Volkmar Zschocke: Die Staatsregierung stellt sich den Fragen der Zukunft nur inkonsequent und viel zu spät
Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Entwurf des Doppelhaushalts 2017/2018
Gesetzentwürfe der Staatsregierung (Drs 6/5550 und 6/5551)
38. Sitzung des Sächsischen Landtags, 11. August 2016, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
der vorgelegte Entwurf verspricht mehr Geld für alle.
Der Finanzminister sagt, alle Zukunftsthemen sind identifiziert und werden deutlich unterstützt.
Was sind eigentlich die zentralen Zukunftsthemen in Sachsen?
Ich sehe sechs Herausforderungen:
Erstens:
Schafft es die Regierung, für alle Bereiche der Landesverwaltung künftig noch ausreichend, kompetentes Personal zu finden, um einen funktionierenden, bürgernahen Staat sicherzustellen?
Zweitens:
Wird der Engpass an Arbeitskräften in der sächsischen Wirtschaft überwunden und die technologische Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesichert?
Drittens:
Zieht Sachsen die richtigen Konsequenzen aus dem Weltklimagipfel in Paris? Werden die Weichen dafür im Haushalt umgestellt?
Viertens:
Werden der dramatische Verlust von Tier- und Pflanzenarten, zunehmender Flächenverbrauch, Zerstörung von Lebensräumen, Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser gestoppt?
Fünftens:
Wird allen Kindern gute Bildung ermöglicht – durch ausreichend qualifiziertes, nicht permanent überlastetes Personal?
Sechstens:
Können alle Menschen, die hier leben und Schutz suchen, in Würde, Freiheit und ohne Angst leben? Wird Respekt für verschiedene Lebensweisen und Toleranz gefördert?
Meine Damen und Herren,
zunächst zum Personal:
Hier soll künftig mehr Geld ausgeben werden. Es bleibt allerdings ein Rätsel, wie der enorme Neueinstellungsbedarf, der durch Altersabgänge bis 2030 entsteht, gedeckt werden soll.
Dazu müssten ab sofort in jedem Jahr Einstellungen in Größenordnungen erfolgen. Die sind aber nicht annähernd im Entwurf abgebildet.
Viel zu lange wurde gezögert, die verantwortungslose Streichung der Polizeistellen rückgängig zu machen.
Der Finanzminister hat dies dann auch noch blockiert.
Das viel zu späte Umsteuern verunsichert Bevölkerung und Polizei. Es wird Jahre dauern, bis die Polizei wieder in angemessener Personalstärke agieren kann.
Dringend muss auch Justizpersonal aufgestockt werden.
Doch das lange Zögern der Staatsregierung macht es nun schwerer, gute Leute zu gewinnen. Der Wettbewerb um die Köpfe steigt. Sachsen ist nicht das einzige Bundesland, was Personal für den öffentlichen Dienst sucht.
Ich sage es deutlich:
Die Weichen hin zu einer nachhaltigen, tragfähigen Personalplanung für die nächsten zwei Jahrzehnte müssen jetzt richtig gestellt werden – sonst ist es zu spät!
Meine Damen und Herren,
die Steuereinnahmen, aus denen die Staatsregierung schöpft, hat sie nicht selbst erwirtschaftet. Viele erfolgreiche sächsische Unternehmen tragen dazu bei.
Die Staatsregierung verweist stolz darauf, 1,6 Milliarden Euro für sächsische Mikroelektronik-Projekte zur Verfügung zu stellen.
Das ist gut, aber nicht nur in diesem Bereich entscheidet sich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am gelingenden Transfer von technologischen Neuerungen. Wir Landespolitiker – der Wirtschaftsminister hat dies im Sommer auch versucht – müssen uns noch viel mehr mit den Akteuren unmittelbar austauschen, welche Bedingungen sie für ihre Projekte und Innovationen benötigen, wie sie besser gefördert und unterstützt werden können.
Viele KMU suchen zudem dringend Arbeitskräfte. Sie haben oft nicht die Ressourcen, die komplizierten Hürden bei der Integration von Asylbewerbern zu überwinden.
Ich kann nur hoffen, dass die „Wissenschaftsinitiative Integration“ sowie das Programm „Arbeitsmarktmentoren für Geflüchtete“ spätestens mit dem neuen Doppelhaushalt in Gang kommen.
Gute Standort- und Ansiedlungsbedingungen entstehen nicht durch noch mehr Beton. Im Gegenteil: Beim Straßennetz gibt es kaum noch Nachholebedarf, umso mehr aber beim digitalen Netz.
Hier muss wesentlich mehr getan werden, um die Unternehmen in allen sächsischen Regionen mit schnellem Internet zu versorgen. Wir wollen nicht, dass die wirtschaftlichen Chancen der Digitalisierung an Sachsen vorüberziehen.
Meine Damen und Herren,
die Beschlüsse der Pariser Weltklimakonferenz haben unmittelbare Konsequenzen für das Handeln in Sachsen.
Das hat die Staatsregierung noch nicht realisiert.
