Bericht des Ausländerbeauftragten – Čagalj Sejdi: Der Bericht bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten: „Jahresbericht 2023“ Drs 7/16168
88. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag 03.05.2024, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrter Herr Mackenroth,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
zunächst einmal möchte auch ich mich für Ihren Bericht bedanken. Sie hatten weniger Zeit als in den vergangenen Jahren, uns eine Rückschau auf das Jahr 2023 zu geben. Das ist mir bewusst.
Dennoch: Wenn ich den Bericht so durchblättere, dann scheint 2023 ein sehr unaufgeregtes Jahr gewesen zu sein. Mir ist dieses Jahr 2023 ganz anders in Erinnerung:
Medial haben uns Schlagzeilen wie „Wie viele Flüchtlinge schafft Sachsen?“ oder „Kommunen können bald keine Flüchtlinge mehr aufnehmen“ durch 2023 begleitet. Parteien des rechten Spektrums haben mit der Migrationsdebatte eine sehr hohe Popularität erfahren. Statt mit Ehrlichkeit und Sachlichkeit die bestehenden Herausforderungen zu diskutieren, haben auch Parteien der bürgerlichen Mitte mit eingestimmt in den Chor derjenigen, die Zuwanderung in erster Linie als ein Problem schildern.
Der Diskurs hat sich im vergangenen Jahr merklich nach rechts verschoben. Rechte von Geflüchteten wurden im Schnellverfahren bis zur Grenze der Verfassungsmäßigkeit zusammen gekürzt.
Innerhalb von nur drei Monaten wurden Verschärfungen des Asylverfahrensrechts und des Abschiebehaftrechts beschlossen sowie die Ausschreibung zur Bezahlkarte auf den Weg gebracht. Fakten, belastbare Zahlen, welche die Wirksamkeit der Verschärfungen untermauern? Welche die Tragweite dieser Eingriffe in die Grundrechte rechtfertigen? Ich habe keine gesehen. Sachliche Diskussionen, Abwägungen des Für und Wider? Habe ich weder gehört noch gelesen.
Dabei sagen Migrationsforschende, dass die Zahl der Abschiebungen mit den getroffenen Regelungen nicht signifikant geändert werden wird. Auch gibt es keine Daten, mit denen man auch nur annähernd belegen könnte, dass Sozialleistungen in Größenordnungen ins Ausland transferiert werden.
Das Bundesverfassungsgericht wird erst in ein paar Jahren klären, ob diese Hau-Ruck-Aktionen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Mir scheint es, als würde manch einer denken: Die Wähler, die sonst rechts gewählt hätten, sind erst einmal eingehegt und die Pfründe für die nächste Legislatur sind damit allemal gesichert. Am Ende ging es ja nur um die Rechte von Zugewanderten. Also alles nicht so schlimm?
Ich weiß, die Meinungen über die Richtigkeit der Maßnahmen, über ihre Wirkmacht gehen auseinander. Und es gibt auch gemäßigtere Stimmen als meine. Der Punkt aber ist, es gab eine Riesendiskussion, es ging um Rechte von Migrant*innen, deren Fürsprecher Sie hier in Sachsen sind. Jedenfalls steht das im Gesetz über den Sächsischen Ausländerbeauftragten. Wegducken und Ignorieren, was da in 2023 passiert ist, ist aus meiner Sicht keine Option.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Jahresbericht des Ausländerbeauftragten für das Jahr 2023 hätte viel Potenzial gehabt. Potenzial, die polemische und rassistische Debatte um illegalisierte Zuwanderung im vergangenen Jahr zu versachlichen. Die graphischen Darstellungen auf Seite 14 und 15 des Berichts sprechen von einer ganz anderen Situation als der, die medial die Schlagzeilen gemacht hat. Die Zahlen von Asylsuchenden in 2023 lagen demnach weit unter den Spitzen von 2015.
