Aktuelle Debatte Bahnverkehr – Liebscher: Investitionen in die Schiene sind Investitionen in Wohlstand und Klimaschutz
Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Sächsische Bahntradition zukunftsweisend entwickeln – Tradition und Innovation als Antrieb für nachhaltige Mobilität und Strukturwandel im Freistaat nutzen“
62. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 15.12.2022, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
der Freistaat Sachsen blickt zurück auf 175 Jahre Tradition in der Bahnindustrie. Der sächsische Pioniergeist legte seitdem den Grundstein für die wirtschaftliche Entwicklung des Freistaates.
Auch heute zählt Sachsen zu einem der drei wichtigsten Bahnstandorte in Deutschland: Mehr als 240 Bahntechnik-Unternehmen mit rund 13.000 Mitarbeiter*innen erwirtschaften jährlich rund eine Milliarde Umsatz, darunter Zulieferer, Ausrüster, Ingenieur- und Servicedienstleister.
Als Mitbegründer der Europaen Rail Cluster Initiative haben wir mit Sachsen einen Standort mit internationaler Strahlkraft. Mit dem sächsischen Bahncluster befinden sich im Freistaat die idealen Voraussetzungen für Investition und Innovation. Nicht umsonst siedelte der Bund das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung in Dresden an.
Doch auf bisherigen Erfolgen, werte Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir uns nicht ausruhen.
Die Entwicklungen des Schienenfahrzeugbaus in Ostachsen zeigen, wie sich das Bild trübt: Die Standorte Niesky, Bautzen und Görlitz kämpfen um ihren Bestand. Doch für einen erfolgreichen strukturellen Wandel braucht es mehr als Personalabbau.
Industrie und Gewerkschaft schlagen daher Alarm und arbeiten an einer zeitgemäßen Erneuerung dieses industriellen Standbeins. Das Konzept setzt auf Modernisierung, Digitalisierung und Innovation im Bereich der Schienenfahrzeuge. Das, meine Damen und Herren, ist die Zusammenarbeit, die wir für einen erfolgreichen Strukturwandel benötigen!
Der Trend gibt ihnen Recht: Wir stehen mitten in der Verkehrswende! Bund und Land unternehmen mit dem 49-Euro-Ticket einen entschiedenen Schritt zur Stärkung der Schiene im Personenverkehr. Es besteht die Nachfrage im Bereich der Personenwagen. Daneben brauchen wir leistungsstarke Güterwagen, emmissionsfreie Lösungen im Antrieb. Der Verkehrssektor kann und muss jetzt liefern – wenn wir jemals unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.
Wir stehen als BÜNDNISGRÜNE an der Seite der Menschen, die die Bahntradition in der Transformation erhalten. Die Gewerkschaft legte bereits ein Sofortprogramm zum Erhalt des Standortes Niesky als auch Alternativen zum Personalabbau von Alstom vor. Wir fordern daher sowohl das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr als auch die Bundesebene auf, Gespräche zu suchen und als Kommunikatoren zu wirken.
Angesichts der angedrohten Stellenstreichungen ist es logisch, dass nun allenthalben der Einstieg des Staates in wichtige Kernunternehmungen als Ausweg gesehen wird. Doch macht das leider die Investition weder sicherer noch lukrativer – auch nicht für den Freistaat.
Aber, meine Damen und Herren, was immer falsch ist: Den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten. Die Aufgabe von Politik ist es, die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen.
Ein Hebel ist der internationale Markt: Die Exportstrategie der Bundesregierung hat die Aspekte des freien Marktzugangs in anderen Weltregionen zum Ziel, denn bis dato vertreibt die Bahnindustrie circa 50 Prozent der Produkte im Export. Der Zugang zum europäischen Markt ist für internationale Bieter einfacher als der stark reglementierte asiatische Markt und auch die Subventionen, die China zur Unterstützung der Bahnindustrie bereitstellt, suchen ihresgleichen.
Wir BÜNDNISGRÜNE legen allerdings einen anderen Schwerpunkt: Wir fordern, die eigene Binnen-Nachfrage verlässlich zu gestalten.
Was fehlt, ist ein tiefgehendes Bekenntnis zur Bahn. Was fehlt, ist echter ordnungspolitischer Rückhalt – statt Sonntagsreden im Plenum.
