Aktuelle Debatte Ostdeutschland – Löser: Ostdeutsche Herkunft wird noch immer viel zu oft als Makel wahrgenommen
Redebeitrag des Abgeordneten Thomas Löser (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Springer-Chef zeigt elitäre Verachtung Ostdeutscher – Geringschätzung und Benachteiligung des Ostens endlich beenden“
69. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 26.04.2023, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Springer-Vorstandsvorsitzende Herr Döpfner hat, in Chatnachrichten an seine Redaktion, Einblicke in seine „emotionale Blitzableiterfunktion“ gegeben und dabei offenbart, wie er über bestimmte Themen denkt.
Man glaubt ja immer, die Bild-Zeitung sei – euphemistisch formuliert – schon relativ „direkt“ und ungefiltert „nah“ dran am Gefühlsleben der Menschen. Aber nein, es geht immer noch ehrlicher.
Herr Döpfner hat nebenbei bemerkt, nicht nur alle sogenannten Ostdeutschen als Faschisten oder Linksradikale diskreditiert, er hat Minderheiten verunglimpft, die parlamentarische Demokratie in Frage gestellt – und er hält Bundeskanzlerin Merkel für „irre und gefährlich“. Und wir erfahren, dass bei der „Bild“ journalistische Beiträge für ihn so eine Art „Werbeanzeigen“ für die FDP sind.
Nun ist das ja bei der „Bild-Zeitung“ nichts Neues. Und spätestens seit dem Erscheinen von Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ 1974 weiß die deutsche Öffentlichkeit, wie es um Recherchewahrheit oder einfach nur Anstand bei „Bild“ steht.
Auch kann ich gern, wenn es interessiert, kurz zur Kenntnis geben, was die „Bild“ in den vergangenen Wochen so an Schlagzeilen in Richtung Wirtschaftsminister Habeck verbreitet hat: „Heiz-Hammer ist Atombombe für unser Land“, „Heizhammer sprengt den Sozialstaat“, „Unsere Mieten werden explodieren“.
Atombombe, sprengen, explodieren – das sind so die bevorzugten Wortschöpfungen in Richtung Grüne. Und den einen oder die andere habe ich ja bei diesen Worten auch schon gedanklich anerkennend nicken hören und freue mich, wie sie sich dann gleich alle gemeinsam über diesen unmöglichen Herren Döpfner aufregen.
Und wo wir gerade dabei sind, auch unser verehrter Herr Ministerpräsident war sich ja in der Wochenendausgabe der „Bild“-Zeitung nicht zu schade, ähnlich martialische Worte in Richtung Grüne zu finden.
Ich zitiere: „Die Politik der Grünen ist ökologischer Irrsinn“, „Die Pläne dieser Regierung führen zu Aufruhr in der Bevölkerung.“, „Die Menschen wenden sich ab, weil sie Angst bekommen.“
Das vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Bedrohungslage in Grünen Abgeordnetenbüros und mittlerweile wöchentlicher Angriffe auf grüne Büros.
Aber es ist doch klar, was so viel Angst macht, bei so viel Irrsinn, bei so viel Grund zur Aufruhr, da wird man sich doch als Bürger noch wehren dürfen und sei es mit einem Pflasterstein auf eine grüne Büroscheibe.
Ist ja bloß der Koalitionspartner in Sachsen, der den Ministerpräsidenten nebenbei bemerkt mitgewählt hat. Was glaubt der Ministerpräsident eigentlich, wer ihn das nächste Mal wieder ins Amt wählt?
Nun bin ich ja ehrlicherweise weit abgeschwiffen, denn ich wollte eigentlich nur die Frage stellen: Warum regt uns denn der Herr Döpfner so auf mit seinem Ost-Bashing? Denn neu ist ja auch alles nicht.
Es regt uns auf, weil es genau das ist, was in Dirk Oschmanns Buch „Der Osten eine westdeutsche Erfindung“ als immer wiederkehrende journalistische Abwertungsbeschreibungen des „Ostens“, dann meistens Sachsen als ganz besonders schlimmen Osten, gezeichnet wird.
Herr Döpfner tut uns ja geradezu den Gefallen, genau dieses Vorurteil zu bestätigen. Bessere Werbung geht nicht und das obwohl das Buch von Dirk Oschmann schon vorher zum Beststeller avancierte und in zahlreichen Zeitungen besprochen wurde.
Bevor ich zu den Thesen aus Oschmanns Buch komme, will ich noch einmal den Begriff Ostdeutschland hinterfragen. Ich selbst bin 1972 geboren, war 1989 also 17 Jahre alt und habe mich nie als Ostdeutscher verstanden. Abgesehen von den eher nervigen Ossi-Retrowellen habe ich das immer als Nachwendekonstruktion verstanden.
Ich nehme aber wahr, es gibt eine Debatte zu dem Thema auch in der jungen Generation im Osten. Ich habe mal unsere Tochter, 16 Jahre alt, gefragt, ob sie mit dem Begriff Ostdeutschland etwas anfangen kann – oder ob es in ihrer Generation in der Selbstbeschreibung eine Rolle spielt. Ihre Antwort war schlicht und ergreifend: ja. Vor allem wenn sie in Westdeutschland unterwegs ist und permanent mit krassen Vorurteilen konfrontiert wird: „Bist du auch, wie alle Ossis, ein Nazi? Sind deine Eltern Nazis?“
Zum Glück kann sie da immer glaubhaft Nein sagen. Aber klar wird, es ist eine Abwehrdiskussion – und ostdeutsche Herkunft wird als Makel beschrieben. Die alte Hoffnung „wir warten einfach mal 30 Jahre ab und das Ostproblem erledigt sich von selbst“ geht also nicht auf.
An welchen politischen Problemfeldern macht Dirk Oschmann nun die Debatte auf und beschreibt strukturelle Benachteiligungen des Ostens?
- Einkommensunterschiede Ost-West: Im Osten 22 Prozent weniger, 33 Jahre nach der Einheit
- Besitz zum Vermögen, Vererbung, Immobilien: In Dresden knapp 40 Prozent westdeutsche Besitzer*innen, in Leipzig deutlich mehr, das stelle man sich mal in München vor.
- Führungspositionen in Hochschulen, Unternehmen, Vorstandposten in westdeutscher Hand
- Einseitige Berichterstattung in führenden deutschlandweiten Medien über Osten
Interessant ist ja: Was machen wir mit diesen Feststellungen? Was leiten wir politisch dazu ab?
Eines aber bitte nicht, das ist mir wichtig, jetzt schon zu sagen: Bitte kein pauschales Wessi-Bashing. Denn es gibt unzählige „Wessis“, die sich hier im Osten für Sachsen und für die Demokratie stark machen.