Whistleblower, die die Öffentlichkeit zur Abwehr schwerer Gefahren informieren, dürfen keine Nachteile erleiden

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE: "Gesetz über den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern im Freistaat Sachsen (Whistleblower-Schutzgesetz)" (Drs. 6/13335)
73. Sitzung des Sächsischen Landtags, 31. Mai, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –  

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

der US-amerikanische Whistleblower und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat sich vor fast auf den Tag genau fünf Jahren an die Öffentlichkeit gewandt und das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten bekannt gemacht.
Der amerikanische und der britische Geheimdienst haben über Jahre im großen Umfang die Telekommunikation und das Internet überwacht, die gewonnen Erkenntnisse gespeichert und damit gezielte Wirtschafts- und Politik-Spionage betrieben. Zu den Spähzielen des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst "NSA" gehörten u.a. vertrauliche Gespräche der Bundeskanzlerin, sowie weitere knapp 70 Telefonnummern insbesondere des Wirtschafts- und Landwirtschaftsministeriums. Auch deutsche Geheimdienstbehörden lieferten und liefern regelmäßig Erkenntnisse an die NSA.
Vielleicht sollten spätestens an dieser Stelle diejenigen, die immer tönen, dass sie nichts zu verbergen, also auch nichts zu befürchten haben, über die Sinnlosigkeit ihres Argumentes nachdenken.

Der Fall Snowden hat uns gezeigt, wie wichtig es im öffentlichen Interesse und zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft ist, dass es Menschen gibt, die sich bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit, bei Erkenntnissen über eine erhebliche Straftat oder einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit, das Persönlichkeitsrecht, die Freiheit der Person, die Stabilität des Finanzsystems oder die Umwelt über ihre Pflicht zur dienstlichen Verschwiegenheit hinwegsetzen.

Das Ausmaß der anlasslosen Überwachung durch den Geheimdienst, die Erkenntnisse zum Dieselskandal, Luxleaks, Panama Papers oder Cambridge Analytica wären ohne mutige Whistleblower wohl nie ans Licht gekommen. Whistleblower nehmen Verantwortung wahr und bezahlen dies in der Regel teuer – wenn nicht mit ihrer Freiheit so doch mindestens mit dem Ende ihrer Karriere oder beruflichen Existenz, denn sie werden nicht gesetzlich geschützt.

Stellen Sie sich vor, es gäbe auch in Sachsen einen Edward Snowden, jemanden, der über erhebliche Missstände in Behörden Bescheid weiß, der auf dem Dienstweg alles Erdenkliche unternommen hat, um diese Missstände zu beseitigen; aber der von seinen Vorgesetzten ignoriert wird, weil diese das Fehlverhalten decken oder ignorieren.
Auch in Sachsen müsste diese Person mit erheblichen Strafen rechnen, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wendet. Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf ändern.

In Erwägung solcher Gründe hatte jüngst die EU-Kommission einen Entwurf über eine Richtlinie zur Stärkung des Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern in Europa vorgelegt. Auch auf der Bundesebene gab und gibt es immer wieder Vorstöße, den Schutz von Whistleblowern in Deutschland zu verbessern. Dafür müssen in erster Linie Bundesgesetze im Bereich des Arbeitsrechts, des Strafrechts und des Beamtenstatusrechts geändert werden.

Gleichwohl haben wir GRÜNEN einen Bereich ausgemacht, den wir als Landesgesetzgeber zum Schutz von Whistleblowern im öffentlichen Dienst regeln können und wo der Freistaat den Schutz von Whistleblowern verbessern kann. Wir können uns nicht immer in Sachsen einen schlanken Fuß machen und auf andere hoffen. Wir müssen in dem Bereich, für den wir zuständig sind, in unserem eigenen Laden Innovationen umsetzen. Sachsen kann auch mal Vorreiter und muss nicht immer nur Nachzügler sein.

Mit der Änderung des Sächsischen Beamtengesetzes und des Disziplinargesetzes schlagen wir vor, dass Whistleblower strafrechtlich und disziplinarrechtlich nicht verfolgt werden, wenn sie ihre Verschwiegenheitspflicht verletzen und sich mit ihrer Kenntnis von erheblichen Straftaten oder Gefahren an ihre Vorgesetzten oder die Öffentlichkeit wenden. Die in diesem Fall nicht zu erteilende Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353b Abs. 4 Strafgesetzbuch gewährt den notwendigen Schutz.

Wir knüpfen diese Privilegierung an enge Voraussetzungen um einen angemessenen Ausgleich zwischen Dienstpflicht und Offenbarungsinteresse herzustellen. Es geht hier nicht darum, dass die Bediensteten des Freistaates demnächst eine Standleitung in die Redaktionen haben oder bei Kaffeekränzchen munter Dienstgeheimnisse ausplaudern. Nein: Es geht um den Schutz extremer Einzelfälle, in denen es geboten ist, die Öffentlichkeit zur Abwehr schwerer Gefahren für uns alle zu informieren.

Zugleich stellen wir klar, dass den Beamtinnen und Beamten durch ihre Offenbarung keine Nachteile entstehen dürfen und der Dienstherr die Beweislast dafür trägt.

Wir schaffen zudem die gesetzliche Grundlage für die Bestellung einer Vertrauensanwältin oder eines Vertrauensanwalts, an die oder den sich Bedienstete wegen des begründeten Verdachts einer Korruptionsstraftat wenden können. Wir nutzen dazu die Öffnungsklausel des § 37 Beamtenstatusgesetz. Alternativ oder kumulativ kann aber auch ein elektronisches System zur Kommunikation mit anonymen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern eingerichtet werden. Ein solches System ist – nebenbei bemerkt – in vielen Behörden anderer Bundesländer Standard. Mir ist vollkommen unverständlich, warum es so etwas in Sachsen noch nicht gibt. Zu glauben, Sachsens Bedienstete wären so etwas wie "Heilige" ist töricht. Deswegen braucht es entsprechende Mechanismen auch im Freistaat.

Nicht zuletzt nehmen wir zwei Änderungen im Vergaberecht und in der Haushaltsordnung vor, die darauf abzielen, dass – sowohl in den Beteiligungen des Freistaates als auch in von der öffentlichen Hand beauftragten Unternehmen – betriebsinterne Hinweisgebersysteme zur Aufklärung von Missständen errichtet sind und der erforderliche Schutz von Whistleblowern vor Benachteiligungen ergriffen wird. Für uns ist klar: Wer als Unternehmen öffentliches Geld erhält, muss Whistleblower schützen.

Wir alle haben vor wenigen Wochen von der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner Lebensgefährtin erfahren. Erst im vergangenen Herbst ist die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia von einer Autobombe getötet worden. Beide Journalisten recherchierten zu Verbindungen von Politik, prominenten Unternehmen, organisierter Kriminalität und Steuerhinterziehung.
Vera Jourová, die EU-Kommissarin für Justiz, betonte aus Anlass dieser Verbrechen, dass Whistleblower investigativen Journalistinnen und Journalisten als Quelle dienen und damit dazu beitragen, dass die Meinungsfreiheit und die Medienfreiheit in Europa gewahrt bleiben.

Der Schutz von Whistleblowern ist in anderen Staaten eine existenzielle Frage des Schutzes von Lebens und körperlicher Unversehrtheit. Sicher leben wir in Sachsen diesbezüglich in einer anderen Situation. Aber lassen Sie uns mutig vorangehen – es braucht in Deutschland, ja in Europa, gute Vorbilder, die zeigen, wie es geht. Sachsen kann ein solches Vorbild sein. Unser Gesetzentwurf ist hierfür ein erster Schritt.

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