Neonazi-Immobilien in Sachsen – Lippmann: Wir müssen den Nährboden der rechtsextremen Szene in Sachsen austrocknen und dürfen keine Rückzugsräume zulassen

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
"Konzept zum Umgang mit Neonazi-Immobilien vorlegen – Betroffene von Anmietungen durch Neonazis beraten, schulen und unterstützen", Drs 6/16433, Donnerstag, 14. März, TOP 13

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 07. Januar 2018 sollte der Neonazi Liedermacher ‚Lunikoff‘ – mit bürgerlichem Namen Michael Regener, Sänger der Band ‚Landser‘, – die erste Band  die als kriminelle Vereinigung verboten wurde – im erzgebirgischen Eibenstock auftreten. Das Konzert, welches in angemieteten Vereinsräumlichkeiten stattfinden sollte, fand jedoch nicht statt. Aber nur, weil der Vermieter zufällig vor Ort ist, den wahren Mietzweck feststellt und kurzfristig mit Hilfe der Polizei den Mietvertrag zurückzieht.

3. Februar 2018: In einem, wie die Staatsregierung auf eine meiner Kleinen Anfragen antwortet >>anmietbaren Privatobjekt<< in Leubsdorf im Landkreis Mittelsachsen findet ein Nazi-Zeitzeugenvortrag statt. Per Video ist die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeckk zugeschaltet. 250 Personen sind im Saal.

24. März 2018: Im Sebnitzer OT Saupsdorf spielt die Neonazi-Kultband ‚Sleipnir‘, die Immobilie befindet sich in Gemeindeeigentum. Die Kommune wurde über den Mietzweck offensichtlich getäuscht.

30. März: In einem Jugendclub in Bannewitz findet eine Neonazi-Party statt. Es kommt zu einem Polizeieinsatz. Stadt und Betreiber des Jugendclubs erfahren erst im Nachhinein davon.

05. Mai 2018: In Regis-Breitingen im Landkreis Leipzig findet ein weiterer sog. Zeitzeugenvortrag von Neonazis statt, es nehmen ca. 120 Personen teil, anschließend spielt ein Nazi-Liedermacher. Die Stadt Leisnig erfährt erst nach einer Kleinen Anfrage von mir von der Veranstaltung, obwohl es sich um eine kommunale Immobilie handelt. Wie die LVZ schreibt, fand der Vortrag wohl in einem nicht vermieteten Gasthof der Stadt statt. Für diesen Termin hatte im Vorfeld ein Mann den Geburtstag seines Großvaters angemeldet.

10. März 2018 und 15. Dezember 2018: In einer anmietbaren Halle und in einem Kleingartenverein in Chemnitz finden erneut Zeitzeugenvorträge von Neonazis statt. In beiden Fällen wurden die Eigentümer getäuscht. Im ersten Fall war von einer Buchlesung die Rede, im zweiten Fall wurde das Objekt für eine private Feier angemietet.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
diese kurze Auflistung zeigt nur eine, und das will ich betonen, exemplarische Auswahl von Anmietungen durch Neonazis im vergangenen Jahr. Und auch das will ich betonen: Ich rede hier nur von Anmietungen. Immobilien, die Neonazis gehören oder von ihnen dauerhaft genutzt werden, sind hier noch gar nicht dabei. Das sind nochmal, laut Zählung der Staatsregierung 22 Immobilien, laut meinen eigenen Recherchen sogar noch deutlich mehr.

Ich finde diese Auflistung beschämend. Aus zwei Gründen. Einerseits zeigt diese Liste, dass Sachsen nicht ohne Grund neben Thüringen das Kernland von Neonazi-Veranstaltungen in Deutschland ist. Und zum anderen zeigt diese Auflistung, dass der sogenannte Verfassungsschutz in Sachsen schlichtweg seine Arbeit nicht tut und dafür auch noch Jahr für Jahr mehr Personal bekommt.

Momentan stehen der rechten Szene zur dauerhaften Nutzung über 60 Immobilien zur Verfügung, deutlich mehr als der Verfassungsschutz zählen oder sehen will. In diesen Immobilien finden Konzerte der Naziszene statt, die Geld in die Szene spülen und eine wichtige Finanzierungsquelle darstellen, genauso wie ominöse Zeitzeugenvorträge, bei denen ehemalige SS- und Wehrmachtsangehörige die Schreckenstaten des III. Reichs verklären und Vernetzungstreffen verschiedener Akteure der rechtsextremen Szene.
Die Zahl solcher Immobilien hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Sie zeigt, wie stark, die rechte Szene in Sachsen wieder vernetzt und verankert ist – und wie sehr sie sich zunehmend sicher fühlt.

