Wolfram Günther: Es ist keine „grüne Demagogie“, sondern ein Gebot der Vernunft, mehr für den Ökolandbau zu tun.

Redebausteine des Abgeordneten Wolfram Günther zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
"Strategie zur Ökolandbauförderung in Sachsen entwickeln" (Drs 6/3477)
26. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. Dezember 2015, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit dem Vertrag von Rom 1957 wollten die europäischen Staaten die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts steigern, einen angemessenen Lebensstandard und höhere Einkommen gewährleisten sowie die Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln sicherstellen.
Dem ökologischen Landbau stand man damals gleichgültig bis abweisend gegenüber, denn er wurde als Bedrohung der damaligen Agrarpolitik verstanden. Als sich jedoch die Probleme der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Form von Überproduktion und Umweltproblemen zeigten, gewann der ökologische Landbau an Glaubwürdigkeit. Insbesondere in den deutschsprachigen und nordischen Ländern erkannte man den Biolandbau als Alternative zur weiteren Intensivierung sowie dessen Beiträge zum Umweltschutz und zur ländlichen Entwicklung. Das Interesse der Verbraucher an Biolebensmitteln stieg und steigt seit dem.
Die Sächsische Landwirtschaftspolitik wurde in der Vergangenheit meist von Akteuren dominiert, deren Verständnis von Landwirtschaft aus der Zeit des Vertrages von Rom herrührt.
Mit Thomas Schmidt führt nun einen Agrarminister das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium, der den Stellenwert des Ökolandbaus erkannt hat und weiß, dass dieser keine ‚Museumslandwirtschaft‘ ist. Aufgrund moderner Verfahren stellt er vielmehr hohe fachliche Anforderungen an den Berufsstand. Biolandbau setzt angepasstes Saatgut und Tierrassen ein, geht neue Wege in der Düngung und hat alternative Verfahren der mechanischen Unkrautbekämpfung entwickelt. Aufgrund der wenigen erlaubten Zusatzstoffe haben auch die Verarbeiter an innovativen Lösungen gearbeitet, um ihre Produkte haltbar zu machen.
In der Broschüre "Ökologischer Landbau – Was? Wie? Warum?" trägt die Staatsregierung der Entwicklung des Ökolandbaus in Sachsen Rechnung:
"Die sächsischen Verbraucher können auf ein von Jahr zu Jahr größer gewordenes regionales Angebot bei Ökolebensmitteln zurückgreifen, denn der ökologische Landbau hat sich in Sachsen erfolgreich entwickelt. So stieg in den letzten zehn Jahren die Anzahl der ökologischen Unternehmen um mehr als das Doppelte. Die ökologisch bewirtschaftete Fläche erhöhte sich um 80 Prozent."
Im gerade aktualisierten Konzept "Ökologischer Landbau im Freistaat Sachsen" wird die Erfolgsgeschichte noch deutlicher:
"Die ökologisch bewirtschaftete Fläche ist von 12.776 ha im Jahr 1999 auf 36.663 ha im Jahr 2014 gestiegen, also um 23.887 ha bzw. 187 Prozent. […] Die Anzahl der Betriebe hat sich im selben Zeitraum von 184 auf 526 erhöht. Die absolute Zunahme um 342 Betriebe entspricht einer prozentualen Steigerung um 186 Prozent."
In nur zehn Jahren stieg der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche um 187 Prozent! Dieses Maß der Planübererfüllung ruft in einem DDR-Bürger so einige Erinnerungen wach. Oder, um es anders zu sagen: "Statistiken liefern die Fakten, mit denen die Wahrheit glaubwürdig verschleiert werden kann."
Wie es mit dem sächsischen Ökolandbau tatsächlich aussieht, zeigt erst der Vergleich mit den anderen Bundesländern. 2014 betrug der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland 6,5 Prozent. Die 4 Prozent in Sachsen entsprechen knapp 62 Prozent des Bundesdurchschnitts. Der Anteil ökologisch bewirtschafteter Fläche in Sachsen ist im Vergleich zu den anderen deutschen Flächenländern heißer Anwärter auf die rote Laterne. Nur das kleine Saarland liegt hinter uns. Während in Bayern 215.000 ha ökologisch bewirtschaftet werden, freut sich die Staatsregierung in Sachsen über knapp 37.000 ha. Das sind 17 Prozent der Ökofläche Bayerns. Auch im Vergleich der ökologisch bewirtschafteten Fläche mit der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche kommt Sachsen mit 4 Prozent schlecht weg. Nur Niedersachsen, das Kernland der Massentierhaltung kann das noch unterbieten.
Vor dem Hintergrund der gewachsenen Bedeutung des Ökolandbaus ist dieser Zustand nicht hinnehmbar. Laut Aussage der Staatsregierung wurden 2014 über 7,91 Milliarden Euro Umsatz mit Öko-Lebensmitteln in Deutschland erzielt. Doch das regionale Angebot kann der wachsenden Nachfrage nicht folgen. Hohe Importanteile bei Bio-Getreide, Proteinpflanzen, Kartoffeln, Äpfeln und weiteren pflanzlichen Erzeugnissen, aber auch bei Schweinefleisch, Eiern oder Milch lassen auf ungenutzte Entwicklungspotenziale schließen. Im Konzept "Ökologischer Landbau im Freistaat Sachsen" wird darauf verwiesen, dass sich ein begrenztes Rohstoffaufkommen und zu geringe Verarbeitungskapazitäten wechselseitig hemmend auf die Entwicklung des heimischen Angebots an Öko-Erzeugnissen auswirken.