Die Schiene wird lukrativer, wenn die Bahn im intermodalen Wettbewerb gewinnt. Im Klartext heißt das: Wir müssen als Staat die Rahmenbedingungen für Schienenverkehr im Vergleich zur Straße verbessern.
Ein Blick nach Europa zeigt Lösungen auf: Ein Nachtfahrverbot für LKW bewegte Handel und Logistik in der Schweiz zum Umstieg auf die Schiene. Die überbrückende Förderung des erfolgskritischen Einzelwagenverkehrs unterstützte in Österreich die Versorgung der Industrie mit flexiblem Schienengüterverkehr. Die finanz- und ordnungspolitischen Hebel sind bekannt – und bedürfen jetzt der Umsetzung.
Daneben sind die lokalen Rahmenbedingungen wichtige Standortfaktoren für die Bahnindustrie. Der kommerzielle Schienentestring TETIS wird in diesen Zusammenhang oftmals als möglicher Game-Changer angeführt Dass dem Freistaat bei der Entwicklung von TETIS eine Schlüsselrolle zukommt, haben wir bereits vor einem Jahr diskutiert.
Bisher ohne Neuigkeiten.
Zweifellos hat das Projekt einen unverkennbaren Nutzen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Doch wer pauschal nach dem Freistaat als Betreiber ruft, macht es sich gar zu einfach. Ein Testring allein wird die Arbeitsplätze in Niesky, Görlitz und Bautzen nicht sichern. Und ein Testring um jeden Preis schon gar nicht.
Was es für die Bahnindustrie in der Lausitz braucht, ist ein Gesamtpaket: gute Standortbedingungen und eine Perspektive und Bekenntnis zur Produktion in der Lausitz. Gleichzeitig braucht TETIS die Verankerung in der Region und die enge Verknüpfung mit den profitierenden Unternehmen. Das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr muss hier mehr Power bei der Investorensuche an den Tag legen und vor Ort für das Projekt werben.
Wir BÜNDNISGRÜNE haben diese Aktuelle Debatte heute angemeldet, um auch dieser wichtigen Thematik endlich den notwendigen Raum zum geben.
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
aber nicht nur die sächsische Bahnindustrie prägt bis heute den Freistaat. Genauso wie die Schieneninfrastruktur vor 175 Jahren die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung legte, so ist heute die Anbindung der Städte und Gemeinden an den Nah-, Fern- und Güterschienenverkehr entscheidend für deren Attraktivität und Entwicklung.
Wir als sächsische Koalition nehmen dahingehend unsere Verantwortung war und beabsichtigen die Haushaltsansätze für die Streckenreaktivierungen aufzustocken. Die Grundlagen sind mit dem Basisgutachten gelegt, die Ergebnisse der vertiefenden Potentialanalysen erwarten wir in Kürze. Es ist wesentlich, die Planungen jetzt weiter voranzutreiben, um im Wettbewerb um die GVFG-Fördermittel des Bundes wichtige Projekte rechtzeitig platzieren zu können. Der Freistaat wird im Windhundrennen um die Finanzierung mit hoher Konkurrenz durch andere Bundesländer rechnen müssen. Wie positiv sich Streckenreaktivierungen auf die Entwicklung von ganzen Regionen auswirken, wird in anderen Bundesländern deutlich.
Fern unserer eigentlichen Zuständigkeit als Freistaat ist der stockende Ausbau der sächsischen Schieneninfrastruktur durch den Bund sehr schmerzlich. Beispielgebend für die anderen sächsische Bahnverbindungen möchte ich die schleppende Elektrifizierung Dresden – Görlitz herausstellen. Dass nun die Abschnitte unterschiedlichen Finanzierungsquellen zugeordnet werden mussten, um überhaupt noch eine Chance auf Realisierung in absehbaren Zeiträumen zu erhalten, ist ein Trauerspiel. Ich fürchte, mit der Stückelung wird das Vorhaben weder vereinfacht noch beschleunigt oder gesichert.
Im Gegenteil. Die Realisierung der Gesamtstrecke bis Görlitz steht in den Sternen, obwohl die wichtige Schienenanbindung Richtung Polen eine enorme wirtschafts- und verkehrspolitische Bedeutung besitzt – nicht nur für die Lausitz, sondern für ganz Sachsen.
