Datum: 06. Juli 2023

Aktuelle Debatte Cannabis – Čagalj Sejdi: Für eine moderne Drogen- und Suchtpolitik braucht es eine offene und sachliche Diskussion über eine Freigabe

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte der Fraktion DIE LINKE: „Cannabis-Freigabe offensiv begleiten: Entkriminalisierung, Gesundheitsschutz und Prävention wirksam sichern!“
73. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 06.07.2023, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Präsident,
meine Damen und Herren,

wir BÜNDNISGRÜNE werden ja gerne mal als „Verbotspartei“ benannt – im Fall Cannabis sagen wir aber ganz deutlich: Kein Verbot mehr!

Das Verbot von Cannabis hat viel Negatives mit sich gebracht: Es hat kriminalisiert. Es hat den Schwarzmarkt gefördert. Es hat Gesundheitsschutz verhindert. Es hat Ressourcen gebunden in Justiz und Strafverfolgung.

Wir wissen das schon lange und dennoch wurde es nicht verhindert.

Jetzt stehen wir im Bund kurz davor und da gilt es der Innovation auch hier bei uns in Sachsen offen und mit entsprechenden Maßnahmen auf Landesebene gegenüberzustehen.

Ein Fakt ist: Die Drogenpolitik der vergangenen Jahre funktioniert nicht mehr – das Verbot von Cannabis ist gescheitert. Es hat zu illegalen Schwarzmärkten geführt, auf denen weder Jugend- noch Gesundheitsschutz gewährleistet wird.

Die Illegalität hat die Bundesbürger bisher nicht vom Konsum abgehalten. Nach Zahlen von 2021 haben 34,7 Prozent der Erwachsenen bereits mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Auch unter Jugendlichen ist Cannabis weit verbreitet. Bereits 9,3 Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben mindestens einmal Cannabis konsumiert.

Wir BÜNDNISGRÜNE sind der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, einen neuen Weg einzuschlagen.

Damit meine ich nicht, dass wir Sucht und ihre Folgen verharmlosen sollten – nein, Sucht ist immer gefährlich. Und genau deshalb sollte uns die heutige Debatte über die Cannabis-Freigabe die Gelegenheit bieten, über einen verantwortungsvollen Umgang mit allen Suchtmitteln (nicht nur Cannabis) zu sprechen und dabei die Prävention, den Gesundheitsschutz und den Jugendschutz in den Vordergrund zu stellen.

Eine gute und nachhaltige Drogen- und Suchtpolitik muss auf drei Säulen beruhen:

  1. Prävention,
  2. Regulierung,
  3. Schadensminderung.

Die Freigabe von Cannabis bedeutet für uns nicht, dass wir den Konsum verharmlosen oder gutheißen. Ganz im Gegenteil: Wir setzen auf wirksame Prävention, die frühzeitig einsetzt, Abhängigkeit und riskante Konsumformen verhindert oder zumindest reduziert und Eigenverantwortung stärkt.

Der massive Ausbau der Suchtprävention ist für uns BÜNDNISGRÜNE das zentrale Anliegen.
Wir haben uns im aktuellen Doppelhaushalt dafür stark gemacht und erreicht, dass Suchtprävention finanziell gestärkt wird. Dennoch ist hier noch viel Luft nach oben und wir müssen uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass vermehrt Mittel im Haushalt für die Suchtprävention und damit für die Aufklärung, Beratung und Hilfsangebote zur Verfügung gestellt werden.

Doch direkte Suchtpräventionsangebote sind nur ein Teil von dem, was Menschen, insbesondere junge Menschen, vor Sucht bewahren kann. Wenn man zum Beispiel in einer Großstadt aufwächst, wenn man ausgeht, feiert, dann kommt man oft nicht daran vorbei, man erlebt Cannabis und andere Drogen in seinem Umfeld. Und auch wenn Menschen die Gefahren kennen und in Schule und anderen Einrichtungen dazu sensibilisiert werden, kommen sie trotzdem in Situationen, wo sie konsumieren. Doch was hält einen davon ab, in die Sucht abzurutschen?

Das ist zum Beispiel das soziale Umfeld und die eigene Lebenssituation. Und um unseren Kindern und Jugendlichen hier Sicherheit und Stabilität zu bieten, müssen wir vor allem in Kinder- und Jugendarbeit investieren. Auch wenn sie nicht direkt mit Suchtprävention zusammenhängt, ist sie doch ein sehr wichtiger Faktor für Sicherheit und Stabilität im Leben von jungen Menschen in unseren Orten und Städten.