Wie alle Regionen muss auch Sachsen in den nächsten drei Jahrzehnten aufhören, fossile Rohstoffe zu verbrennen – also zum Beispiel Gebäude ohne Öl und Erdgas zu heizen oder zu kühlen.
Schauen Sie sich den Gebäudebestand an, von mir aus nur den der Landesverwaltung. Wie wollen Sie das schaffen, wenn Sie nicht jetzt konsequent beginnen?
Wie trägt dieser Haushaltsentwurf dazu bei, die CO2-Emissionen rasch zu senken?
Es ist ähnlich wie bei der wenig vorausschauenden Personalplanung: Was Sie heute nicht bereit sind zu investieren, wird am Ende teurer. Aber wer keine Strategien zur schrittweisen CO2-Reduzierung hat – egal ob dies den Gebäudebestand betrifft oder Landwirtschaft, Energieversorgung, Verkehr, der kann die notwendigen Haushaltsmittel auch nicht systematisch planen.
Auch ein solide finanziertes Konzept für den Strukturwandel in den Kohleregionen müsste in künftige Landeshaushalte regelmäßig eingeplant werden.
Stattdessen wird auf wichtige Einnahmen durch Förder- und Wasserentnahmeabgaben verzichtet und die Kohle so weiter subventioniert.
Dem großen Zukunftsthema Klimaschutz wird dieser Haushaltsentwurf nicht gerecht.
Ähnlich verhält es sich bei den Zukunftsthemen Umwelt, Natur- und Ressourcenschutz.
Wenn wertvolle Arten vollständig verschwunden sind, wenn Ökosysteme so belastet sind, dass sie die für uns überlebenswichtigen Leistungen kaum noch erbringen, können die Probleme mit Haushaltsmitteln gar nicht mehr gelöst werden.
Ohne ausreichende Vorsorge im Rahmen der Haushalts- und Förderpolitik wird auch hier der Schaden am Ende erheblich größer sein.
Meine Damen und Herren,
für Kitas und Schulen soll so viel Geld ausgeben werden, wie angeblich noch nie. Doch warum jubelt kaum jemand im Land?
Spätestens mit der Einschulung ihrer Kinder in diesem Jahr ist auch den letzten Eltern klar, dass mehr Geld und Stellen noch lange nicht dazu führen, dass vor jeder Klasse eine ausgebildete Lehrkraft steht. Denn genau diese sind inzwischen extrem rar geworden.
Die Entwicklung war seit zehn Jahren absehbar. Wir haben Ihnen das immer wieder vorgerechnet.
Selbst innerhalb der CDU-Fraktion haben Abgeordnete wie Thomas Colditz wieder und wieder vor dieser Situation gewarnt. Ein konsequentes Umdenken ist aber bei den Finanzpolitikern der CDU immer noch nicht erkennbar, weder im Ministerium, noch in der Fraktion.
Sie haben es ignorant über Jahre ausgesessen – jetzt ist es zu spät, Sie sind nicht mehr handlungsfähig.
Und die Kollegen der SPD frage ich: Wo sind eigentlich die Grenzen der Koalitionsdisziplin?
Meine Damen und Herren,
die Ausgaben für Asyl und Integration sind mit einem eigenen Budget im Haushalt dargestellt.
Der Sieben-Punkte-Plan von Ministerin Köpping enthält gute Ansätze, etwa bei der angekündigten Förderung regionaler und lokaler Initiativen. Es reicht aber nicht, allein Fördermittel bereit zu stellen. Gelingende Integration braucht Offenheit auf allen Seiten. Gelingende Integration braucht vor allem eine klare gemeinsame Haltung der Koalition. Die vermisse ich zuweilen.
Die Staatsregierung hat nach der Serie fremdenfeindlicher Übergriffe ein Paket von Maßnahmen für den Doppelhaushalt angekündigt.
Auch hier steht fest, dass mehr Geld alleine die Probleme nicht löst. Notwendig ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer Politik auf Augenhöhe mit Bürgern und Zivilgesellschaft. Es reicht zum Beispiel nicht, die Förderrichtlinie „Weltoffenes Sachsen“ finanziell besser auszustatten.
Auch unsinnige bürokratische Hürden und gängelnde Auflagen müssen abgebaut werden. Die Projekte brauchen zudem klare, mehrjährige Förderperspektiven.
Auch Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien in schwierigen Lebenssituationen, präventive Hilfen müssen verlässlich finanziert werden.
Wenn es nicht gelingt, den sozialen Zusammenhalt in Sachsen zu stärken, werden auch hier die Folgekosten durch die Decke gehen.
In der Vergangenheit kamen großartig verkündete Fördermittel bei den Trägern aber oft nicht oder viel zu spät an.
Erst mehr Mittel einplanen und sich dafür loben lassen, dann aber hohe Hürden aufbauen, damit die Mittel nicht abfließen und eingespart werden können – das ist ein schlechtes Spiel. Das muss ein Ende haben!
Meine Damen und Herren,
Die Staatsregierung gibt vor, sich den entscheidenden Zukunftsfragen zu stellen.
Sie tut dies aber nur inkonsequent und viel zu spät.
Ob all die Ankündigungen am Ende auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten und öffentlich zu überprüfen.
Vielen Dank!
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