Überwindung der Russland-Saktionen – Günther: Der Ball des Handelns liegt in Russland

Redebeitrag des Abgeordneten Wolfram Günther zum Antrag der Fraktion DIE LINKE:
"‘Wandel durch Annäherung‘: Initiative Sachsens zur Normalisierung der Beziehungen zu Russland und zur Überwindung der Russland-Sanktionen", Drs 6/18011, 3. Juli TOP 13

– Es gilt das gesprochene Wort –
Seht geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Es gibt Anträge, angesichts derer ich mich äußerst unwohl fühle, weil ich glaube, auch manche Mitglieder dieses Hauses entfernen sich einfach viel zu weit weg von den Werten, die uns eigentlich verbinden sollten, Werten, die etwas mit Frieden zu tun haben, mit dem Einhalten von Verträgen, die die Grundlage dafür sind, dass wir hier überhaupt so zusammenleben können.
Man muss ja einmal überlegen: Was ist denn überhaupt der Anlass, warum gibt es denn diese Sanktionen? Es gibt sie nicht, weil die NATO, sondern weil Russland mitten im Frieden einfach Land erobert hat, so die Krim 2014, weil es danach die Ostukraine verdeckt attackiert hat und teilweise selbst einmarschiert ist. Es gab Pläne — das lief unter „Neurussland“; da sollte ja nicht Schluss sein —‚ die Landbrücke zur Krim herzustellen, bis hin zur ganzen Schwarzmeerküste, bis zu Odessa. Das ist ja alles noch nicht lange her. Das wurde in Staatsmedien dort breitgetreten.
Der Abschuss von MH17, einem Ferienflugzeug mit 298 Menschen, darunter auch vier deutschen Staatsbürgern, die friedlich von Amsterdam nach Malaysia in den Urlaub fliegen wollten, war der Grund, warum die Sanktionen eingeführt wurden und warum sie auch noch einmal verschärft worden sind. An diesen Zuständen hat sich noch nichts geändert. Da ist der Auftrag doch ganz klar, wer sich hier ändern muss — sicherlich nicht wir, sondern diejenigen, die Krieg führen.
Wenn man sich einmal den Inhalt der europäischen Sanktionen anguckt, findet man die Antwort auf die Frage, was darin überhaupt steht: Finazsanktionen gegen russische Personenorganisationen, ein Waffenembargo hinsichtlich der Dual-Use Güter, sodass man dorthin eben nichts exportiert, was man auch für Krieg einsetzen kann. Ausrüstungsgüter, Technik Erdölförderung. All diese Dinge sind nach wie vor hochvernünftig. Aber es hat sich von russischer Seite noch nichts getan.
Man darf ebenso an Folgendes erinnern: Es gab auch das Minsker Abkommen, wie man da einen Waffenstillstand hinbekommen will; 2015 hat Russland unterzeichnet. Seitdem gibt es, bis heute anhaltend, täglich Tote, über 10 000 Tote in der Ostukraine. Da frage ich mich doch: Was ist denn die Antwort von unserer Seite? — Interessiert uns nicht, uns geht es um Wirtschaft, ist nicht so schlimm, dass man mal Land erobert, und das in dieser Zeit, 2014. Für mich ist so etwas wirklich undenkbar.

Das gilt auch, wenn man sich die Folgen anguckt. Da wird so getan, als ginge Russland wegen dieser Sanktionen ein — ich hatte es gerade angesprochen —‚ deswegen weil wir keine Rüstungsgüter dorthin exportieren. Das glaube ich kaum.
Die hauptsächlichen wirtschaftlichen Gründe, worum es in Russland nach unten geht, haben etwas mit eigener Politik zu tun, mit dem Verfall des Rubel. Es hat ebenso etwas mit dem ölpreisverfall, aber auch mit der Wirtschaft zu tun. Es gibt dort eine Strategie, Importe zu substituieren. Das ist die Strategie mancher in Russland; gerade im letzten Jahr war ich auch zweimal dort. Das ist ein willkommener Anlass, unabhängiger von uns zu werden.

