Datum: 18. November 2021

Antisemitismusbeauftragte*r – Hammecke: Jetzigen Beauftragten und Expert*innen-Netzwerk stärken

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Unabhängigen und weisungsfrei tätigen Antisemitismusbeauftragten des Freistaates Sachsen einführen und aufgabenangemessen ausstatten!“ (Drs 7/74583)
38. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 18.11.2021, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Präsident,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,

erst am 9. November 2021, an dem warnend an die Pogrome des Nationalsozialismus und den Opfern des NS Terrors gedacht wurde, wurden in Leipzig von Unbekannten eine Gedenktafel und Stolpersteine von jüdischen Familien aus dem Pflaster gerissen.

In Dresden hat ein Ableger von Querdenken eine Pressemitteilung herausgegeben, in der Impfungen mit Menschenversuchen an Jüd*innen in der NS Zeit verglichen werden.

Das Restaurant Schalom in Chemnitz ist immer wieder Ziel von antisemitischen Übergriffen.

Diese Beispiele aus den drei großen Städten Sachsens stehen exemplarisch für die erschreckenden Zahlen. Der Bundesverband RIAS hat sich für Sachsen die antisemitischen Fälle in den vergangenen zehn Jahren angeschaut – die Recherchen ergaben im Schnitt drei pro Woche. Tendenz steigend.

Daher danke ich der Linken auch, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt haben. Und möchte Kerstin Köditz persönlich für ihre ausdauernden Kleinen Anfragen an die Staatsregierung zum Thema „Antisemitische Überfälle, Sachbeschädigungen, Leugnung der Shoa und andere antisemitische Straftaten“ danken.

Die Diskussion um die Einsetzung eines Antisemitimusbeauftragten ist nicht neu: Nach dem Einsetzen eines Bundesbeauftragten für das jüdische Leben und den Kampf gegen Antisemitismus im Jahr 2018 war diese Forderung, auch hier in Sachsen eine ähnliche Struktur zu schaffen, bereits einmal erhoben worden – und das mit Recht.

Deswegen war es auch ein wichtiger Schritt, dass 2019 das Amt des Beauftragten für jüdisches Leben als unabhängiges Gremium in Sachsen eingerichtet wurde. Er wird begleitet von einem Expert*innenrat, der so oder so ähnlich auch im vorliegenden Antrag gefordert wird – bestehend aus Wissenschaft, den jüdischen Gemeinden in Sachsen, den Kirchen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft.

Der Beauftragte arbeitet derzeit ehrenamtlich. Natürlich kann und sollte man darüber sprechen, welche Ressourcen dieses Amt braucht – ich denke aber, diese Diskussion um die Ressourcen sollten und werden wir sicherlich in den nächsten Haushaltsverhandlungen führen.

Und trotzdem passiert zum Glück einiges hier im Freistaat Sachsen:
Im Mai dieses Jahres wurde nach Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden mit der Generalstaatsanwaltschaft Sachsens ein Gemeinsamer Leitfaden zur konsequenten Verfolgung antisemitischer Straftaten erarbeitet.

Der Bundesverband RIAS – Recherche und Informationsstelle Antisemitismus betreibt bereits ein bundesweites Meldesystem: Über Report Antisemitsm können sich Betroffene niedrigschwellig melden. Auch für Sachsen soll eine niedrigschwellige Recherche und Informationsstelle Antisemitismus sowie eine psychosoziale Beratungsstelle geschaffen werden. Wie ich den Ausführungen des Beauftragten entnommen habe, soll die Arbeit der Beratungs- und Meldestelle mit Beginn 2022 aufgenommen werden.

Im Gesamtkonzept Rechtsextremismus haben wir als einen wichtigen Punkt eine Dunkelfeldstudie vereinbart – mit dem Ziel, ein klareres Bild der unterschiedlichen Formen des Rechtsextremismus, insbesondere von Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit und deren Opfern zu erhalten.

Mit dem neu eingerichteten Else-Frenkel-Brunswik Institut, benannt nach der jüdischen Psychoanalytikerin und Psychologin, die zu Autoritarismus und Antisemitismus forschte, gibt es nun ein Institut an der Uni Leipzig, das auf Basis der Einstellungsforschung wissenschaftlich fundierte Informationen zu demokratiefeindlichen Einstellungen und Netzwerken zur Verfügung stellt, diese Infos für zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Kommunen aufarbeitet und sich gerade mit der Corona-Pandemie auch mit Verschwörungsmythen und ihren antisemitischen Motiven beschäftigt.

Nicht zuletzt leisten zivilgesellschaftliche Akteur*innen enorm wichtige Arbeit beim Kampf gegen Antisemitismus. Wir haben daher extra Mittel für Maßnahmen gegen Antisemitismus in die Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen bereitgestellt, die im Benehmen mit dem Beauftragten zu vergeben sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir müssen darüber sprechen, wie wir den Kampf gegen Antisemitismus in Sachsen stärken – „Nie wieder“ darf nicht zu einer Worthülse verkommen, die zum 9. November rausgekramt wird, in Erinnerung an Vergangenes, sondern muss unser aller gemeinsamer Verantwortung in der Gegenwart sein. Wenn wir wollen, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur Teil unserer Gesellschaft bleibt, müssen wir dafür sorgen, dass es sich in Sachsen auch frei entfalten kann.

Deshalb sollten wir darüber sprechen, wie die Arbeit des Beauftragten für das jüdische Leben in Sachsen weiter gestärkt und unterstützt werden kann. Ich freue mich darauf, weitere Ergebnisse seiner Arbeit, wie die Einrichtung der angesprochenen Meldestelle, zu sehen und hier auch zu diskutieren. Wir lehnen den Antrag ab, da wir die Stärkung des jetzigen Beauftragten, seiner Tätigkeiten und des auch vom Antrag geforderten Expert*innen-Netzwerks im Vordergrund sehen – anstatt einer konzeptionellen Neugründung.

Vielen herzlichen Dank.