Aktuelle Debatte – Kuhfuß: Es ist jetzt der Zeitpunkt, einen richtig guten Sommer für junge Menschen zu starten
Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE „Sommerpakt für Kinder und Jugendliche in der Krise – damit junge Menschen nicht nur aufholen, sondern sich auch erholen können“
31. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag, 21.05.2021, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
wir BÜNDNISGRÜNE haben heute diese Aktuelle Debatte beantragt, weil wir überzeugt sind, nach vielen Monaten des notwendigen Corona-Krisenmodus ist es jetzt an der Zeit, die besonderen Schutz- und Entwicklungsrechte von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen.
Was Kinder und Jugendliche in diesem Sommer ganz besonders brauchen, ist eine unbeschwerte Zeit mit Gleichaltrigen – an Orten, die ihnen und ihrer Entwicklung gut tun. Denn Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben andere Bedürfnisse und eine andere Wahrnehmung von Zeit.
Der bisherige Fokus in der Pandemie lag auf der Bildung Zuhause. Doch Kindheit und Jugend macht viel mehr aus. Nicht mit Gleichaltrigen auf dem Spielplatz zu toben, nicht im Wald Hütten zu bauen, nicht gemeinsam den Fußball über den Schulhof zu bolzen und nicht tuschelnd in der Ecke des Jugendclubs zu sitzen, scheint für uns Erwachsene vielleicht verzichtbar, ist es aber langfristig nicht!
Die fehlenden Möglichkeiten, sich auszuprobieren, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu sammeln, unbeschwert zu sein, Gleichaltrigen oder Pädagog*innen vom Ärger Zuhause erzählen zu können, das kann sich nachteilig auf die Entwicklung auswirken.
Neben den psychischen Auswirkungen hatten viele Kinder und Jugendliche in den letzten Monaten wesentlich weniger Bewegung. Manche haben ihre motorischen Fähigkeiten kaum weiterentwickelt. Davon wird noch keine ganze Generation ungeschickt, erleidet Adipositas oder gar Fehlsichtigkeit. Dennoch sollten wir jetzt einen guten Rahmen und Möglichkeiten schaffen, damit Kinder und Jugendliche sich spielerisch bzw. freizeitorientiert bewegen und teilhaben können.
Die Dimension des zeitlichen Erlebens macht es für Kinder und Jugendliche besonders schwer, die Corona-Zeit gut zu überstehen. 14 Monate sind in der frühen Phase des Lebens sehr viel entscheidender, denn die Entwicklungsschritte sind größer.
Wer heute drei Jahre alt ist, hätte in der Regel schon 24 Monate in einer Kita verbracht, das konnte diesen Kind nicht. Wenn das Kind keine Geschwister hat, vielleicht beengt lebt und Eltern nicht für Abwechslung sorgen, war da viel Zeit, im immer selben Settings und mit wenig Entwicklungsanreizen.
Ein Kind, welches heute die 1. Klasse besucht, kennt keinen normalen Gruppenprozess in seiner Klasse.
Wer heute 10 Jahre alt ist, hat das letzte Jahr weder regelmäßige sich in Sportvereinen ausprobiert, noch so richtig Kindergeburtstag gefeiert.
Wer heute 16 ist, war nur unter sehr erschwerten Bedingungen, hin und wieder im Jugendclub, auf einer Party oder im Kino.
Es gibt einen Jahrgang 18-Jähriger, die keine Ahnung haben, welche Freiheit sich hinter dem Alter verbirgt.
Das alles zeigt: Es wird Zeit, genau zu überlegen, was wir jetzt tun können, um uns bei den Kindern und Jugendlichen zu bedanken – dafür, dass sie ihren Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet haben! Wir Erwachsenen haben eine Verantwortung und sollten die junge Generation in dieser Phase der Pandemie beim Nachholen von Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen aktiv unterstützen.
Deshalb halten wir BÜNDNISGRÜNE ein Sommerpakt für Kinder und Jugendliche in der Krise für dringend erforderlich, damit junge Menschen nicht nur aufholen, sondern sich auch erholen können!