Warum geht es den Menschen in Russland schlecht? Sicherlich nicht wegen der Sanktionen, sondern deshalb, wie der Kollege der SPD gerade erwähnt hat, weil das ein frühkapitalistisches System ist, wo Oligarchen ihre Mitbürger einfach auspressen.
Das ist der Grund, warum es den Leuten dort schlecht geht. Da gibt es auch keine Werte, die mich mit einer solchen Regierung verbinden

Wir dürfen auch einmal daran erinnern, dass auch 2014 nicht irgendwie vom Himmel gefallen ist: Republik Moldau, Transnistrien, seit 1990/1992 Krieg geführt—dort stehen faktisch russische Truppen —‚ eine Bananenrepublik in einem europäischen Land, Moldawien, Georgien, Abchasien, seit 1993 miKrieg, Südossetien, 2008 Kaukasus-Krieg, von Russland faktisch erobert. Das alles sind Folgen. Da gab es nie so ein Einschreiten über Sanktionen.
Dann endlich bei der Krim erfolgte einmal eine zivilisierte Antwort des Westens. Dazu wird immer die Frage gestellt, was das denn gebracht habe. — Ich habe es ja schon erwähnt: Etwa diese Pläne mit Neurussiand wären weitet versucht worden umzusetzen. Genau dies hat es seitdem nicht mehr gegeben. Trotz tagtäglich weiterer Toter dort ist zumindest dieses Erobern aufgehalten worden, und das ist ein riesiger Erfolg.
Wenn es um Verträge geht, erinnere ich auch noch an das Budapester Memorandum von 1994. Darin haben sich Russland zusammen mit den USA und Großbritannien gegenüber Kasachstan, Weißrussland und Ukraine völkerrechtlich verpflichtet, im Gegenzug dazu, dass diese Länder ihre Atomraketen abgeben, für deren Souveränität einzustehen und für deren Grenzen zu bürgen. Das hat Russland unterschrieben, und dieses Land erobert 20 Jahre später Territorium. Das ist undenkbar.

Vor dem Hintergrund sage ich, gerichtet auch an DIE LINKE — Molotow-Ribbentrop sagt vielleicht noch etwas, Hitler/Stalin, 1939—, weil wir hier ja von NATO-Truppen in Osteuropa sprechen: Wenn Sie nach Polen oder ins Baltikum gehen, so hat man dort eine ganz andere Sicht darauf. Da wurde Osteuropa einmal aufgeteilt. Das ist dort bei den Leuten noch aktuell in der Erinnerung. Da haben wir auch eine Verantwortung. 1939 ist Russland dort einmarschiert, 1940 im Baltikum, 1939/40 gab es im Winter den Finnlandkrieg. Das alles sind Erfahrungen, ebenso das Geschehen 1979 bis 1989 in Afghanistan. Das kam noch vor dem, was ich vorhin als Ereignisse in Europa erwähnt hatte.

Es gibt eine ungute Tradition, dass Russland in seinen Nachbarstaaten einfach  einfällt und etwas erobert, und 2014 haben wir endlich einmal reagiert; das war überfällig. Wir haben zivilisiert reagiert — auch das wurde gesagt —‚ eben nicht mehr mit Krieg und mit Truppen, sondern mit Sanktionen. Friedlicher geht es ja wohl kaum.
Jeder, der jetzt sagt, wir müssten von uns dazu kommen, das aufzuheben, der sollte die Frage beantworten, ob man denn, wenn so etwas passiert, wenn nach wie vor Krieg geführt wird, wenn nach wie vor die Krim erobert ist, einfach vorbehaltlos von unserer Seite sagen kann, wir müssten entgegenkommen und erst einmal Sanktionen aufheben. Wie sollte die zivilisierte Gemeinschaft darauf reagieren, wenn andere Länder Nachbarländer überfallen und Land erobern und dort Krieg führen, wenn hier selbst Sanktionen zu viel sind?

Ich kann das schlichtweg nicht nachvollziehen, und der Ball des Handelns liegt in Russland. — Wir lehnen Ihren Antrag ab.

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