Kommunale Demokratie – Lippmann: Kommunale Vertretungen sind die Keimzelle der Demokratie
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zur ersten Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktion GRÜNE:
"Gesetz zur Erleichterung kommunaler Bürgerbeteiligung und zur Stärkung der Rechte der Kreis- und Gemeinderäte", Drs 6/17646
93. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Freitag, 24. Mai, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
am kommenden Sonntag wählen die sächsischen Bürgerinnen und Bürger ihre kommunalen Vertretungen. Sie entscheiden, wem Sie das Vertrauen schenken, damit sie oder er als Mitglied des Rates ihre Interessen vertritt. Die kommunalen Vertretungen sind wegen ihrer Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern und wegen der Entscheidungen, die sie für das unmittelbare Umfeld der Einwohnerinnen und Einwohner treffen die Keimzelle der Demokratie – das wurde gestern auch nochmal eindrücklich von der CDU betont.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Kommunen und kommunale Demokratie können mehr sein als die Beteiligung bei Wahlen die Stadt- und Gemeinderäte oder Kreistage. In den Kommunen können Partizipationsprozesse etabliert und die demokratische Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner an Entscheidungen über ihre örtlichen Belange erprobt und verstetigt werden.
Sächsische Kommunen haben das Zeug zum Innovationslabor, hier können neue Formen der Beteiligung, des Zusammenlebens, der Gemeinschaft, der Mobilität oder des Wohnens entwickelt werden.
Kommunen können mit konkreten Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag für den Klimaschutz, den Naturschutz und für Nachhaltigkeit leisten. In Sachsen gibt es bereits viele Beispiele für die Innovationskraft von Kommunen in Sachen Bürgerbeteiligung: so gibt es in Hoyerswerda in diesem Jahr erstmals einen Bürgerhaushalt, wir haben die Modellkommune Open Government Brandis, die Stadt Glashütte beteiligt sich am ‚European Energy Award‘ und in Dresden wurde eine Bürgerbeteiligungssatzung beschlossen.
Schon die wenigen Beispiele zeigen: die Menschen in den Städten und Dörfern Sachsens haben den Anspruch, ihre Gemeinschaft und ihr Umfeld zu gestalten.
Und wir als gewählte Vertreterinnen und Vertreter der sächsischen Bürgerinnen und Bürger sollten den Anspruch haben, Gesetze zu verabschieden, die bürgerliches Engagement, Einmischung sowie Demokratie- und Wirksamkeitserfahrungen stärkt und fördert.
Mit diesem Anspruch vor Augen hat die GRÜNE-Fraktion Ihnen daher ein Gesetz vorgelegt, dass die Gemeindeordnung und die Landkreisordnung weiterentwickelt. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern durchsetzbare Rechte auf Information und auf Entscheidungsempfehlungen in allen Angelegenheiten der Gemeinden und Kreise einräumen. Die Bürgerbeteiligung soll gestärkt und die Akzeptanz kommunaler Entscheidungen verbessert werden. Gleichzeitig wollen wir die Rechte der Räte und damit ihre demokratischen Legitimation deutlich stärken.
Unser Gesetzentwurf entwickelt die bisherigen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung – die Einwohnerversammlung, den Bürgerantrag, das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid – weiter. Unter dem Oberbegriff der Bürgerbeteiligung möchten wir das Bürgerinformations- und das Bürgerempfehlungsverfahren etablieren. Mit dem Bürgerinformationsverfahren können Einwohnerversammlungen zu bestimmten Themen begehrt werden. Mit dem Bürgerempfehlungsverfahren, kann eine Einwohnerversammlung mit dem Ziel der Abgabe einer Empfehlung, eine Bürgerwerkstatt oder ein Mediator zur Erarbeitung einer Empfehlung initiiert werden.
Die Empfehlungen können auch zu Haushalt abgegeben werden. Wer sich einmal ansehen möchte, wie eine solche Satzung in der Praxis aussieht, dem sei der Blick nach Dresden empfohlen. Die von uns vorgesehenen Bürgerbeteiligungsverfahren können auch in den Ortschaften oder Stadtbezirken durchgeführt werden.