Die Analyse ist treffend. Allerdings sind die Schlussfolgerungen der Staatsregierung daraus enttäuschend. Die meint nämlich, für das Problem bereits längst die passende Lösung anzubieten. Gemeint sind diverse Förderprogramme, die es bereits seit längerem gibt. Doch wenn die tatsächlich eine Lösung wären, gäbe es das Problem nicht mehr. Sie merken es vielleicht, irgendetwas stimmt hier schon rein logisch nicht.
Herr Staatsminister Schmidt, um herauszubekommen was das sein könnte, müsste Ihr Haus endlich anfangen, mit den Fachverbänden und Praktikern zu kooperieren, die tagtäglich mit dem Instrumentenkasten der Staatsregierung arbeiten müssen. Nur so kann zielgerichtet nachjustiert und die Förderung an den Bedarf der Ökoproduzenten angepasst werden. Dies würde sich für alle lohnen, denn der Ökolandbau arbeitet nach Kriterien, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Seine Leistungen für den Schutz von Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt sind wissenschaftlich belegt. Durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und mineralische Stickstoffdünger, den er insbesondere durch Anbau von Leguminosen ersetzt, verbraucht der ökologische Landbau auch deutlich weniger fossile Energieträger als die konventionelle Landwirtschaft. Als integrierte Form der Landnutzung bietet er außerdem mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und Perspektiven für die regionale Wirtschaftsentwicklung im ländlichen Raum. Das Wirtschaften in geschlossenen Kreisläufen bietet große Potentiale für die regionale Wertschöpfung. Mit seinen strengen Ansprüchen ist er Vorreiter im Bereich der artgerechten Tierhaltung. Aufgrund der hohen Tierschutzsstandards werden deutlich weniger Medikamente eingesetzt als in der konventionellen Erzeugung. Mit dem konsequenten Ausschluss der Anwendung der Agrogentechnik entspricht er den Vorstellungen von über 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Sehr geehrter Herr Staatsminister Schmidt, es ist keine "grüne Demagogie", vor der Sie Sachsen so gern beschützen wollen. Es ist ein Gebot der Vernunft, mehr für den Ökolandbau zu tun. Eine echte Strategie muss her, die über das Konzept "Ökologischer Landbau im Freistaat Sachsen" hinausgeht, in der ambitionierte Entwicklungsziele formuliert werden und an der die Bäuerinnen und Bauern bzw. die Vertreter der Ökolandbauverbände mitarbeiten.
Im derzeitigen Papier der Staatsregierung sind etliche Handlungsfelder bereits benannt, der Text unter ihnen ist jedoch nicht selten nur ein Platzhalter ohne konkrete Ziele und Umsetzungsschritte.
Da heißt es bspw.: "Anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden weiterhin einen Arbeitsschwerpunkt am LfULG bilden." Noch allgemeiner geht es nicht. Welche Forschungsschwerpunkte wollen Sie denn setzen, um den Ökosektor voranzubringen? Der leidet nämlich an "Forschungsrückstand". Die vielfältigen produktionstechnischen und ökonomischen Herausforderungen erfordern wissenschaftliche Unterstützung. Forschungsbedarf existiert z.B. im Hinblick auf eine ausreichende Pflanzenernährung. Gerade für viehlose Ökobetriebe ist es zwingend, betriebsfremde organische Düngemittel einzusetzen. Nur so können Bodenfruchtbarkeit und Ertragsleistung gesichert werden. Auch zur Entwicklung geeigneter Sorten werden Forschungsprogramme benötigt, ebenso wie zur Züchtung robuster und dauerleistungsfähiger Tiere.
Damit sich die Forschungsergebnisse schnell in der Praxis etablieren und verbreiten, müssen die Förderkonditionen für ökologisch wirtschaftende Betriebe verbessert werden. Dazu ist meist gar nicht mehr Geld notwendig, vorhandenes müsste nur zielgerichteter eingesetzt werden. Die von uns geforderte Wiedereinführung der Umstellungsförderung sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. In den Betrieben geht man fest davon aus, dass die Staatsregierung zu ihrem Wort steht und schnellstmöglich handelt. Handeln könnte sie u.a. auch:
– durch Berücksichtigung von Ökoprodukten in öffentlichen Kantinen, denn staatliche Stellen spielen eine wichtige Vorbildrolle beim Kauf umweltgerechter Waren und Dienstleistungen.
– durch die Abschaffung der Basisförderung für Investitionen in Stallanlagen und gleichzeitiger Erhöhung der Premiumförderung. So würde ausschließlich artgerechte Tierhaltung gefördert und Mitnahmeeffekt für irgendwelche Modernisierungen verhindert. Wir wollen nur noch Haltungssysteme fördern, die besonders artgerecht sind und es den Betrieben auch ermöglichen, zu einem späteren Zeitpunkt in ein Tierwohl‐Label oder sogar in den Ökolandbau zu wechseln. Bisher war dies allzu oft ein Umstellungshindernis.
Voraussetzung für die Entwicklung des Ökolandbaus in Sachsen ist ein offenes Klima sowie Planungssicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen. Dazu zählen neben der verlässlichen Förderkulisse vor allem der Verzicht auf den Anbau gentechnisch manipulierte Organismen (GVO).
Wir wollen, dass sich der Ökolandbau in Sachsen optimal entwickeln kann. Das angestrebte Wachstum soll selbsttragend sein, d.h. nicht auf erhöhten Subventionen beruhen, sondern auf der Wertschätzung durch Gesellschaft und Verbraucher, auf der Honorierung besonderer gesellschaftlicher Leistungen und einer verbesserten Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Es geht ausdrücklich nicht darum, Wachstum "um jeden Preis" zu organisieren. Vorrangig ist es, die Prinzipien des Ökolandbaues konsequent umzusetzen und ihm dadurch eine Vorreiterrolle für die Land- und Lebensmittelwirtschaft zu sichern.
Dafür bitte ich um Ihre Stimme.