Im Sog von Hass und Hetze der letzten Jahre sind im Fahrwasser auch jene Nazistrukturen wieder erstarkt, die man viel zu lange kleingeredet hatte. Es ist jetzt Zeit zu handeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass es einen immer größeren Rückzugsraum für Neonazis in Sachsen gibt und sich eine immer stärkere Melange von alten bis neuen Rechten ergibt. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, dass es Rückzugsräume für Hass und Gewalt in Sachsen gibt und der Staat tatenlos zusieht.

Aber genau das passiert. Da helfen auch keine hohlen Proklamationen des starken Staates. Das Innenministerium redet das Problem klein, der Verfassungsschutz macht seinen Job nicht und die Nazis freuen sich, dass kaum einer mitbekommt, wie sie sich immer weiter vor Ort festsetzen.

Der Ministerpräsident hat gestern wortgewaltig erklärt, Nazinetzwerke in Sachsen zerschlagen zu wollen. Da hat er unsere volle Unterstützung. Werte Abgeordnete, hier und heute, haben wir den MP beim Wort zu nehmen und diesem Antrag zuzustimmen! Das wäre nämlich ein Anfang die weitere Sesshaftwerdung der Nazis zu bekämpfen!

Dazu braucht es, wie von uns gefordert, zuerst eine intensive Beratung der Kommunen und der Zivilgesellschaft. Es braucht Aufklärung über Strukturen und die Vernetzung der Szene und konkrete Handlungsempfehlungen, um vor Ort wirksam handeln zu können, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen und um die Zivilgesellschaft mobilisieren zu können.

Meine Gespräche beispielsweise mit dem Landeskleingartenverband oder auch betroffenen Kommunen geben mir da recht! Die wollen größtenteils keine Nazis in ihren Kleingartensparten oder Gasthöfen. Deshalb sind die auch zurecht stinksauer, dass der Verfassungsschutz offensichtlich auch über konkrete Veranstaltungen regelmäßig Bescheid weiß, aber nichts durchblicken lässt und Kommunen und Vereine schlicht im Regen stehen lässt. Ein Geheimdienst ist nicht dafür da, nur sein Wissen geheim zu halten, sondern es weiterzugeben, wenn die Gesellschaft drauf angewiesen ist. Dieses Gebaren muss ein Ende haben, genauso wie dieser Verfassungsschutz, der seinen Job nicht macht,

Es braucht aber auch konkrete Beratung der kommunalen Behörden im Umgang mit rechten Versammlungsorten. Die Bauaufsichten brauchen Rüstzeug an die Hand, um unzulässigen Nutzungen zu begegnen und frühzeitig reagieren zu können. Hier ist das Innenministerium in der Pflicht, die Kommunen zu unterstützen statt diese Herausforderung zu ignorieren. Ebenso sollten die Beratung derjenigen verbessern, die Angst vor Tarneinmietungen von Nazis haben, damit diese im Falle der Täuschung auch einen Mietvertrag wieder auflösen zu können.

Es braucht aber auch eine bessere Schulung der Polizei im Erkennen rechter Symboliken und Codes. Hier gibt es ganz offenkundig Nachholbedarf, wie zuletzt im Zusammenhang mit Ostritz deutlich geworden ist. Es darf nicht sein, dass die Polizei verfassungsfeindliche Symbole nicht oder zu spät erkennt. Wenn man klare Kante gegen Nazis zeigen will, muss man auch unmittelbar reagieren und nicht abwarten, bis es zu spät ist.

Wir müssen den Nährboden der rechtsextremen Szene in Sachsen austrocknen und dürfen keine Rückzugsräume zulassen. Dazu braucht es vor allem eine klare politische Haltung gegen alle Feinde der Freiheit und der Demokratie. Aber es braucht auch Hilfe im Konkreten, für Kommunen, Gastwirte und Kleingartenvereine, um rechte Umtriebe zu erkennen und sich ihnen entgegenzustellen. Dass wollen wir mit diesem Antrag erreichen – wir bitten um Zustimmung.

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