Datum: 08. November 2023

Agrarförderung – Zschocke: Der Fokus muss jetzt auf der Absicherung der Betriebe liegen

Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zur Aussprache zur Rede des Landwirtschaftsministers Wolfram Günther zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik
78. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 08.11.2023

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

für die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik stehen im Zeitraum 2021 bis 2027 insgesamt 387 Milliarden Euro zur Verfügung. Da die Verhandlungen auf EU-Ebene nicht zeitgerecht abgeschlossen werden konnten, galten für die beiden Übergangsjahre 2021 und 2022 die alten Vorschriften fort. Die neuen GAP-Regeln gelten nun zum 1. Januar dieses Jahres. Zentrale Elemente der neuen GAP sind ein völlig neues Umsetzungsmodell sowie ein komplett neugestaltetes Zusammenspiel von Öko-Regelungen, Konditionalität und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen.

Ich halte diese Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik für gescheitert. Die GAP ist zu einem Bürokratiemonster angewachsen, was den Landwirten das Wirtschaften erschwert und die Agrarverwaltung überfordert. Während die Ausgestaltung der Regelungen für den Erhalt der Direktzahlungen in der letzten Förderperiode auf weitgehend für alle Mitgliedstaaten gleichen Basisregeln verhandelt wurde, kann jetzt jeder Mitgliedstaat unterschiedliche Maßnahmen anbieten. Das verhindert Wettbewerbsgleichheit für die Produzenten und hat nur noch wenig mit den ursprünglichen Zielen der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik zu tun.

Dazu kommt, dass die GAP zwei Jahre verspätet verabschiedet wurde. Der erstmals notwendige deutsche Strategieplan lag demzufolge auch verspätet vor. Es gab für Verwaltung und Betriebe viel zu wenig Zeit, sich auf die neue Systematik umzustellen. Während in vorangegangenen Förderperioden die Grundlagen der Direktzahlungen ein Jahr im Vorlauf bekannt waren, wurde der GAP-Strategieplan für Deutschland erst Ende November 2022 genehmigt. Statt einem Jahr war also nur noch ein Monat und de facto nur über Weihnachten Zeit bis zum Beginn des ersten Antragsjahres. Und das bei deutlich größerer Komplexität und einer grundlegenden Veränderung des gesamten Antrags- und Kontrollsystems.

All diesen widrigen Umständen zum Trotz haben bundesweit fast 300.000 Betriebe ihre Anträge für ihre Flächen im Rahmen der aufwendigen und komplexen neuen Regelungen gestellt. Auch in Sachsen erfüllen die Landwirtinnen und Landwirte die geforderten Anforderungen an die Betriebsführung, halten ihre Flächen in gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand und setzen zudem viele zusätzliche Agrarumweltmaßnahmen um. Die damit verbundene neue Bürokratie ist eine enorme Zusatzbelastung und führt so manches Unternehmen zeitweise über die Belastungsgrenzen.

Die Bauern haben also ihren Beitrag bei der Umstellung auf das neue System geleistet. Sie erwarten nun zu Recht, dass die Behörden und Zahlstellen die Auszahlung aller Prämien aus der neuen GAP-Förderung auf den Weg bringen und wie gewohnt gewährleisten. Denn sie sind ja bereits in Vorleistung gegangen. Sie haben ihre Leistungen für landwirtschaftliche Erzeugung, Naturschutz und Ökologie bereits erbracht: Tagsüber auf dem Traktor, nachts vor dem Bildschirm, um alle Daten irgendwie fehlerfrei in das neue System zu bekommen. Sie sind auf eine zeitnahe Ausbezahlung der zugesagten Förderprämien angewiesen. Dass betrifft nicht nur die Direktzahlungen, sondern auch die Ökoregelungen, die Zahlungen für die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete.

Es ist für mich absolut nachvollziehbar, dass die Hiobsbotschaft zur Zahlungsverzögerung bei den Direktzahlungen und der Ausgleichszulage auf Unverständnis stößt. Denn jenseits der Tatsache, dass die Betriebe ihren Teil der Leistung längst erbracht haben, stehen bei ihnen im Dezember eine Reihe Zahlungsverpflichtungen an, die häufig nicht verschoben werden können. Die angekündigten Verzögerungen können daher für nicht wenige Betriebe Zahlungsunfähigkeit bedeuten – und das kann bereits in wenigen Wochen der Fall sein.