Dieser Sommerpakt sollte aus unserer Sicht fünf Bereiche umfassen:
- Sachsenweite Ferienlager
- Planbarkeit und klare Perspektiven für Angebote der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit – auch über die Ferien hinaus
- leicht zugängliche Outdoor-Angebote im Quartier bzw. Stadtteil
- eine Sport- und Bewegungsinitiative – speziell für junge Menschen
- ein Zurück zu einer Kultur der Kinder- und Jugendbeteiligung
Ein solches Sommerpaket für Kinder und Jugendliche ist kein Geschenk, sondern ein dringend notwendiges Angebot, vor allem um nachzuholen statt nur aufzuholen.
Bevor wir gleich in die Debatte einsteigen, möchte ich aber klar begründen, warum wir BÜNDNISGRÜNE diese Forderungen erst jetzt mit dieser Dringlichkeit erheben. Die kurze Antwort lautet: Die Corona-Pandemie lässt es leider erst jetzt zu.
Der Impfschutz in Deutschland kommt mittlerweile gut voran. Das ist das wirksamste Mittel bei der Bekämpfung des Coronavirus. Die Testkapazitäten für regelmäßige Schnelltests – aller Generationen – sind seit dem Frühjahr ausreichend und flächendeckend verfügbar. Die Sommermonate machen es leichter, sich coronakonform zu begegnen – draußen, an der frischen Luft, in kleineren Gruppen. Genau darauf zielen wir ab!
Die Kontaktbeschränkungen und Freiheitsbeschränkungen der vergangenen Monate waren notwendig, damit für alle Generationen der größtmögliche Gesundheitsschutz sichergestellt werden kann. Entgegen der Erzählung der AfD ging es uns nie darum, junge Menschen wegzusperren oder gar allein zurück zu lassen. Es ging darum, durch Homeschooling Kontakte zu reduzieren. Dabei hatten wir immer auch das Kindeswohl im Blick. Wir haben versucht, die Jugendämter und sozialen Träger zu stärken, um Familien in schwierigen Lebensverhältnissen auch in der Krise zu erreichen.
Jugendarbeit suchte den 1:1 Kontakt mit jungen Menschen beim Spaziergang im Park, sie fand online statt, Ostergeschenke wurden über den Zaun gehangen und das digitale Jugendhaus erfunden. Für die unvorhersehbaren finanziellen Entwicklungen sind Bund, Land und zum Teil auch Kommunen mit Rettungsschirmen eingesprungen. Der Freistaat zum Beispiel mit einer Finanz-Spritze für die Jugendübernachtungsstätten. Jetzt stehen alle in den Startlöchern und es ist der richtige Zeitpunkt, um einen richtig guten Sommer zu starten!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich hatte in der ersten Runde fünf Schwerpunkte für das von uns vorgeschlagene Sommerpaket genannt. Lassen Sie mich diese nun etwas genauer ausführen:
1. Ferienlager, Camps und Stadtranderholung für ganz Sachsen in den Ferien
Diese Maßnahmen gehörten schon immer zum Angebot der Jugendhilfe, von Kirchen und Verbänden. In den vergangenen Jahren haben sich die Gebietskörperschaften aber bei der Förderung längst nicht mehr so engagiert wie in den 90er-Jahren und die Angebotsvielfalt ist nicht mehr da.
Jetzt in Zeiten von Isolation und fehlendem Austausch erscheint es wie ganz natürlich, diese Camps wieder richtig auszurollen. In festen Gruppen und mit Hygienekonzept kann so eine Menge an Gruppenerfahrung, Spiel, Aktion und auch Austoben nachgeholt werden. Dazu muss man nicht nach Spanien fliegen, das geht auch hier um die Ecke in einer der fast 200 Jugendübernachtungseinrichtungen die Sachsen.
