Datum: 14. Juli 2022

Aktuelle Debatte Klimaschutz & Energie – Gerber: Es braucht jetzt unbequeme Entscheidungen, langfristiges Ziel bleibt die Klimaneutralität

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Daniel Gerber (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Klimaschutz und Energiesouveränität verbinden – mit Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien die Klimakrise bekämpfen und die Freiheit sichern“
54. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.07.2022, TOP 1

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Welt brennt. Einerseits wurden durch den Krieg in der Ukraine bisher mindestens 23.000 Kilometer Straße, 44 Millionen Quadratmeter Wohnfläche, 643 Krankenhäuser und 1.123 Bildungseinrichtungen zerstört. Andererseits toben in der Welt wieder einmal riesige Waldbrände wie im Yosemite National Park, in Portugal, Frankreich, Italien und der Türkei, selbst wir in Sachsen waren schon betroffen. In Italien wird wegen Wassermangel der Notstand ausgerufen und auch in Sachsen herrscht bei 49 Prozent der Flusspegel Niedrigwasser, weitere 34 Prozent steuern darauf zu.

Im Kontext der Klimakrise und des Krieges hat die Bundesregierung bereits am 20. März die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen, drei Monate später, am 23. Juni, dann die Alarmstufe. Diesen Montag, am 11. Juli, ist der Gasfluss in der Pipeline Nordstream 1 aufgrund planmäßiger Wartungsarbeiten zum Erliegen gekommen, nachdem er in den vergangenen Wochen bereits, vermutlich politisch induziert, drastisch reduziert wurde. Fraglich ist, ob und in welchem Umfang der Betrieb nach der Wartung wieder aufgenommen wird. Wir sehen uns damit der realen Gefahr einer Gasmangellage gegenüber, in der – nach Ausrufen der finalen Notfallstufe – die Bundesnetzagentur bestimmen müsste, wer in diesem Land noch Gas beziehen darf und wer nicht. Dieses Szenario würde nicht absehbare Folgen für die deutsche und sächsische Wirtschaft und Gesellschaft bedeuten. Dabei sei noch mal darauf hingewiesen, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, noch im März Nordstream 1 selbst abschalten wollte.

Bevor ich aber über die notwendigen Maßnahmen spreche, wie dieser Situation entgegengewirkt werden muss, möchte ich auf Ursachenforschung gehen.

Fakt ist: Die aktuelle Preislage an den Energiemärkten ist ein rein fossiles Problem und insbesondere die Konsequenz des hohen Gaspreises und damit des russischen Angriffskrieges. Erneuerbare Energien wirken in jedem Fall preissenkend.

Fakt ist auch: In den vergangenen 16 Jahren haben wir unsere Abhängigkeit von russischem Gas gefestigt und sogar ausgebaut. Mit Nord Stream 2 wurde, nach Annexion der Krim, ein Projekt verfolgt, das einzig dem Zweck diente, diese Abhängigkeit weiter zu zementieren. Russische Staatskonzerne reichen mit ihrem Einfluss tief in die deutsche Energiewirtschaft und betreiben sogar kritische Infrastruktur wie Gasspeicher und Raffinerien. Gleichzeitig haben wir in Deutschland im vergangenen Jahr noch über 650.000 neue Gasheizungen verbaut – so viele wie seit 25 Jahren nicht.

Die Politik der CDU geführten Bundesregierungen der vergangenen 16 Jahre hinterlässt einen energie- und klimapolitischen Scherbenhaufen. Sie basierte auf einer Reihe von Fehleinschätzungen, organisierter Sorglosigkeit, strategischer Orientierungslosigkeit und inkonsequentem Handeln. Die eigenen Klimaschutzziele wurden nicht mit Maßnahmen hinterlegt, geschweige denn eingehalten. Atom- und Kohleausstieg wurden zwar richtigerweise beschlossen, ohne gleichzeitig die notwendige Geschwindigkeit beim Ausbau Erneuerbarer Energien zu erreichen. Man muss davon ausgehen, dass in puncto fossiler Abhängigkeit nicht nur nicht so genau hin, sondern absichtlich weggeschaut wurde. Die Kosten dafür tragen jetzt die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen in Deutschland.