Es ist richtig, dass der Freistaat jetzt wieder mehr Offensive zeigt, in die Verantwortungslücke springt und zusätzliche Mittel für die Planung wichtiger Bahnstrecken einstellt. Der Bund und die Deutscheh Bahn müssen zu ihrer Verantwortung für den überregionalen Schienenverkehr stehen und dessen Infrastruktur zügig im Sinne der Verkehrswende ausbauen.
Dass allein die Realisierung des fehlenden einen Kilometers Fahrdrahtes zwischen den Bahnhöfen Görlitz und Zgorzelec bis 2026 dauern soll, ist ein Armutszeugnis. Ein Armutszeugnis vor allem, weil seit mindestens 2018 an der Maßnahme im „Eiltempo“ geplant wird und die polnische Bahn den Bahnhof Görlitz mangels Elektrifizierung nicht mehr bedienen kann.
Doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Überwindung solcher Hürden braucht es den Mut, die richtigen Prioritäten zu setzen und diese Prioritäten voranzubringen! Die nun vom Bund angestrebte Planungsbeschleunigung für Projekte, die dem Klimaschutz dienen, ist ohne Zweifel ein wichtiger Baustein.
Mit dem VerMoL-Projekt (Vernetzung von Mobilität und Logistik) untersucht der Freistaat aktuell die Potenziale der sächsischen Braunkohlreviere als Logistikstandorte – nicht nur zur Güterverkehrsverlagerung, sondern auch als eine Option für die Standort- und Strukturentwicklung. Aktuelles VerMoL-Fazit ist, dass die bestehenden Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern noch nicht ausreichen und dezentrale Güterverkehrsverlagerung-Kapazitäten ausgebaut werden müssten.
So könnten auch in der Lausitz, im Herzen Europas und infrastrukturellem Knotenpunkt, regionale Wertschöpfungs- und Klimaschutzpotentiale erschlossen werden.
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
die sächsische Bahnindustrie und die Verkehrswende sind eng miteinander verzahnt. Die zu erwartende Nachfrage durch die Verkehrswende ist der Motor für die sächsische Bahnindustrie und bietet damit Chancen für die Entwicklung strukturschwacher Regionen. Gleichzeitig ist der Ausbau des Fern-, Güter- und Nahverkehrs und somit das Gelingen der Verkehrswende auch von den Schienenfahrzeugen „made in saxony“ abhängig.
Zur Umsetzung der Eckpfeiler nachhaltiger Mobilität, wie wir sie in Zukunft gestalten wollen, bedeutet dies:
- Durch kurze Wege und Lieferketten sowie optimierte Logistik werden Verkehre grundsätzlich möglichst vermieden oder verkürzt – dies bietet neue lokale Wertschöpfungsfelder.
- Verkehr, der nicht vermieden werden kann, wird soweit wie möglich auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagert, z.B. Rad und Schiene. Dies gelingt durch eine leistungsfähige Infrastruktur, in diesem Fall Schieneninfrastruktur, und entsprechendes Rollmaterial, möglichst made in saxony. Wie gut umweltfreundliche Verkehrsträger genutzt werden, wenn der Zugang einfach und bezahlbar ist, hat uns das 9-Euro-Ticket in diesem Sommer anschaulich gezeigt. Dies darf sich jedoch nicht nur auf den Nahverkehr beschränken, sondern muss auch für den Zugang zu Fern- und Güterverkehr gelten.
- Indem die Energieeffizienz der Verkehre (auch des Schienenverkehrs) erhöht wird und postfossile und treibhausgasneutrale Kraftstoffe und Strom genutzt werden, wird Mobilität nicht nur klimaneutral, sondern auch Innovation, Forschung und Entwicklung in Sachsen gestärkt.
Hier liegt das Potenzial zur Entwicklung unseres Standortes. Diese müssen durch die entsprechenden Investitionen und Rahmenbedingungen vorangebracht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nur der leistungsfähige Schienenverkehr sichert unsere Industrie und Forschung im Bahnbereich und lässt die Verkehrswende gelingen. Investitionen in die Schiene sind Investitionen in Wohlstand und Klimaschutz! Lassen Sie uns diese Chancen für Sachsen gemeinsam nutzen!