Aktuelle Debatte Geburt – Hammecke: Frauen müssen eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können
Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Selbstbestimmte Geburt in Sachsen – bedarfsgerecht und medizinisch sicher“
85. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 20.03.2024, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
werte Abgeordnete,
bei einem positiven Schwangerschaftstest stellen sich viele Fragen.
Was ist als Nächstes zu tun? Was bedeutet dies nun für mich und eventuell auch meine Familie? Wie stelle ich mir eine Geburt vor? Oder eben in manchen Fällen auch: Wie bekomme ich Zugang zu einem medizinisch sicheren Schwangerschaftsabbruch, wenn man sich schlussendlich doch gegen die Schwangerschaft entscheidet?
Bereits bei diesen anfänglichen Fragestellungen zeigt sich, dass eine Schwangerschaft von Beginn an höchst individuell und im Idealfall auch vollständig selbstbestimmt verlaufen sollte.
Denn die Selbstbestimmung ist es, die immer im Vordergrund stehen muss. Denn sowohl die Entscheidung für als auch die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft sind eine höchstpersönliche, die der schwangeren Person alleine überlassen werden muss.
Eine Entscheidung, für deren Grundlage es unsere Aufgabe als Länder und im Bund ist, alle Informationen, die für eine selbstbestimmte Entscheidung notwendig sind, zur Verfügung zu stellen.
Deshalb war es richtig, dass der Bund mit der Streichung des §219a StGB hier Ärzt*innen die Möglichkeit der Informationsweitergabe gegeben hat. Deshalb war es richtig, dass die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung nun gesetzliche Regelungen des Schwangerschaftsabbruches außerhalb des Strafgesetzbuches präsentieren möchte. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Schwangerschaftsberatungsstellen
auskömmlich finanzieren.
Denn diese leisten Beratung und Unterstützung, wenn eine Frau sich gegen eine Schwangerschaft entscheidet. Sie leisten aber auch Beratung und Unterstützung, wenn eine Frau sich für eine Schwangerschaft entscheidet!
Ich habe es im letzten Plenum, als wir den Gesetzentwurf der Linksfraktion beraten
haben, verdeutlicht: Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen haben sehr viel vielfältigere Aufgaben als „nur“ – und „nur“ ganz explizit in Anführungszeichen gesetzt – Konfliktberatung. Je nach Region und Trägerpluralität machen diese nur zwischen 25 und 45 Prozent der Arbeit aus.
Unsere Position als BÜNDNISGRÜNE ist deshalb sehr klar: In den nächsten
Doppelhaushaltsverhandlungen muss die finanzielle Unterstützung für Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen steigen, dafür werden wir als BÜNDNISGRÜNE uns einsetzen – dabei geht es konkret um Personalkosten, Förderhöhen für Dolmetscherstunden, um Technik, Hard- & Software.
Sehr geehrte Abgeordnete,
Entscheidungen für Familiengründungen finden in ganz vielfältigen Konstellationen in Sachsen statt. Und anders, als es der AfD-Antrag vermuten lässt, den wir später noch auf der Tagesordnung haben, nicht nur in verheirateten Ehepaaren aus Mann und Frau. Gerade einmal gut 50 Prozent der Familien mit Kindern unter 18 entsprechen diesem Bild, das die AfD immer wieder zeichnet.
Die Unterstützungsangebote bei Kinderwunsch in Sachsen spiegeln diese Vielfalt aber nicht wider. Wir BÜNDNISGRÜNE möchten moderne Reproduktionsmedizin und Kinderwunschbehandlungen in Sachsen stärken und diskriminierungsfreier gestalten. Dazu gehört auch die finanzielle Förderung für Menschen unabhängig vom Partnerstatus, über die Altersgrenze bei Frauen von 40 Jahren hinaus und unabhängig der sexuellen Identität, zum Beispiel für gleichgeschlechtliche Paare.
Sehr geehrte Abgeordnete,
die Selbstbestimmung von Schwangeren zu stärken, liegt im Fokus unserer
aktuellen Debatte – liegt im Fokus unserer BÜNDNISGRÜNEN Gesundheitspolitik. Dazu gehört auch zentral die medizinische Versorgung, die Vor-/Nachsorge von Schwangeren.
Doch ist das für Schwangere nicht überall in Sachsen immer und ohne lange Fahrzeiten zu gewährleisten. Mein Kollege Markus Scholz ist auf die Schwierigkeiten der Versorgungslage eingegangen und welche Maßnahmen, wir dagegen nun unternehmen müssen.
Doch nicht nur die Schwangerschaft, sondern ebenso die Geburt des Kindes
muss selbstbestimmt erfolgen können.
Leider erfahren einige Frauen in genau diesem sensiblen Moment teilweise respektlose, teilweise gar übergriffige Behandlungen. Ganz häufig sind es die strukturellen Umstände auch für das medizinische Personal, die dazu beitragen, dass Gebärende Grenzüberschreitungen erleben.
Im Fokus muss hier Aufklärung und Einvernehmen stehen. Aufklärung und Einvernehmen über geplante Handlungen, anstehende Eingriffe und Interventionen.
Auch die parlamentarische Versammlung des Europarates beschäftigte sich anknüpfend an die Istanbul Konvention mit dem Thema Gewalt während der Geburt und stellte 2019 bereits fest: „Geburtshilfliche und gynäkologische Gewalt sind eine Form von Gewalt, die lange nicht offengelegt wurde und immer noch zu oft ignoriert wird.“
Die Auswirkungen für die Betroffenen hingegen sind gravierend, zivilgesellschaftliche Initiativen wie „Mother Hood“ oder Roses Revolution machen darauf aufmerksam.
Die Stärkung der Rechte sowie der Autonomie von Frauen während der Geburt ist entscheidend, damit jeder Gebärdenden die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind, selbstbestimmte Entscheidungen über ihren Geburtsverlauf zu treffen.
Es geht um viel mehr als „Hauptsache das Kind ist gesund“. Es müssen endlich die strukturellen Weichen in der Geburtshilfe so gestellt werden, dass eine selbstbestimmte Geburt für alle Gebärenden selbstverständlich wird; denn „auf den Anfang kommt es an“.