Mobilität in Sachsen: Ministerium im verkehrspolitischen Blindflug
Rede der Abgeordneten Katja Meier zur Großen Anfrage der Linken "Mobilität in Sachsen" (Drs 6/8865)
61. Sitzung des Sächsischen Landtags, 28. September, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
ich habe mir wirklich Mühe gegeben und mir die Antworten der Staatsregierung zur vorliegenden Großen Anfrage genau durchgelesen.
Aber auch mehrmaliges Lesen ändert nichts an der aufkommenden Erkenntnis: In diesem Ministerium ist das Thema Verkehr bzw. Mobilität wirklich nur das 5. Rad am Wagen.
Es interessiert sie entweder nicht, Sie halten es nicht für relevant oder Sie unterschätzen ganz einfach den Stellenwert, den Mobilität im Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger Sachsens einnimmt.
Es tut mir leid, aber die Antworten atmen auf jeder Seite die Ambitionslosigkeit dieser Regierung im Mobilitätsbereich.
In welcher Themenvielfalt Ihnen jeweils keine Informationen vorliegen, ist atemberaubend.
Sie können und wollen z.B. keine Aussagen zu Prognosen des Schienenpersonenaufkommens oder zur zukünftigen Entwicklung der Mobilitätskosten treffen.
Sehr geehrter Herr Staatsminister,
das ist einfach nur schwach, denn es gibt selbstverständlich wissenschaftliche Untersuchungen und Szenarien, wie sich die Mobilitätskosten aber auch das Verkehrsaufkommen unter bestimmten Bedingungen sowohl im motorisierten Individualverkehr (MIV) als auch im öffentlichen Verkehr absehbar entwickeln werden.
Beim öffentlichen Verkehr geht es natürlich um die Entwicklung des Kostendeckungsgrades, also der Differenz zwischen Fahrgeldeinnahmen und Kosten.
Wenn man sich mit solchen Trends auseinandersetzt, hat das natürlich politische Auswirkungen.
Denn die beiden Stellschrauben: 1. die Höhe der staatlichen Zuschüsse zum öffentlichen Verkehr sowie 2. die Fahrpreisentwicklung sind Faktoren, die politisch entschieden werden.
Hier handelt es sich nicht um natürliche Prozesse, denen wir nur zuschauen können, sondern um politische Entscheidungen:
Soll Mobilität für die/den Einzelne/n in Sachsen künftig bezahlbar sein?
Oder soll es Luxus werden, Zug, Straßenbahn oder Bus fahren zu können?
Was ist der Ausbau der umweltfreundlichen Mobilität unserer Gesellschaft wert?
Verfolgen wir ernsthaft klimapolitische Ziele und beziehen wir den Verkehrssektor mit ein?
Als Handlungsgrundlage wäre eine Analyse der Entwicklung der Mobilitätskosten der letzten Jahre und der Szenarien zur künftigen Entwicklung der Mobilitätskosten entscheidend.
Solche Analysen werden in anderen Bundesländern selbstverständlich erstellt.
Allein in Sachsen interessiert dies die Staatsregierung überhaupt nicht.
Die Antworten auf die Große Anfrage Mobilität in Sachsen zeigt das entscheidende Manko sächsischer Verkehrspolitik auf:
Sie ignorieren schlicht die entscheidende Fragestellung der Zukunft:
Was muss wie getan werden, um die Nachfrage am Gesamtverkehr sowie den Model-Split zwischen den Verkehrsmitteln zu beeinflussen?
Die Antworten auf diese Fragen sind kein Hexenwerk und bedürfen keines Blickes in die berühmte Glaskugel. Sondern – oh Wunder – man kann sie politisch steuern.
Aber das, Herr Staatsminister, muss man natürlich wollen.
Die zukünftige Verkehrsentwicklung hängt vor allem von drei Dingen ab:
1. Bevölkerungsentwicklung und Mobilitätsverhalten. Dabei ist das Mobilitätsverhalten abhängig von Altersstruktur, Motorisierungsgrad, Preisen und Reisezeiten
2. Wirtschaftsentwicklung als wichtiger Parameter für den Güterverkehr.
3. Entwicklung von Verkehrsangebot und Verkehrsinfrastruktur
In Ihren Antworten auf die Große Anfrage konnte ich weder erkennen, dass Sie sich damit beschäftigen. Geschweige denn, dass Sie diese drei Bereiche politisch beeinflussen wollen.
