NS-Raubgut an sächsischen Bibliotheken – Maicher: Wir wollen die Kultur der Verantwortung in unserem Bundesland stärken

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zum Antrag der Fraktion GRÜNE:
"Erforschung und Rückgabe von NS-Raubgut an öffentlichen Bibliotheken in Sachsen voranbringen", Drs 6/17064
92. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 22. Mai, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

dieser Antrag, über den wir jetzt debattieren, ist nicht einfach eine GRÜNE Initiative zur Forschungsförderung oder zur Schaffung einer zusätzlichen Stelle in einem Stellenplan einer öffentlichen Kultureinrichtung. Dieser Antrag zur Förderung der Erforschung und Rückgabe von NS-Raubgut an öffentlichen Bibliotheken bedeutet, eine Kultur der Verantwortung in unserem Bundesland zu stärken. Und damit auch den Umgang mit unserer Vergangenheit als staatliche Verantwortung mit Blick auf die Zukunft unserer Demokratie zu begreifen.

Ich hoffe, dass sie liebe Kolleginnen und Kollegen und Sie Frau Ministerin, nicht in technokratischer Art unser Anliegen wegwischen mit den Argumenten: das ist Aufgabe der Kommunen, es gibt dafür schon Bundesprogramme und genug Akteure, die sich in Sachsen damit beschäftigen.

74 Jahre nach Ende des NS-Regimes sollte man meinen, sei das Unrecht, das Menschen in und nach dieser Zeit zugefügt wurde, bestmöglich aufgearbeitet und soweit irgend möglich wiedergutgemacht. Ja, die sächsische Regierung hat dazu Schritte eingeleitet. Sie hat 2009 mit Unterstützung des Landtages ein Forschungsprogramm mit dem Namen ‚Daphne‘ eingerichtet, um Kulturgüter in den Staatlichen Kunstsammlungen nach ihrer Herkunft zu untersuchen. Das allerdings erst, nachdem spektakuläre Rückforderungsansprüche auftraten.

Porzellan und Gemälde aus dem Wettiner Besitz sind sicher dazu geeignet, Schlagzeilen zu machen. Aber auch Bücher und andere Druckerzeugnisse wurden Menschen im Zuge der sogenannten Arisierung entwendet. Juden und Jüdinnen, Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern und andere zu politischen Feinden deklarierte Menschen wurden enteignet, ihre privaten Bibliotheken aufgelöst und zerstreut. Auf schwer zu rekonstruierenden Wegen gelangten sie in den Besitz sächsischer Bibliotheken – aber Eigentümer sind die Bibliotheken nicht. Diese literarischen Werke, Sachbücher und Enzyklopädien gehören den enteigneten Menschen bzw. deren Nachfahren.

In meiner Kleinen Anfrage zum Thema NS-Raubgut an Sächsischen Bibliotheken antworteten Sie, Frau Ministerin Stange, in der SLUB seien 1745 Bücher gefunden worden. An der UBL geht man von 5000 Verdachtsfällen aus.
In Bautzen hat ein Forscher einen interessanten Fund gemacht und 665 von einstmals 4000 Büchern aus der Bibliothek der Familie der Hertie Gründer Tietz identifiziert.

Auf meine Frage, wie hoch der geschätzte Bestand an Raubgut an sächsischen Bibliotheken sei, las sich die Antwort wie ein schlechter Scherz. Dort gaben Sie zusammengerechnet die Zahl derjenigen Bücher an, die bisher an der SLUB, UBL sowie in Bautzen ermittelt wurden. Nach Kenntnis der Staatsregierung wurde an zwei von 43 wissenschaftlichen Bibliotheken und an einer von über 450 Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft Forschung zur Provenienz von Büchern betrieben. Nach unserer Kenntnis neben der Stadtbibliothek Bautzen auch an der Stadtbibliothek Leipzig.

Also nur an 4 von fast 500 Bibliotheken.

Sie verschließen die Augen, vor dem enormen Forschungsbedarf in diesem Bereich an sächsischen Bibliotheken und verweisen jegliche Verantwortung an die Kommunen.

Dabei verpflichteten sich im Jahr 1999 Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände in der ‚Gemeinsamen Erklärung‘ die Suche nach verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in allen öffentlichen Einrichtungen voranzutreiben, Erbinnen und Erben ausfindig zu machen und Wiedergutmachung anzustreben.

Sie ruhen sich auf dem Bundesprogramm und der Tätigkeit der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) aus.

De facto ist es aber so, dass Forscher und Forscherinnen für ihr Forschungsprojekt beim DZK jedes Jahr einen Verlängerungsantrag stellen müssen und dass dies auf maximal drei Jahre beschränkt ist.  Die Kommunen müssen dazu Förderanträge stellen und einen Eigenmittelanteil aufbringen. Je nach Aufwand und Umfang ist Forschung nach 3 Jahren noch nicht abgeschlossen, denn das Identifizieren und Zuordnen von Raubgut ist sehr aufwändig.

Ein anderer langer Weg ist die Suche nach den rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern und ein weiterer die juristische Einigung. Bei all dem benötigen nicht nur die Forschenden Unterstützung, sondern auch die Kommunen als Träger der öffentlichen Bibliotheken. Und da erwarte ich von Ihnen als Kulturministerin in Sachsen mehr als einen Verweis auf die Förderung der Bibliotheken über das Kulturraumgesetz.

Über den Anteil von Raubgut kann bisher nichts Verlässliches gesagt werden. Es ist also notwendig, den genauen Forschungsbedarf zu ermitteln und im nächsten Schritt die Kommunen zu unterstützen, Forschungsgelder zu beantragen.

Weiterhin müssen die Ergebnisse der Forschungsarbeit dokumentiert und zusammen geführt werden. Der Erfahrungsaustausch und Weiterbildung der Forscher ermöglicht die Ergebnisse ihrer Arbeit für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es gibt Ansätze der Selbstorganisation in Form von Arbeitsgemeinschaften auf Landes- und Bundesebene und auch internationalen Austausch. Anfang 2018 gegründete sich die AG Provenienzforschung in Sachsen. Das zeigt, wie wichtig den Engagierten das Thema ist. Aber es kann nicht sein, dass sich die Staatsregierung darauf stützt, dass diese wichtige Arbeit von den Forschenden komplett nach Feierabend geleistet werden soll.

Wir reden für den laufenden Haushalt nicht von 66 Stellen wie anfangs bei Daphne an den SKD. Es geht um zunächst eine Stelle, um den Forschungsbedarf zu ermitteln. Und es geht uns um juristische Beratung und Unterstützung von Kommunen, wie im aktuellen Fall in Bautzen, wo von der Erbin eine gütliche Einigung vorgeschlagen wurde, die nun aber noch in Vertragsform gebracht werden muss.

Eine Koordinierungsstelle für die Provenienzforschung in Sachsen könnte z.B. an der Sächsischen Landesfachstelle für Bibliotheken angesiedelt sein.

Ein eigenes Forschungsprogramm für öffentliche Bibliotheken wäre ein Zeichen, dass in Sachsen das Wort ‚Verantwortung‘ keine leere Hülle ist, sondern dass wir Unrecht aufarbeiten und aus der Geschichte für die Zukunft lernen. Ich bitte all diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen, denen die Aufarbeitung von Unrecht, Verfolgung, Enteignung in der Zeit des Nationalsozialismus in Sachsen wichtig ist, diesem Antrag zuzustimmen.
» Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag ‚Erforschung und Rückgabe von NS-Raubgut an öffentlichen Bibliotheken in Sachsen voranbringen‘ (Drs 6/17064)
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