Kohlekommission − Lippold: Diese Kommission ist die größte Entwicklungschance der betroffenden Regionen seit den 1990er Jahren

Redebeiträge des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold in der 2. Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion
‚Blockade gegen Klimaschutz und Strukturwandel – Arbeit der Kohlekommission nicht länger sabotieren‘, 14. Dezember, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ministerpräsident Kretschmer hat nach eigenen Worten „die Notbremse“ in der Arbeit der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (gemeinhin Kohlekommission genannt) gezogen. Im Ergebnis wurde deren Arbeit unterbrochen.
Es wurde eine kleine Arbeitsgruppe aufgesetzt, die zunächst im Bereich Unterstützung des regionalen Strukturwandels weiter konkretisieren soll, woraus im späteren parlamentarischen Prozess gesetzliche und vertragliche Regelungen entstehen können.
Anfang nächsten Jahres soll die Kommission dann – ihrem Einsetzungsbeschluss folgend – ihre Arbeit zu Ende bringen und wahrscheinlich Anfang Februar, etwa zwei Monate später als vorgesehen, im Konsens ihre Handlungsempfehlungen verabschieden.
Klingt alles ganz unaufgeregt. Warum dann die Aktuelle Debatte? Weil der Einsetzungsbeschluss damit bereits in Teilen Makulatur geworden ist. Damit steht mehr auf wackeligem Grund, als das den meisten von uns hier recht sein kann – vor allem nämlich bei den Chancen für die Regionen.
Weil diese Intervention über das Kanzleramt gegen die Arbeit der Kommission am Ende fürchterlich nach hinten losgehen kann. Weil ein rascher Kohleausstieg sowohl mit als auch ohne die Kommission kommt.
Weil er dann entweder unabgefedert und unplanbar oder aber auf einem sichern Pfad und mit Milliardenförderung erfolgt. Weil in der Lausitz und in Mitteldeutschland inzwischen viele, viele engagierte Menschen intensiv an Ideen, Plänen und ganz konkreten Projekten für die Zukunft der Regionen arbeiten, die es kaum erwarten können, dass sie endlich mit seit den 1990igern nicht mehr gekannter Kraft loslegen können.
Mit großen Erwartungen. Und weil wir der Meinung sind, dass der Ministerpräsident genau das riskiert. Er riskiert durch seine Sabotage an der Kommissionsarbeit, am Ende mit leeren Händen vor diese Menschen zu treten. Ein April, April nach all der ermutigenden Zukunftsplanung, eine verzockte Riesenchance für die Aussicht, ein paar Monate länger nicht über Gigawatt-Zahlen reden zu müssen, wäre unverzeihlich.

Ich möchte erläutern, warum wir diese Gefahr sehen.
Wie der Ministerpräsident zusammen mit seinen Kollegen aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg interveniert hat, das ist in der Kommission durchaus auf breite Verärgerung gestoßen.
Denn man war gut unterwegs. Entgegen aller Unkenrufe, der ambitionierte Zeitplan sei unmöglich umzusetzen, war man Ende November gut unterwegs, um angesichts einer harten Deadline im Konsens das zu liefern, was der Einsetzungsbeschluss vorsieht.
Ich zitiere:
„Ihre Empfehlungen für Maßnahmen zum Beitrag der Energiewirtschaft, um die Lücke zur Erreichung des 40 Prozent-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich zu verringern, legt die Kommission WSB rechtzeitig vor der 24. UN-Klimakonferenz (COP 24), die vom 3. bis 14. Dezember stattfindet, schriftlich vor. Der Abschlussbericht wird Ende 2018 der Bundesregierung übergeben.“
Wider Erwarten kam die Kommission dabei voran. Und wider Erwarten schien dieser Zug in der Lage, pünktlich die Zwischenstation zu erreichen. Was macht man, wenn in diese Station partout nicht einfahren will? Man zieht die Notbremse. Doch wie zieht man die Notbremse in einem Zug, in dem man gar nicht selber sitzt? Man schiebt ein Hindernis auf die Schienen.
Ein in voller Fahrt befindlicher Zug wird hier von Ost-Ministerpräsidenten, die nie vor hatten, dass er sein Ziel erreicht, auf offener Strecke zur Notbremsung gezwungen, indem sie Hindernisse auf die Gleise werfen. Sie riskieren dabei, dass er schwer entgleist. Einen Zug übrigens, in dessen Fahrerhaus die sächsische CDU zuvor ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Tillich gesetzt hatte.
Was im Bahnverkehr einen gefährlichen Eingriff darstellt, weil es den Zug zum Entgleisen bringen kann, das ist auch hier geeignet, diese Kommission und ihre Arbeitsfähigkeit schwer zu beschädigen.
Damit haben Sie diese Kommission, deren Einsetzung ein langwieriger und mühsamer Prozess war, weil er größtmögliche Ausgewogenheit und damit breitestmögliche Akzeptanz ihrer mit Zweidrittelmehrheit zu beschließenden Berichte garantieren sollte, damit haben Sie diese Kommission, deren politische Steuerung von der Seitenlinie ausdrücklich NICHT vorgesehen war, um genau diese breite Akzeptanz zu ermöglichen, wie Figuren in einem Marionettentheater aussehen lassen.