Nun kann man die vollkommen verständliche Wut der Bauern benutzen, um anzuklagen, um mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Für die Abwendung der unmittelbar drohenden Notlage für viele Betriebe ist das überhaupt kein Beitrag. Jede Stunde Diskussion über Schuldzuweisung ist für die Bauern eine verlorene Stunde. Sie brauchen jetzt Lösungen, die betriebswirtschaftlich funktionieren. Alle Energie und Ressourcen von allen Beteiligten müssen daher jetzt in die Abwendung drohender finanzieller Notlagen gesteckt werden. Es müssen jetzt alle Wege geprüft werden, den Betrieben zu helfen, zum Beispiel die rechtssichere Bereitstellung von Liquiditätshilfen, bis die regulären Zahlungen geleistet werden können.

Ich bin ehrlich gesagt nicht über die Nachrichten beruhigt, dass auch in anderen Bundesländern die Landwirte die ihnen zustehenden Zahlungen erst verspätet erhalten werden. Wenn in den kommenden Wochen weitere Zahlungsschwierigkeiten im Zuge der digitalen Umstellung im gesamten Bundesgebiet sichtbar werden, bedeutet dies doch keine Entlastung, sondern zuallererst eine enorme Belastung von tausenden Betrieben. Und auch die mit der Lösung der Probleme befassten Stellen in Behörden und Ministerien werden doch nicht dadurch entlastet, dass es woanders auch Probleme gibt. Im Gegenteil: Alle müssen jetzt gemeinsam, konzentriert und vor allem konstruktiv diese schwierige administrative und politische Situation bewältigen. Der Fokus muss dabei ausschließlich auf der Absicherung der Betriebe liegen, nicht auf politischem oder wahltaktischem Kalkül. Um uns politisch zu profilieren, sollten wir uns andere Orte suchen als die Rücken der Bauern.

Wenn dieser gemeinsame Kraftakt gelingt, können die schwierigen Wochen überbrückt werden, bis die Zahlungen regulär – und immer noch innerhalb der gesetzlichen Frist fließen. Damit ist das Problem aber längst nicht gelöst. Denn das entstandene Desaster offenbart ja mit aller Härte, dass die Agrarförderung so nicht bleiben kann und alle Anstrengungen dahin gehen müssen, diese umfassend zu vereinfachen. Und auch dafür ist so gut wie keine Zeit mehr. Die nächste Förderperiode beginnt de facto in drei Jahren. Für die Weiterentwicklung der GAP ab 2027 muss also jetzt ein Konzept vorgelegt und verhandelt werden, wie die nicht mehr händelbare Komplexität der Agrarförderung konsequent abgerüstet werden kann. Modelle zur Vereinfachung liegen vor und werden aus Sachsen heraus insbesondere von Minister Wolfram Günther auf Bundesebene vorangetrieben.

So, wie die Agrarförderung jetzt aufgebaut ist, ist sie nicht zukunftsfähig. Notwendig ist ein System, in dem die Landwirtschaftsbetriebe direkt und unmittelbar für ihre Leistungen zum Schutz von Biodiversität, Klima und Wasser honoriert werden. Diese Leistungen müssen über ein einfaches System bewertet und bezahlt werden. Eine einfache Zahl an Maßnahmen für Ackerland, Grünland, Sonderkulturen sowie den Düngemitteleinsatz, die bürokratiearm auf alle Betriebstypen und -größen angepasst werden können. Die Landwirtinnen und Landwirte müssen in die betriebswirtschaftliche Lage versetzt werden, Leistungen für Umwelt- und Klima aktiv zu produzieren und damit zusätzlich zu den Einnahmen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen ein tragfähiges Einkommen erzielen können.

In diesem Sinne werbe ich dringend dafür, bei der Bewältigung der aktuellen Krise sowie für die dringend notwendige Vereinfachung der GAP an einem Strang zu ziehen. Alles andere ist nicht im Interesse der sächsischen Landwirtschaft.