Wie so oft rate ich Ihnen auch heute den Blick über den Tellerrand. Ist doch wirklich nicht schwer.
Andere Länder wie Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein haben sich konkrete Ziele zur Entwicklung des Modal Split gesetzt, haben konkrete Ziele zur Reduktion des CO2-Ausstoß im Verkehrssektor und auch konkrete Zielen und Maßnahmen, wie umweltfreundliche Verkehrsarten gestärkt werden können, formuliert.
In Sachsen jedoch herrscht verkehrspolitischer Blindflug.
Auffallend oft finden wir in den Antworten des Ministeriums auf die Fragen den Verweis auf die Strategiekommission.
Wenn sich die beiden Mitglieder von CDU und SPD, die in der Strategiekommission arbeiten, über die Bedeutung des Gremiums, so wie dies die Staatsregierung in den Antworten formuliert, klar wären, dann würden sie deutlich mutiger/aktiver werden in ihrem Agieren in dem Gremium.
Das kann ich leider nicht erkennen.
Sätze wie im vergangenen Jahr vor den Haushaltsverhandlungen von Herr Nowak, dass die Strategiekommission natürlich keine Empfehlungen an den Landtag aussprechen wird zur finanziellen Ausstattung im ÖPNV, spricht Bände.
Einig sind Sie sich vor allem in ihrer Uneinigkeit.
Ohne klare Aussagen und Empfehlungen, wie die Aufteilung der Entflechtungsmittel einerseits und wie künftig mit den GVFG-Mitteln andererseits umgegangen werden soll, wären sinnlos und das Papier nicht wert auf dem der Abschlussbericht gedruckt werden soll.
Zur Förderung von Carsharing nennen Sie, Minister Dulig, erfreulicherweise die geplante Änderung des Sächsischen Straßengesetzes noch in dieser Legislatur.
Ziel ist dabei, dass Kommunen die Carsharingstellplätze im öffentlichen Raum rechtssicher einrichten können.
Dieses Anliegen unterstützt die GRÜNE-Landtagsfraktion natürlich aus vollem Herzen.
Gerade in den Ballungszentren in Sachsen kann das den Anbietern von Carsharing zu einem noch größeren Durchbruch verhelfen und in der Endkonsequenz die Zahl der privaten PKW reduzieren, zum Wohle aller.
Dazu wäre es klasse, wenn Sie nun möglichst zeitnah den Kommunen einen Handlungsleitfaden für die rechtssichere Anordnung von Carsharingplätzen an die Hand geben.
Denn heute können die Kommunen auf Grundlage des Carsharing-Gesetztes ja zumindest schon Parkplätze an Bundesstraßen ausweisen.
Gehen Sie proaktiv auf die Kommunen zu und bewerben Sie bitte diese neue Möglichkeit offensiv.
Wiederholen Sie nicht den Fehler, den Sie bei der vereinfachten Möglichkeit der Tempo-30-Anordnung an Kitas, Pflegeheimen und Schulen gemacht haben, wo Sie immer noch keine Handreichung für die Kommunen fertig erarbeitet und proaktiv an die kommunalen Verwaltungen verteilt haben.
Vergeuden Sie hier bitte keine Zeit, sehr geehrter Herr Staatsminister.
Beim wichtigen Thema Lärmaktionsplanung liegen Licht und Schatten in Sachsen eng beieinander. Gut finde ich, dass das LfULG einen Handlungsleitfaden für die Lärmaktionsplanung sowie "Positivbeispiel Lärmaktionsplanung" erarbeitet hat und den Kommunen zur Verfügung stellt.
Indiskutabel ist allerdings, dass der Freistaat die Kommunen bei der Umsetzung der in den Lärmaktionsplänen festgeschriebenen Maßnahmen nicht finanziell unterstützt und auch den Umsetzungsstand nicht prüft.
Hier werden wir GRÜNEN Ihnen selbstverständlich auch in den nächsten Haushaltsverhandlungen das Angebot zum Politikwechsel machen, indem wir einen qualifizierten Antrag ins Verfahren einbringen.
Bisher haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD es abgelehnt, die Kommunen bei der Umsetzung der Lärmaktionspläne finanziell zu fördern, das sollten Sie dringend überdenken.
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