Dazu braucht es:
- den Willen, zwischen Land und Gebietskörperschaften Maßnahmen zu ermöglichen und unkompliziert zu fördern. Und zwar für alle Kinder, egal wo sie in Sachen leben
- einen einheitlichen Orientierungsrahmen für die Jugendübernachtungseinrichtungen, um nicht mit 13 Gesundheitsämtern die immer selben Prozesse abzustimmen
- eine große Portion Motivation an die Strukturen und ihre Ehrenamtlichen, sich dieses Jahr noch einmal unter erschwerten Bedingungen ins Zeug zu legen und viele Camps, Ferienlager anzubieten
2. Mehr Planbarkeit und klare Perspektiven für Angebote der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit, gerne auch über den Sommer hinaus
Die Häuser der Kinder- und Jugendarbeit haben seit März 2020 den Kontakt mit ihren Besuchern digital, einzeln oder jetzt wieder in kleinen Gruppen gehalten. Sie haben Spiele nach Hause gebracht und Hausaufgaben ausgedruckt und waren da, wenn es um Krisen ging. In der Anhörung im Landesjugendhilfeausschuss wurde sehr klar, dass es komplette Schließungen in der Jugendhilfe nicht mehr geben darf, wenn wir die sozialen Folgend er Krise beherrschbar halten wollen.
Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um sowohl den Hauptamtlichen als auch den vielen Ehrenamtlichen, die sich nach und nach impfen lassen, sich mit allerlei Hygienemaßnahmen vertraut gemacht haben und ihre Konzepte komplett umgekrempelt haben, Sicherheit zu geben.
Dazu braucht es:
- einen anderen Ort für die Jugendarbeit in der Verordnung – unter der Überschrift von „Freizeit“ quasi zwischen Prostitution und Glückspiel ist Jugendarbeit nicht gut aufgehoben,
- eine Rückkehr zu einer eigenständigen Politik für Kinder und Jugendliche, weil Kinder mehr als Besucher*innen von Kitas und Lernende an Schulen sind,
- eine schnelle Klärung der Mehrkosten (z.B. für Digitalisierung oder Reinigungskosten) in der Jugendarbeit – in Abstimmung mit der kommunalen Familie,
- eine praktikable Klärung, was Jugendarbeit macht, wenn Kinder nicht zweimal in der Woche in der Schule getestet werden, weil Homeschooling oder Ferien anstehen.
3. Leicht zugängliche Open Air Angebote im Quartier bzw. im unmittelbaren Wohnumfeld junger Menschen
Ich meine damit zum Beispiel temporäre Abenteuerspielplätze, ein kleines Festival mit vielen Bühnenstandorten oder eine Jugendkunstakademie, die in einer Kleinstadt Workshops zu Themen anbietet, die gerade angesagt sind?
Dafür braucht es:
- vor allem die Möglichkeit, schnell und unkompliziert an Projektgeld zu kommen,
- Menschen die Lust haben, so ein Projekt umzusetzen und
- eine coole Idee, wie Kinder und Jugendliche davon erfahren oder ihre Ideen von Anfang an mit einbringen können.
4. Eine Sport- und Bewegungsinitiative für junge Menschen
Der momentane Mehrbedarf an Bewegung klopft bei fast jedem an die Tür, der die letzten Monate ohne Schwimmbad, Sportplatz und Fitnessstudio leben musste. Kindersport ist eingeschränkt wieder möglich, aber für eine Aufholjagd in Sachen Bewegung braucht es mehr:
- Vereine und Verbände sollen beim Ausbau von Outdoor-Sportangeboten unterstützt werden,
- es gilt, unbürokratische Zugänge (fernab der Vereinsmitgliedschaft) zu schaffen und Trend-Sportarten wie Parcour-Training, Mountainbiking, Klettern, Skaten und Geocaching in den Blick zu nehmen
- dabei ist es notwendig, die Bereitstellung mobiler Sportanlagen, z.B. Skate-Elemente und Rampen, Basketballkörbe etc. im Sommer finanziell zu unterstützen.
- Kommunen könnten öffentlichen Raum, z.B. Parkflächen, freigeben bzw. befristet für den Outdoor-Sport eingrenzen.
- viele Übungsleiter*innen sind weggefallen, da das Training in den Vereinen aktuell nicht stattfindet und sie darüber hinaus oftmals in hohem Maße beruflich und privat eingebunden sind. Daher müssen Rück- bzw. Neugewinnungsprogramme aufgelegt werden.