Zur Stärkung der Bürgerbeteiligung halten wir zudem die Senkung der hohen Quoren für kommunale Bürgerentscheide für unerlässlich. Bislang werden diese Instrumente der Bürgerbeteiligung kaum genutzt. Im Vergleich mit anderen Bundesländern wird denn auch deutlich, dass die Bürgerbegehren und -entscheide insbesondere dort häufig in Anspruch genommen werden, wo die Quoren niedrig sind. Das betrifft z.B. Bayern, wo es übrigens ein Volksentscheid war, der die niedrigen Quoren eingeführt hat.
Mit unserem Gesetzentwurf senken wir die Quoren für die Einleitung und den Erfolg eines Bürgerbegehrens in der Gemeinde- und Landkreisordnung auf 5 Prozent. Das Zustimmungsquorum bei Bürgerentscheiden wird von 25 auf 10 Prozent reduziert. Auch das Quorum für ein Abwahlverfahren wird gesenkt.
Mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen wollen wir außerdem die Räte und Fraktionen stärken. In Sachsen hat die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister bzw. die Landrätin oder der Landrat traditionell eine starke Stellung in der Gemeindevertretung. Dabei bleibt es grundsätzlich auch, gleichwohl gibt es ein paar Punkte, in denen wir die Rechte zugunsten der Gemeindevertretung verschieben wollen. So soll den Ratsvorsitz und seine Stellvertretung künftig aus der Mitte des Rates gewählt werden. Das stärkt den Rat als Hauptorgan und in seinen Kontrollrechten gegenüber der Verwaltung.
Wir verkürzen die Amtszeit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie der Beigeordneten auf fünf Jahre. Das Einvernehmen, das bislang bei der Wahl der Beigeordneten mit der Bürgermeisterin oder dem Landrat hergestellt werden musste, wird ebenfalls gestrichen.
Wir stärken die Rechte der Räte ferner durch ein Akteneinsichtsrecht und die Möglichkeit, einen gemeindlichen Untersuchungsausschuss zur Untersuchung von Missständen einzusetzen.
Wir stärken ferner die Rechte der Fraktionen in den Räten. Diese sollen künftig durch 5 Prozent der Ratsmitglieder gebildet werden können. Geringere Größen sind auch weiterhin zulässig. Auch die Bereitstellung angemessener Mittel für sächliche und – bei entsprechender Größe der Gemeinde – auch für personelle Aufwendungen wird nunmehr gesetzlich verbindlich geregelt. Bislang galt hier in Sachsen ein bunter Fraktionsgrößen-Flickenteppich, der mit Blick auf dieselben Voraussetzungen bei der Wahl nicht verständlich ist.
Nicht zuletzt machen wir eine doch sehr weitreichende Entscheidung dieser Koalition im Jahr 2017, die Lex Dresden, rückgängig. Mit der Neuordnung des Ortschafts- und Stadtbezirksverfassungsrecht soll es (wieder) möglich sein, dass das Ortschaftsrecht für einzelne Gemeindeteile aber auch für die Gesamtgemeinde, z.B. für Stadtteile, eingeführt werden kann.
Mit den Änderungen der Gemeindeordnung haben Sie damals nicht nur den Prozess der Stadt Dresden gestoppt, das Ortschaftsrecht auf dem gesamten Stadtgebiet einzuführen, Sie haben es auch allen anderen Gemeinden unmöglich gemacht, Ortschaftsverfassungen für solche Ortsteile einzuführen, die vor dem 1. Mai 1993 in eine Gemeinde eingegliedert wurden. Wir kehren mit unserem Vorschlag in Bezug auf die Ortschaftsverfassung wieder zum status quo des Jahres 2017 zurück, stellen klar, dass das Ortschaftsrecht auch auf dem gesamten Stadtgebiet eingeführt werden kann und regeln darüber hinaus, dass das Stadtbezirksverfassungsrecht auch in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern Anwendung findet. Damit stärken wir die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in ihren Stadtteilen und ihren Ortschaften.
Viele Bürgerinnen und Bürger kandidieren für die am 26. Mai 2019 zu wählenden Ortschaftsräte, Stadtbezirksbeiräte sowie Gemeinde- und Kreisräte, um sich für die unmittelbare Gestaltung ihres Lebensumfeldes zu engagieren. Als ehrenamtliche kommunale Rätinnen und Räte sind sie das Rückgrat unserer Demokratie. Ihre Motivation gilt es zu bewahren und zu stärken, denn Sachsen braucht Menschen, die sich einbringen und ihre Zukunft mitgestalten wollen. Mit diesem Gesetzentwurf erweitern wir den rechtlichen Rahmen für dieses Engagement.
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