Aktuelle Debatte Kriminalität – Čagalj Sejdi: Es ist unsere Aufgabe, Kriminalität zu verhindern und Prävention zu leisten
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der AfD-Fraktion: „Deutsche Opfer, ausländische Täter: Wo bleibt der Aufschrei?“
88. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag 03.05.2024, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die AfD wartet mit dem Titel ihrer Debatte „Deutsche Opfer, ausländische Täter: Wo bleibt der Aufschrei?“ auf DEN Aufschrei
Ich habe DEN Aufschrei gehört und zwar in Form unzähliger Demonstrationen in ganz Sachsen, in ganz Deutschland – gegen rechte Ideologien und für die offene Gesellschaft seit Beginn des Jahres. Das ist der Aufschrei gegen ihren ständigen Populismus und Rassismus.
Wir, die vielen Menschen in Sachsen und ganz Deutschland, wollen ihre menschenverachtende und angstmachende Politik nicht mehr!
Dass Sie das nicht weiter beachten, sondern an dieser Stelle wieder einmal Hetze auf Kosten anderer Menschen verbreiten und so tun, als ginge es Ihnen um das Wohl der Gesellschaft – das wundert leider nicht.
Heute sind es einmal wieder die Straftäter ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die Sie zu Schuldigen machen wollen.
Die Erzählung, an der steigenden Kriminalität in Deutschland seien besonders die Zugewanderten Schuld, verfängt aber nicht nur bei Ihnen, man hört es leider von vielen Seiten, besonders seit die Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) veröffentlicht wurden.
„Emotionen funktionieren besser als Argumente“, sagte der Chemnitzer Kriminologe Frank Asbrock kürzlich in einem Interview in der Freien Presse. Dabei ging es auch um die Aussagekraft der sagenumwobenen Polizeilichen Kriminalstatistik. Ja, Populisten nutzen die Zahlen für Stimmungsmache. Und ja, erschreckenderweise funktioniert das gut. Aber weil dieses Hohe Haus nicht der Ort für blanken Populismus, sondern eigentlich für eine sachliche Debatte ist, werde ich die Zeit nun nutzen, ein bisschen einzuordnen.
Zunächst: Was ist die Polizeiliche Kriminalstatistik? Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist überwiegend eine Eingangsstatistik, ein Arbeitsnachweis der Polizei. Sie trifft Aussagen darüber, welche Anzeigen die Polizei aufgenommen hat, wo sie ermittelt und wen sie als Tatverdächtige beschreibt. Sie sagt aber nichts darüber,
- wie die Ermittlungen verlaufen sind,
- welche Verfahren eingestellt, welche angeklagt, wurden und
- wie die Gerichtsverfahren ausgehen.
- Und sie sagt auch nichts über die Gründe für eine Tat.
Durch die öffentlich Wahrnehmung und Interpretation wurde der Pass bzw. die Staatsangehörigkeit zum entscheiden Merkmal.
Genau so gut hätte man auch feststellen können, dass über 86 Prozent der Alkoholsünder am Steuer Männer sind und dass daher Männer größtenteils betrunken Autofahren und dabei Unfälle bauen.
Männer scheinen demnach auch keine Verkehrsregeln zu kennen, sie führen nämlich die Statistik der Rotlichtverstöße, Abstandsregelungsverstöße und Überladung von Kraftfahrzeugen an.
Kurzum, nach dieser Lesart sind Männer ein ernstes Problem im Straßenverkehr. Wir bräuchten ein Gesetz, dass den Mann von der Straße holt.
Sie merken, das wirkt arg überspitzt – würde ich hier statt über Männer aber z.B. über Migranten sprechen, würde der eine oder andere unter Ihnen anders denken. Und genau das zeigt uns, wie gefährlich es ist, blanke Zahlen für die politische Debatte und politische Entscheidungen zu nutzen.
Es ist populistisch. Es ist unehrlich. Wirksame Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung bedürfen einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage und keiner Überinterpretation von Zahlen, die eigentlich gar nichts darüber aussagen, ob Deutschland nun sicherer oder weniger sicher ist. Denn die PKS ist wie gesagt ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Wenn die Statistik deutlich macht, dass es 8,6 Prozent mehr Gewalttaten gibt als im Vorjahr, dann bedeutet das erst einmal nur, dass die Polizei mehr Fälle bearbeitet hat als im Vorjahr, nicht mehr und nicht weniger.
Um wirklich zu erfahren, wie es um die Sicherheit in Sachsen steht, braucht es mehr. Deswegen haben wir BÜNDNISGRÜNE uns zum Beispiel bei den Koalitionsverhandlungen für die Erstellung eines periodischen Sicherheitsberichts stark gemacht. 2023 ist auch der erste erschienen. Er verknüpft polizeiliche und justizielle Statistiken und unterfüttert diese. Sowohl mit Erkenntnissen aus Dunkelfeldstudien als auch mit Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft. Wir waren damit im Freistaat Vorreiter und haben eine Grundlage für evidenzbasierte Kriminalpolitik geschaffen.
Gesellschaftlich betrachtet sollte es auch gar keine Rolle spielen, welche Staatsangehörigkeit Täter oder Opfer haben. Viel wichtiger wäre es, Risikofaktoren wie Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung unter die Lupe zu nehmen und präventive Konzepte, wie den Landespräventionsrat, Jugendarbeit und Drogen- und Suchtberatungsstellen, zu stärken. Denn unser Ziel sollte es nicht sein, Menschengruppen zu denunzieren und an den Pranger zu stellen, sondern Kriminalität zu verhindern, Prävention zu leisten, damit wir alle in Sachsen sicher und gut leben können.
Vielen Dank.