Als Nebeneffekt dieser Politik sind die deutsche Solar- und Windindustrie, die einst weltweiter Vorreiter waren, stark geschwächt worden. So sind in der Solarwirtschaft zwischen 2011 und 2014 allein 100.000 Arbeitsplätze verschwunden. In der Windindustrie wurde kürzlich das letzte Rotorenblattwerk Deutschlands geschlossen. Auch das trägt zu unseren weltweiten Abhängigkeiten bei.

Obwohl uns in den vergangenen Tagen die erfreuliche Statistik erreichte, dass im ersten Halbjahr 2022 bereits etwa 50 Prozent des Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt wurde, darf uns das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Transformation unseres Energiesystems insgesamt noch nicht weit genug fortgeschritten ist – im Wärmebereich sind es gerade einmal 16 Prozent.

Aber anstatt jetzt die falschen Prämissen zu hinterfragen und zu korrigieren, sind sich Menschen wie Frau Bär, Herr Dobrindt oder Herr Söder nicht zu schade, vom wohlverdienten Beifahrersitz den schwarzen Peter uns Grünen in die Schuhe zu schieben.

Gerne wird dabei, wie gestern vom Ministerpräsident oder der CDU-Fraktion per Pressemitteilung auf eine angeblich ideologiegetriebene Politik der Grünen verwiesen. Wie dies ins Bild der länger laufenden Kohlekraftwerke und dem verstärkten Einsatz von LNG passt, bleibt mir zumindest rätselhaft. Es müssen jetzt notwendige, wenn auch unbequeme Entscheidungen getroffen werden – ohne das langfristige Ziel der Klimaneutralität aus den Augen zu verlieren. Genau das, tut die Regierung.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

im aktuellen energiepolitischen Diskurs werden gerne die verschiedenen Zeithorizonte durcheinandergebracht.

Lassen Sie mich daher zunächst mit kurzfristigen Maßnahmen beginnen: Wie kommen wir mit möglichst wenig gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Schaden durch die Krise?

Einige der – gerade aus grüner Sicht – unpopulären Maßnahmen habe ich schon genannt: Erstens brauchen wir kurzfristig mehr Kohlekraft. Das betrifft hauptsächlich Steinkohlekraftwerke, die Gaskraftwerke für die Spitzenlastdeckung ersetzen können.

Zweitens müssen die Gasquellen diversifiziert und kurzfristig die Gasspeicher gefüllt werden. Dafür wird größtenteils LNG zum Einsatz kommen müssen. Es wurde eine Verpflichtung zum Auffüllen der Gasspeicher geschaffen und 15 Milliarden Kredit für die Besorgung von Erdgas dem Marktgebietsverantwortlichen bereitgestellt.

Da die Diskussion schon aufgemacht wurde, lassen Sie mich der Form halber etwas zur Atomkraft sagen. Atomkraft ist nicht geeignet, die aktuelle Gaskrise auch nur ansatzweise zu lösen. Damit kann ich die Reinräume der sächsischen Halbleiterindustrie nicht herstellen, ich kann die Glashütte damit nicht betreiben und ich kann auch bei mir zu Hause nicht heizen. Maximal ein Prozent des Gasverbrauchs könnte durch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke eingespart werden. Das Ganze wäre mit erheblichen Kosten, gesteigertem Risiko und einer Zementierung der Abhängigkeiten, die auch für diesen fossilen Brennstoff mit Russland bestehen, verbunden.

Wer Kernkraft glorifiziert und mit dem Finger auf das ach so tolle Vorbild Frankreich zeigt, der sollte sich diese Tage wundern. Denn etwa die Hälfte der französischen Kraftwerksflotte steht still. Die Börsenstrompreise sind in Folge dessen deutlich über denen in Deutschland. Der französische Energiekonzern EDF soll nun wieder komplett verstaatlicht werden, da die enormen finanziellen Risiken der französischen Energiepolitik offensichtlich nicht mehr privatwirtschaftlich tragfähig sind.