Wie bereits gesagt, eine umfassende Suchtprävention darf nicht nur auf Cannabis beschränkt sein. Cannabis ist nicht das einzige Suchtmittel, das bei uns in Sachsen konsumiert wird. Wir müssen uns auf eine Gesamtprävention konzentrieren, die alle Suchtmittel und Verhaltenssüchte umfasst.

Suchtprävention bedeutet nicht Verbot – Suchtprävention bedeutet vor allem, Ursachen erkennen, Risikofaktoren verstehen und passende Maßnahmen ergreifen, um Menschen vor den Gefahren der Sucht zu schützen. Dies schließt den Konsum von Alkohol, Tabak, illegaler Drogen und auch Verhaltenssüchten wie exzessivem Glücksspiel mit ein.

Der Suchtbericht der Sächsischen Landesstelle für Sucht zeigt, dass Probleme mit Alkohol nach wie vor den größten Anteil der Fallzahlen in Sachsen bedingen. In den sächsischen Krankenhäusern stehen 73 Prozent der Suchtprobleme im Zusammenhang mit Alkohol. In den ambulanten Suchtberatungsstellen werden etwa die Hälfte der Beratungen (48 Prozent) aufgrund von Alkoholproblemen geführt.

Auch die Suchtprobleme im Zusammenhang mit Methamphetamin (Crystal) bleiben eine besondere Herausforderung für die Suchthilfe in Sachsen. Der Anteil der Crystal-Problematik in der ambulanten Suchtberatung beträgt 15 Prozent, ist jedoch im Kontext der externen Suchtberatung in der JVA mit circa 60 Prozent sehr viel höher.

Zum Vergleich: Der Anteil von Beratungen im Zusammenhang mit Cannabis liegt in den ambulanten Suchtberatungsstellen bei 14 Prozent.

Wir BÜNDNISGRÜNE stehen für eine Politik, bei der Menschen im Mittelpunkt stehen. Eine erfolgreiche Bekämpfung von Sucht gelingt nicht, wenn wir Suchtverhalten kritisieren und bestrafen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Abhängige die notwendige Unterstützung erhalten, um ihre Sucht zu überwinden, dass potenziell suchtgefährdete Menschen nicht süchtig werden und dass Angehörige von süchtigen Menschen unterstützt werden.

Es ist wichtig, dass wir umfassend über die potenziellen Risiken des Cannabiskonsums und anderer Suchtmittel informieren und präventive Maßnahmen für eine verantwortungsvolle Nutzung ergreifen.

Suchtprävention muss bereits in jungen Jahren ansetzen: Wir müssen in Schulen, Jugendeinrichtungen und Familien präventive Maßnahmen etablieren, um junge Menschen über die Risiken des Suchtmittelkonsums aufzuklären. Eine frühzeitige Aufklärung und Sensibilisierung sind entscheidend, um dem Einstieg in den Konsum von Suchtmitteln zu verhindern.

Neben der Prävention sind auch die Unterstützung und Hilfe für Suchtkranke von großer Bedeutung. Es ist wichtig, dass Betroffene Zugang zu Beratungs- und Behandlungsangeboten haben, die ihnen bei der Bewältigung ihrer Sucht helfen. Wir BÜNDNISGRÜNE setzen uns dafür ein, dass diese Hilfen flächendeckend ausgebaut werden und wir vermehrt Mittel für niedrigschwellige Beratungsstellen, qualifizierte Therapieangebote und eine gute Vernetzung der Hilfesysteme bereitstellen.

Gleichzeitig wollen wir durch Entkriminalisierung und Regulierung den Gesundheits- und Verbraucherschutz stärken. Die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene trägt dazu bei, den Schwarzmarkt einzudämmen und die Gefahren von überhöhten THC-Werten durch bessere Qualität zu reduzieren.

Das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums internationale Erfahrungen mit den unterschiedlichen Ansätzen einer Legalisierung von Cannabis zusammengetragen und ausgewertet. In Kanada zum Beispiel gaben im Jahr 2021 – drei Jahre nach der Legalisierung – 63 Prozent der Konsumierenden an, dass sie ihr Cannabis nie aus illegalen Quellen bezogen haben.

Es ist eine offene und sachliche Diskussion über die Cannabis-Freigabe notwendig, um eine moderne und zukunftsorientierte Drogen- und Suchtpolitik zu gestalten. Prävention, Entkriminalisierung und Gesundheits- und Jugendschutz müssen Hand in Hand gehen, um den Herausforderungen der Sucht wirksam zu begegnen.