Datum: 01. Februar 2023

Aktuelle Debatte Arzneimittelversorgung – Kuhfuß: Wir sollten in stabile Lieferketten investieren und auch Know-how in der EU binden

Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion CDU zum Thema: „Lieferengpässen entgegenwirken – Arzneimittelversorgung in ganz Sachsen sicherstellen“

65. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 01.02.2023, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

beim Lesen der Aktuellen Debatte hat mich ja der Verdacht beschlichen, dass man in der CDU sehr froh ist, nicht mehr die Verantwortung im Bundesgesundheitsministerium zu tragen.

Das Problem der Versorgung mit Medikamenten besteht schon seit Jahren. Quasi alle zwei Jahre wird im Bundestag über Lieferengpässe von Arzneimitteln diskutiert.

Wir sind als Deutsche auch nicht die Einzigen, die sich mit dem Problem befassen müssen. Es geht allen Industrieländern so! Wichtig sind eine bessere internationale Infrastruktur und die Vergabe von Aufträgen an mehrere Partner*innen aus verschiedenen Nationen. Das stellt nicht nur sicher, dass wir mehr bekommen können, wenn der Bedarf steigt. Es ist auch für die Redundanz wichtig, um auch bei globalen Krisen, wie Naturkatastrophen, Unruhen oder schlicht der Schließung von Produktionsstätten, die Lieferketten nicht zu gefährden.

Wir unterliegen bei der internationalen Vergabe von Arzneimitteln ja einer Illusion. Wir haben in der Vergangenheit daran geglaubt, uns preiswert oder von mir aus auch billig versorgen zu können – und gleichzeitig erwartet, dass es nach unseren Spielregeln funktioniert.

Jeder, der schon mal in Indien war, wird berichten können, dass es dort total viele motivierte und hochgebildete Menschen gibt, die auch unsere Medikamente herstellen. Aber eben nicht nach unserem Kalender, zu unserem Wetter und zu unseren Bestelldaten. Hinzu kommt, dass wir bei internationalen Lieferketten auch mit internationaler Konkurrenz bei Engpässen rechnen müssen.

Die Entscheidung, die Medikamentenversorgung auszulagern, ist in der Vergangenheit gefallen und wenn man sich umhört, ist sie auch nicht zu 100 Prozent rückholbar. Produktionsstandorte, Know-how und Mitarbeitende sind nicht einfach so verfügbar.

Im derzeitigen Marktgeschehen spielt die Preisobergrenze eine große Rolle. Hier lohnt sich eine differenzierte Betrachtung, um Mitnahmeeffekte wie beim Tankrabatt weitgehend auszuschließen. Es ist schließlich das Geld der Beitragszahler*innen, welches hier ausgegeben wird. Mehr Geld im System könnte zu belastbareren Lieferketten und einer höheren Bindung an eine Wirkstoffproduktion innerhalb der EU führen.

Ein wichtiger Baustein in der Versorgung mit Medikamenten sind die Apotheken, deren Auftrag nicht nur die erstklassige Beratung, sondern auch die Versorgung mit Medikamenten ist. Eine Stärkung der Bevorratung von Medikamenten, die oft nachgefragt werden oder die jahreszeitlich oft gebraucht werden, ist dabei zwar notwendig, aber aus unternehmerischer Sicht auch immer totes Kapital, wo es Forderungen nach Kompensation geben wird.

Außerdem müssen wir an die stark überteuerten Medikamente ran, denn wenige, teure Arzneimittel verursachen viel höhere Kosten, als die Vielzahl an Medikamenten, die massenhaft genutzt werden. Die Debatte wird schnell zu einer ethischen mit der Frage, wer uns was wert ist. Diese Frage lenkt aber davon ab, kritisch auf die wirklichen Kosten in den Pharmaunternehmen zu schauen. Genau diesen kritischen Blick braucht es aber!

Und wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten darauf verlassen, dass zu jeder Zeit alles an Medikamenten verfügbar ist. Dass wir auch Sonntagnacht noch eine Apotheke finden, die uns Tee verkauft. Jeder, der schon mal nachts etwas Wichtiges aus einer Apotheke brauchte, weiß, wie wichtig dieses Angebot ist, aber nicht jedes Problem muss zu jeder Zeit adressiert werden. Dabei haben wir uns an viel Luxus gewöhnt. Die Frage: „Darf ich ihnen einen Fiebersaft mit Orangengeschmack holen oder lieber was anderes“, ist wirklich nett, aber nicht lebenswichtig.

Wir können uns hier im Landtag dazu die Köpfe heiß reden, aber es bleibt die Aufgabe des Bundes. Die Signale, die aus Sachsen kommen müssen, sind folgende:

  1. Ein Flächenbundesland mit vielen älteren Menschen braucht ein enges Netz an Apotheken, die sich auch dieser Zielgruppe stellt. Sie müssen also auch gut ohne Pkw erreichbar sein und das vorrätig haben, was der Kunde oder die Kundin dringend braucht.
  2. Eine sichere Versorgung in fast allen Bereichen durch globalen Akteur*innen in Entwicklungsländern sicherzustellen, ist und bleibt ein riskantes Unterfangen. Wir sollten in stabile Lieferketten investieren und auch Know-how in der EU binden oder aufbauen. Das kann auch eine Chance für Strukturwandelregionen sein – falls die richtigen Anreize gesetzt werden.
  3. Einfach mehr Geld zu fordern ist nicht die Lösung, wir müssen die Krankenversicherungsbeiträge bezahlbar halten und die Strukturen diversifizieren. Nach der Phase der Umstrukturierung zum Wohle der Versorgungssicherheit, Zuverlässigkeit und einer geringeren Abhängigkeit von einzelnen Ländern, insbesondere autokratischen Staaten, muss eine Preisstabilität folgen.
  4. Wir müssen die Systeme so flexibel wie möglich halten, dabei ist es auch gut, wenn PTAs selber Hustensaft und Zäpfchen herstellen. Das wurde in den letzten Monaten gelegentlich belächelt, aber in einer Welt, die in Krisen Resilienz braucht, sind diese Fähigkeiten Gold wert.

Im Bund ist das Problem klar und an Lösungen wird gearbeitet. Die in den letzten Jahrzehnten gestaltetet Abhängigkeiten sind dabei kaum rückgängig zu machen.

Die nötigen Veränderungen auf den Weg zu bringen und zu etablieren, ist kein Sprint und wir werden nicht gleich morgen die Ziellinie durchschreiten. Ich bin aber guter Dinge, dass wir in zwei Jahren im Bundestag und auch hier im Hause nicht (schon) wieder über Probleme bei der Versorgung mit Medikamenten diskutieren werden, sondern diese Kraft darauf verwenden können, die Gesundheitsvorsorge unserer Bürger*innen auf den letzten Metern dieses Marathons zu begleiten.