Kommen wir von den Nebelkerzen wieder zu echten kurzfristigen Lösungsansätzen. Das Gebot der Stunde ist Energieeffizienz und Energiesparen und zwar mit vielen kleinen und größeren Maßnahmen – überall dort, wo es geht. Auch das ist keine grüne Idee, sondern folgt dem gesunden Menschenverstand und der Ökonomie. Verhältnismäßig kleine Maßnahmen, wie ein hydraulischer Abgleich, Abdichtung von Fenstern und Türen oder schlicht die Absenkung des Heizungsthermostats um ein paar Grad, haben dabei multipliziert mit 40 Millionen Haushalten einen riesigen Einfluss.

Verschiedene Informationsquellen, wie die SAENA oder Verbraucherzentrale, bieten kostenlose Beratung. Viele Unternehmen, aber auch institutionelle Akteure, wie der Deutsche Städtetag, haben das bereits verstanden und unterstützen die Energiesparkampagne des Bundes. Bei allen, die bereits jetzt eigenverantwortlich ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, möchte ich mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bedanken. Und ich plädiere dafür, dass auch wir im Sächsischen Landtag und der Verwaltung unserer Vorbildwirkung gerecht werden und konkrete Einsparpotenziale aufstellen und umsetzen – der Bundestag ist hier schon einen Schritt weiter. Jede eingesparte Kilowattstunde zählt. Und doch, lieber Herr Kretschmer, Aufrufe für ein kürzeres Duschen oder niedrigere Heizungstemperaturen sind genau das, was uns weiterbringt, denn 31 Prozent des deutschen Gasverbrauchs passiert in Privathaushalten. Ich habe mir genau deswegen zum Beispiel einen Duschtimer installiert.

Als letzte kurzfristige Maßnahme, die gleichzeitig den Übergang zur langfristigen Strategie bildet, müssen jetzt alle erneuerbaren Energie-Projekte realisiert werden, die bereits weit in der Planung fortgeschritten sind. Vor dem Hintergrund der geschilderten Situation ist es mir unbegreiflich, warum zum Beispiel die Errichtung einer riesigen Solarthermieanlage, die bereits in einem Jahr die Wärmeversorgung in Leipzig unterstützen könnte, aktuell durch den Erhalt einer seit 28 Jahre alten, ungenutzten und vom Einsturz gefährdeten Kohlelagerhalle blockiert und bedroht wird. Welche Abwägung des öffentlichen Interesses zu dieser Entscheidung geführt hat, würde mich an dieser Stelle sehr interessieren.

Solche wahnwitzigen Beispiele gibt es in ganz Sachsen – beispielsweise auch in Oederan, wo ein neuer Windpark bilanziell die Hälfte des Stromverbrauchs der Stadt Chemnitz abdecken könnte, die Realisierung aber auf der Kippe steht. In der behördlichen Ablehnung werden wesentliche Beeinträchtigung einer geschützten Sichtachse auf die dortige Kirche vorgebracht. Wenn man sich das vor Ort anschaut, stellt man fest, dass auch eine vollständige Sichtblockade der Stadtkirche, dort ein Einfamilienhaus, behördlich genehmigt wurde. Wohlgemerkt ist besagter Windpark in einem Vorrang- und Eignungsgebiet knapp drei Kilometer entfernt von der Kirche geplant.

Wir müssen weg von diesem offensichtlichen Verhinderungskalkül, hin zu einem Bewusstsein für das gesamtgesellschaftliche überragende Interesse, das die Energiewende einnimmt. Nur so können wir die aktuelle Krise bewältigen und uns gleichzeitig krisenfest für die Zukunft aufstellen.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

in meiner abschließenden Runde möchte ich die mittel- bis langfristige Perspektive aufzeigen. Die Bundesregierung hat vergangene Woche im Rahmen eines der größten Novellierungspakete der Energiegesetzgebung erstmalig eine Vision für die Energiezukunft Deutschlands verankert, die konsistent mit den Zielen des eigenen Klimaschutzgesetzes ist. Gleichzeitig ist klar, dass noch weitere Gesetzesanpassungen folgen müssen – so wurde erst gestern ein Sofortprogramm für Klimaschutz im Gebäudesektor vorgelegt (BMWK und BMWSB).