2. Redebeitrag
Es wird keinen Beschluss dieser Kommission geben, meine Damen und Herren, wenn nicht der gesamte Arbeitsauftrag erfüllt ist. Es ist erst etwas geeint, wenn alles geeint ist. Und nur ein solcher, starker Beschluss hat eine Chance, anschließend im parlamentarischen Verfahren ausreichend Autorität zu entwickeln.
Und wer da meint, das sei doch am Ende egal, weil man ja als Regierung auch ohne Kommission machen könne, was man für richtig hält, der sollte mal seinen Blick weiten. Sowohl die regionale Strukturentwicklung als auch der Klimaschutzpfad sind Projekte, die viele Wahlperioden dauern. Die langfristige Verbindlichkeit und Stabilität von Vereinbarungen ist da ganz entscheidend. Das lässt sich nur auf einer Plattform erreichen, die viel breiter ist als eine aktuelle Regierungskoalition. Weil jede spätere Mehrheit ohne eine solche gesellschaftliche Vereinbarung wieder anders handeln könnte. Vorgängergesetze hin oder her. Die breit aufgesetzte Atommüll-Endlagersuche ist ein Beispiel für solche Konsensfindung, die bis weit in die Zukunft halten soll und halten muss.
wenn die Ministerpräsidenten meinen, es solle doch hier nicht um irgendwelche Gigawatt-Zahlen gehen, sondern um harte Milliardenzusagen, so verkennen sie völlig die Realität. Der Einsetzungsbeschluss fordert hinsichtlich der Klimaschutzziele von der Kommission, ich zitiere „…die Erarbeitung von Maßnahmen, die das 2030-er Ziel für den Energiesektor zuverlässig erreichen.“ Zitat Ende. Das Ziel ist ein Emissionsreduzierungsziel. Es geht um CO2-Emissionen. Ein Gigawatt Braunkohlenkraftwerkskapazität bedeutet im Jahr fünf bis sieben Mio. Tonnen CO2-Emission. Und deshalb muss man, wenn man über Emissionen im Energiebereich reden soll, über diese Kapazitäten reden, die nun mal in Gigawatt bemessen werden. Genau das aber ist der Auftrag der Kommission, zusammen mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen, zur Entwicklung eines Instrumentenmixes, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz zusammenbringt.
Diese Kohlekommission, meine Damen und Herren, ist mit ihrem Arbeitsauftrag das Beste, was den betreffenden sächsischen Regionen passieren konnte. Das ist ihre größte Entwicklungschance seit den 1990iger Jahren!
Es wird keinen konsensfähigen Beschluss dieser Kommission geben, der diese Komplexe nicht miteinander verbindet. Der Auftrag zur Reduzierung der Zielverfehlung 2020 und zur sicheren Erreichung der 2030-Ziele bedeutet zwingend, bedeutet ZWINGEND einen raschen Kohleausstieg. Das geht einfach mathematisch nicht anders.
Auch wenn in der Phase der intensiven Diskussion über viele Ideen, Pläne, Projekte für die Regionen, in der jede Menge neun- und zehnstellige Fördermittelsummen hin und her flogen, vielleicht bei manchen vielleicht ein anderer Eindruck entstanden ist. Um mal im jahreszeitlich passenden Bild zu bleiben: Die Kommission ist nicht, ich betone sie ist NICHT die Wichtelwerkstatt des Weihnachtsmanns. Und unsere Aufgabe hier in Sachsen beschränkt sich nicht darauf, dort Wunschzettel abzuliefern und die vollständige Wunscherfüllung einzufordern.
Haben Sie früher mal versucht, mit der Drohung durchzukommen, das eigene Zimmer nicht mehr aufzuräumen, wenn die vollständige Abarbeitung des Weihnachtswunschzettels nicht vorab garantiert wird? Wer das versucht hat, dem zeigt ganz sicher die Erfahrung: das Zimmer wurde am Ende dennoch aufgeräumt. Und die Bescherung fiel genau deshalb aus, weil man diese Nummer versucht hatte.
Weil wir gerade bei Wunschzetteln sind: 60 Milliarden. 60 Milliarden, meinten die Ostministerpräsidenten, müsse der Bund mal eben für den Kohleausstieg überweisen. Mindestens.
Wenn ein Unternehmen mit jemandem NICHT ins Geschäft kommen will, das allerdings gesichtswahrend so nicht sagen will, ist ein üblicher Weg der des Präventivangebotes. Man fordert einen so prohibitiv hohen Preis für eine Leistung, dass das Gegenüber abwinkt und abzieht.
Eine solche Strategie möchte ich der Staatsregierung nicht einfach unterstellen. Deshalb habe ich nachgefragt. Welche Analysen, Studien, Gutachten etc. stützen denn diese öffentlich geäußerte, doch sehr, sehr bedeutende Zahl, wie kommt sie zustande? Es geht um unglaublich viel öffentliches Geld. Wer jemals öffentliche Fördergelder in millionenfach geringerem Umfang haben wollte, der weiß, wie genau das begründet, wie sparsam das kalkuliert, wie gut Bedarf und Nutzen nachgewiesen werden müssen. Also müsste es doch da wenigstens eine Skizze geben, wie 60 Milliarden zustande kommt.
Deshalb ist es schon mehr als erstaunlich, was die Staatsregierung mir nach reichlich 4 Wochen auf meine Anfrage geantwortet hat: man schätze grob, dass man zwei Milliarden pro Jahr brauche. Und man meine, dass man das 30 Jahre lang brauche. 30 mal 2 ist 60.
Wenn sich der Ministerpräsident mit solchen Aussagen soweit öffentlich festlegt, dass jede realistische Summe später wie eine schwere politische Niederlage wirken MUSS, dann ist das eine selbst provozierte Niederlage. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum sich jemand solche Niederlagen organisiert.

