Rundfunkstaatsvertrag – Maicher: Wer ohne Denkverbote analysieren will, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben in der Gesellschaft erfüllen will, schafft ihn nicht zuerst ab!

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (GRÜNE) zum Prioritätenantrag der AfD-Fraktion:
"Kündigung des Rundfunkstaatsvertrages" (Drs 6/7086)
47. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 16. Dezember 2016, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieser Antrag und die Inszenierung drumherum sagt mehr über die Antragstellerin aus, als dass er eine inhaltliche Debatte über ein sehr relevantes Thema unserer Zeit zulässt.
Ihr Debattentitel kann es nicht verbergen: Sie wollen die Axt an den öffentlichen Rundfunk legen.
Warum eigentlich, da AfD-Politikerinnen und -Politiker doch sehr oft in öffentlichen Medien in Talkshows sitzen und interviewt werden? Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk aussehen soll, dazu können Sie nichts sagen. Stattdessen zwingen Sie allen im Land eine selbstreferentielle Debatte auf. Selbstreferentiell ist die ganze Inszenierung aus folgenden drei Gründen:
ERSTENS. Sie befinden sich in einer blauen Blase, in ihrem Echoraum. Denn für wen sprechen Sie denn, wenn Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen wollen?
Sie wissen sicher, dass die öffentlich-rechtlichen Medien in Sachsen ein sehr hohes Vertrauen genießen? Der Sachsen-Monitor hat das gerade wieder bestätigt: 75 % der Befragten erklärten sie für sehr glaubwürdig bzw. eher glaubwürdig. Und das zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen.
Durch alle? Nein, ich korrigiere: bei Menschen mit einem hohen Grad an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist das Vertrauen deutlich geringer.
Wie selbstreferentiell Sie arbeiten, zeigt sich auch in Ihrer Antragsbegründung: „Der Begriff der ‚Lügenpresse‘ wurde in diesem Zusammenhang wiederbelebt, Begriffe wie ‚Pinocchiopresse‘ und ‚Lückenpresse‘ traten hinzu.“ Sie haben den Begriff im letzten November – lächerlich, verachtend – immer wieder benutzt. Und weil er immer wieder von Ihnen benutzt wird, dient er jetzt als Begründung, für die vermeintliche Unzufriedenheit der BürgerInnen?
Frau Petry, Sie wollen einen Rundfunk, der die Ereignisse berichtet, die Sie wichtig finden. Zur Differenzierung reicht es bei Ihnen nicht. Das ist charakteristisch für Populismus. Da gibt es nämlich keine Überprüfung von behaupteten Fakten. Da reicht es, dafür oder dagegen zu sein.
Sie sind frustriert, weil die Medien sich nicht Ihrer Meinung unterwerfen. Aber da haben Sie etwas nicht verstanden! Die Aufgabe von Medien ist es, Meinungsvielfalt zu ermöglichen. Guter, qualitativ hochwertiger Journalismus heißt: auswählen und überprüfen.
Sie fühlen sich dort wohl, wo viele Menschen nicht mehr so einfach zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden können.
Aus Ihrem geistigen Umfeld erwachsen die Fake-News.
Diesen Zustand in der öffentlichen Debatte wollen Sie etablieren. Dabei stört der Faktencheck. Sie fürchten den Qualitätsjournalismus – auch in privaten Medien.
ZWEITENS. Sie ignorieren die zahlreichen Urteile der Gerichte. Zweifeln Sie die an? Erst im März hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Rundfunkbeitragsvertrag absolut verfassungsgemäß ist. Welchen Grund soll die Staatsregierung haben, einen verfassungsgemäßen Staatsvertrag zu kündigen?
Ähnlich verhält es sich mit den anderen Staatsverträgen.
DRITTENS. Sie meinen es nicht ernst. Sie wollen nur in die Nachrichtensendungen kommen. Sie reichen erst diesen Antrag ein: Kündigung des Rundfunkstaatsvertrages. Sie können nichts dazu sagen, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk aussehen soll. Und danach merken Sie, dass Sie vieles nicht wissen, und fragen mittels einer Großen Anfrage Fakten nach.
Wer aber ohne Denkverbote analysieren will, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben in der Gesellschaft erfüllen will, schafft ihn nicht zuerst ab.
Es wurde schon viel zu den Aufgaben und Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesagt. Ich möchte auf eine besonders eingehen: Der öffentlich rechtliche Rundfunk ist für unsere Demokratie genauso essentiell wie eine lebendige und sachliche Streitkultur, der Schutz von Minderheiten oder die Ermöglichung von Teilhabe aller Menschen an unserer Gesellschaft.
Teilhabe ist auch ein wichtiger Grund warum wir einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen. ARD und ZDF untertiteln mittlerweile mehr als 90 Prozent ihres Programms und übersetzen Nachrichten in Gebärdensprache. Auch Menschen mit Sehschwäche können Filme und Sendungen in speziellen Formaten hören. Das geht aus dem ARD Bericht 2013/14 hervor, der online auf der Website der ARD abrufbar ist. Audiodeskription oder Untertitelung ist ein Service den private Sender gar nicht oder nur in einem sehr geringen Maß bieten können.
Klar lässt sich immer über Qualität und Programmauswahl streiten, es lässt sich auch über die Fehlerkultur im Rundfunk streiten. Das machen übrigens Journalisten und Rundfunkanstalten inzwischen immer stärker.
Die Kritik, dass nicht alles perfekt ist, beispielsweise im Hinblick auf eine paritätische und vielfältige Besetzung der Gremien von Landesrundfunkanstalten wie dem Mitteldeutschen Rundfunk, hat meine Fraktion bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht. Aber im Gegensatz zu dem populistischen und unprofessionellem Vorgehen der Fraktion der AfD zieht meine Fraktion es vor, eine sachliche Debatte zu führen und bei Kritik an anderen eigene Lösungsvorschläge zu Verbesserung zu unterbreiten.
Die sinnlose Hau-Drauf-Mentalität der Fraktion AfD trägt vielleicht zur Erheiterung der Netzgemeinde bei oder sorgt für Unterhaltung im Kabarett, aber politisch und gesellschaftlich halte ich dieses Vorgehen im wahrsten Sinne des Wortes für brandgefährlich.

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