Und noch wichtiger: Es liegt nun an den Verantwortlichen in den Ländern, Landkreisen und Kommunen, diese Vision zu verfolgen. Der Freistaat Sachsen und die öffentliche Hand müssen endlich ihrer Vorbildrolle gerecht werden.

Die Dekarbonisierung des Energiesystems wird im Stromsektor am schnellsten voranschreiten müssen. Hier sind wir mit etwa 50 Prozent Anteil Erneuerbarer Energien schon gut dabei. Da wir zukünftig aber auch vermehrt den Verkehrs- und Wärmesektor mit dem Stromsektor koppeln werden, müssen wir unsere Anstrengungen hier nochmal deutlich erhöhen. Das gilt insbesondere für Sachsen. Ich habe vorhin bereits Beispiele für die vorherrschende Verhinderungspolitik genannt. Dieser Zustand muss endlich überwunden werden.

Das neue Wind-an-Land-Gesetz sieht unter anderem verbindliche Flächenziele für Windenergie in allen Bundesländern vor – für Sachsen zwei Prozent. Wie ich bei der Verabschiedung der Bauordnung bereits betont habe: Wenn wir diese Flächenziele nicht bereitstellen, werden die Abstandsregeln fallen. Denn dann verliert Sachsen die Gestaltungskompetenz bei der Flächenplanung im Bereich Windkraft. Ich möchte das nicht. Wenn wir hier nicht selbst gestalten, dann werden wir gestaltet.

Es kann also nur in unser aller Interesse liegen, hier schnellstmöglich gemeinsam Lösungen zu finden. Insbesondere Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger vor Ort müssen bei diesem Prozess eingebunden werden. Die Vielzahl an Möglichkeiten zur finanziellen und prozessualen Beteiligung müssen dafür ausgeschöpft werden.

Der zusätzliche erneuerbare Strom wird dann auch verstärkt für die Wärmebereitstellung genutzt werden können. Beim kürzlich stattfindenden Wärmepumpengipfel wurde das Ziel von 500.000 neu installierten Wärmepumpen pro Jahr ausgerufen. Zur Erinnerung: Das sind 150.000 weniger als vergangenes Jahr Gasheizungen installiert wurden. Neben der Einsparung des Brennstoffs und der damit verbundenen Emissionen sind Wärmepumpen übrigens auch wesentlich effizienter und helfen damit den Primärenergiebedarf insgesamt zu senken. Ähnliches gilt für die Elektromobilität.

Ich fasse zusammen: Die aktuelle Krise ist hausgemacht. Die Preise an den Energiemärkten sind ein fossiles Problem. Erneuerbare Energien wirken dauerhaft preissenkend. Alle kurzfristigen Anstrengungen müssen dem Ziel dienen, die bestehenden Abhängigkeiten zu verringern. Das hat Sachsen auch in der Protokollerklärung im Bundesrat vergangene Woche so bestätigt. Dazu gehören insbesondere kurzfristige Effizienz- und Einsparungsmaßnahmen. Atomkraft ist dazu definitiv ungeeignet. Wir brauchen gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität. In einer Krise muss die Gesellschaft zusammenrücken. Dass das geht, haben wir bei vergangenen Flutkatastrophen gezeigt. Langfristig muss die Energiewende konsequent vorangetrieben werden. Das heißt, insbesondere den Ausbau der Erneuerbaren Energien, aber auch eine Wärme- und Verkehrswende. Damit bleibt dann übrigens auch der Ausstieg aus der Kohleverstromung idealerweise 2030 machbar.

Das fossile Zeitalter ist fast vorbei. Lassen sie uns dafür gemeinsam kämpfen, dass Sachsen in Zukunft auch Energieland bleibt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.