3. Redebeitrag
Die Kohlekommission hat übrigens eine ganz andere Antwort bekommen. Berechnet von den Experten des MP Haseloff. Die meinen, 60 Milliarden würden für die Schaffung von 20000 Arbeitsplätzen und etwas Infrastruktur gebraucht. Wer das mal rasch nachrechnen mag: mit 60 Milliarden, 2 Milliarden pro Jahr für 30 Jahre, kann man nicht 20000, sondern 50000 Menschen je 40000 Euro pro Jahr Zahlen. Als staatliches Grundeinkommen sozusagen. 30 Jahre lang. Die Funktion und Wirkung von Wirtschaftsförderung stelle ich mir ganz anders vor.
Deshalb habe ich auch nachgefragt, welche zusätzliche Wertschöpfung sich denn erfahrungsgemäß mit einer zusätzlichen Milliarde Wirtschaftsförderung entwickeln lässt. Insgesamt wurde im Lausitzer und im Mitteldeutschen Raum in den 28 Jahren seit 1990 für wirtschaftsnahe Infrastruktur und die gewerbliche Wirtschaft Förderung in Höhe von rund 3,9 Mrd. Euro gewährt. Das hat geholfen, private Investitionen in der Wirtschaft von mehr als 12,3 Mrd. Euro mit anzuschieben.
Die geförderten Unternehmen haben damit mehr als 63.600 Arbeitsplätze neu geschaffen und rd. 56.800 Arbeitsplätze gesichert.
Wenn die Ministerpräsidenten jetzt eine 15mal so hohe Summe für einen vergleichbaren Zeitraum fordern, so macht das nur unter einer Annahme Sinn.
Sie rechnen offenbar damit, die Region 30 Jahre lang lediglich für wegfallende Wertschöpfung zu alimentieren.
Sie gehen offenbar davon aus, dass die Förderung diesmal nichts anschiebt und keine neue Wertschöpfung schafft. Davon, keine Ideen für zielgerichtete Wirtschaftsentwicklung zu haben und auch keine entwickeln zu wollen. Nichts, was als Anschub, als Hilfe zur Selbsthilfe wirkt.
Das ist die einzig mögliche Annahme, mit der man auf 60 Milliarden kommt.
Es wird höchste Zeit, liebe Koalition, dass sie hier vom Modus der Kommunikation von Gründen, warum etwas nicht geht, wegkommen. Es ist höchste Zeit, endlich in die Entwicklung von Lösungen einzutreten.
Vielen Dank!

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