstromungsniveau acht Jahre reicht, das reicht nach rascher 50-Prozent-Emissionsreduktion 16 Jahre. Auch Sie werden doch wohl einsehen, dass man mit 16 Jahren doppelt so viel Zeit für die regionale Strukturentwicklung als mit acht Jahren! Und neben Geld brauchen solche Prozesse vor allem Zeit, um Wirkung zu entfalten.
Jedes Jahr, in dem Sie den Menschen heute vorgaukeln, man könne das Ganze irgendwie in die Länge ziehen, bedeutet nur eins: sie muten diesen Menschen einen wesentlich härteren Prozess in einer viel kürzeren Zeitspanne zu. Sie sorgen dafür, dass nicht etwa mehr, sondern weniger Zeit bleibt, um diese Transformation zu steuern und vor Ort Wirtschafts- und Strukturentwicklung zu betreiben. Mit der Parole, Arbeitsplätze gegen Klimaschutzanstrengungen schützen zu wollen, sind Sie tatsächlich die eigentliche Gefahr für die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen!
Was Sie einfordern, Herr Ministerpräsident, das sind 30 weitere Jahre Kohleverstromung auf heutigem Niveau. Wer soll denn der sächsischen Braunkohle viermal so viel Emissionsbudget faktisch kostenlos schenken, wie ihr zusteht? Es ist doch nicht wie bei "Wünsch dir was", wo einfach jeder noch eine ordentliche Kelle obenauf kriegt! Nein – wenn ein Sektor mehr haben will, bekommen die anderen weniger. DAS ist die harte Realität eines begrenzten Budgets. Dann bekommen Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Wohnungswirtschaft weniger. Und zwar VIEL weniger, weil die Braunkohle als emissionsintensivster Energieerzeuger VIEL mehr braucht.
Sie werden sich also nicht mit Frau Merkel oder Herrn Schulz oder ein paar Ministerpräsidenten auf irgendeinen Deal einigen müssen – Sie werden letztlich den ganzen Rest dieser Volkswirtschaft, Dutzende einflussreiche Lobbyverbände und sämtliche Bundesländer ohne Braunkohle gegen sich haben.
Herr Ministerpräsident, noch so ein paar Possen von dem Kaliber wie mit den 30 weiteren Jahren für die Braunkohle und Sie können sich auf den festen Sendeplatz in der "Heute Show" freuen, den heute noch Horst Seehofer innehat.
Liebe Koalition, wenn Sie es denn noch gemeinsam hinbekommen mit dem Ehrlichmachen, so machen Sie das am besten wirklich ehrlich. Und machen Sie es bald. Und wenn nicht, dann machen Sie Platz, damit es angepackt werden kann. Denn jeder Tag und jede Tonne CO2 zählt.
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