Und was braucht es noch?
5. Kinder- und Jugendbeteiligung, unbedingt wieder Beteiligung!
Das Gefühl junger Menschen, es werde über ihre Köpfe hinweg entschieden, muss jetzt wieder in einen aktiven Prozess der Beteiligung überführt werden. Dafür braucht es Orte, Gelegenheiten und geeignete Prozesse. Das muss kein langer Forderungskatalog sein. Es braucht:
- eine kurzfristige, gute, wissenschaftliche Befragung der Kinder und Jugendlichen, um auf der Meta-Ebene einen Überblick zu bekommen, was sie wollen
- ganz grundsätzlich sollten Erwachsene akzeptieren, dass Kinder und Jugendliche Experten in eigener Sache sind und zwar im Ferienlager, Jugendclub, im Stadtteil, auf dem Sportplatz und auch in der Schule.
Und wer soll das jetzt alles bezahlen?
Wir – über die gestern beschlossene Jugendpauschale, die den Gebietskörperschaften finanzielle Spielräume ermöglicht und das Bundesprogrammes „Aufholen nach Corona“, was extra einen Baustein zu dafür Vorgesehen hat.
Geld ist also da!
Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es gemeinsam gelingen kann, Großes zu bewegen. Jetzt ist es notwendig, dies nochmal zu tun und zwar für unsere jungen Sächs*innen. Ich sehe uns in der Verantwortung, aus den Bedarfen, die Kinder und Jugendliche haben, und dem, was wir im Werkzeugkasten der Jugendhilfe der Kommunen bzw. des Landes vorfinden, ein richtig gutes Sommerpakt für Kinder und Jugendliche zu schnüren – und zwar jetzt!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich wage in meiner dritten Runde noch einen Ausblick: Kinder und Jugendliche haben laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit. Neben diesen besonderen Schutzrechten zeigt sich klar, dass gerade Kinder und Jugendliche ihren Entwicklungsaufgaben nachkommen wollen und müssen. Wachsen ist dabei mehr als Groß zu werden. Zur gesunden Entwicklung gehört die Teilhabe an Schule, Freizeit und selbstorganisierten Gruppen-Kontakten. All das lässt sich geimpft sicherer und unkomplizierter organisieren.
Damit wir mit der weiteren Freigabe von Impfstoff auch für unter 16-jährige diesem Ziel näher kommen, muss sichergestellten werden, dass wir für die Nachfrage an Impfungen auch genügend Angebote schaffen:
Dazu zählt, dass neben der Einbindung der Haus- und Kinderärzte in die Impfstrategie auch die Versorgung des ländlichen Raums sichergestellt ist. Dort, wo das Impfen in Praxen nicht möglich ist, sollte über einen kindgerechten und von Eltern akzeptieren Einsatz der mobile Impfteams an geeigneten Orten, wie z.B. Gemeindezentren oder sozialen Einrichtungen, nachgedacht werden. Die Impfzentren sind für die Zielgruppe zu öffnen, wobei Eltern als Begleitpersonen berücksichtigt werden müssen. Der Zielgruppe der Auszubildenden und Studierenden müssen wir ein Impfangebot unterbreiten, damit neben einer gelingenden Lebensgestaltung auch die berufliche Qualifikation sichergestellt werden kann.
Sachsen braucht, speziell auch für junge Menschen, eine zielgruppengerechte Aufklärung zu den Corona-Schutzimpfungen, um die Akzeptanz durch Information und Aufklärung zu stärken. Über geeignete Kanäle sollte wiederholt kommuniziert werden, dass über die Priorität 3 für alle Akteure der Kinder und Jugendhilfe und Schulen ein Impfangebot jetzt schon möglich ist – egal, ob Schulsozialarbeit, Jugendübernachtungsstätte oder ehrenamtlich Tätige in der Jugendarbeit. Davon sollten auch die Trainer*innen im Kinder- und Jugendsport kurzfristige profitieren.
Vielen Dank!