Auch die Belegung in den Aufnahmeeinrichtungen spiegelt nicht eine Belastung knapp an der Kapazitätsgrenze wider, sondern zeigt Belegungen von nicht mehr als 70 Prozent. Auch in den Kommunen lagen entsprechend des Berichts die Belegungszahlen zwischen 70 und etwas über 80 Prozent.
Der Bericht hätte das Potenzial gehabt, die Herausforderungen, die mit vielen Zuwandernden in den Kommunen entstehen, insbesondere die Schaffung von Wohnraum, von Schul- und Kita-Plätzen und die Bereitstellung von ausreichenden Sprachkursen sowie die Integration in Beruf und Gesellschaft, zu benennen und deutlich zu machen, welche Maßnahmen angegangen werden müssen.
Ihr Bericht hebt die Arbeitsmarktmentoren positiv hervor und er schildert das Positivbeispiel von Arbeitsmarktintegration der Elbland-Kliniken. Aber hätte es nicht Mehr gebraucht? Hätte nicht deutlich gemacht werden müssen, dass es viel mehr dieser Willkommenskultur in Sachsen braucht?
Der Bericht hätte das Potenzial gehabt, dafür zu werben, dass Zuwanderung eine Chance für unser Land sein kann. So viele Herausforderungen waren zu meistern und Ihrem Bericht hätte es gut getan, diese auch zu benennen, Positivbeispiele hervorzuheben und deutlich zu machen, dass wir etwas geschafft haben! Die Kommunen haben großartiges geleistet, um die Menschen unterzubringen.
Ich finde das sehr schade. Der möglichweise letzte Bericht in Ihrer Amtszeit ist doch recht fade. Schade finde ich das auch deshalb, weil ich Sie vor allem in diesem Jahr 2023 durchaus als den Führsprecher wahrgenommen habe, wie ihn das Gesetz über den Sächsischen Ausländerbeauftragten im Sinn hat. Sie waren einer, der sagte, Ausländerbehörden müssen zu Ermöglichungsbehörden werden. Sie müssen Mut zu pragmatischen Lösungen haben und wir müssen das Aufnahmeklima in Sachsen verbessern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte noch zwei weitere Punkte ansprechen, die mich persönlich ebenso sehr geärgert haben und das ist der unkritische Blick des Berichts auf die Strukturen zum Schutz vulnerabler Personen:
In Ihrem Bericht klingt das ganz toll. Es gibt Clearingstellen mit speziell ausgesuchtem Personal. Und es gibt die unabhängige Asylverfahrensberatung zu der jeder und jede Zugang hat. Aber: Der Teufel steckt im Detail.
Die Clearingstellen werden bei der Neuvergabe der Betreiberverträge eingerichtet. Aber: Die Neuausschreibungen der Verträge hat sich verzögert hat und bisher gibt es nur eine Clearingstelle. Das erwähnen Sie leider nicht.
Unerwähnt bleibt auch, dass der Koalitionsvertrag ein medizinisch-psychologisches Clearingverfahren vorsieht. Das wurde aber in der Form nicht von der Staatsregierung umgesetzt. Das implementierte Clearingverfahren besteht nur aus Gesprächsangeboten von Sozialarbeitenden in den ersten 14 Tagen des Aufenthaltes. Damit sollen dann alle psychischen und physischen Belastungen der Menschen entdeckt werden. Was glauben Sie, wie viele Menschen öffnen sich, kommen in den ersten zwei Wochen nach ihrer Flucht aus der Deckung und berichten einer fremden Person ihre Traumata? Einer fremden Person, die in einer staatlichen Einrichtung arbeitet, wohlgemerkt!
Die Konsequenz ist, dass es weiterhin eine hohe Dunkelziffer von nicht erkannten besonderen Bedarfen gibt. Psychologen und Ärzte hätten die Ausbildung, zu erkennen, ob Traumata vorliegen, um dann behutsam mit den Menschen zu arbeiten. Sie können auch eher einschätzen, welche Hilfestellung erforderlich wäre. So sind die Clearingstellen in meinen Augen nur eines: Eine schöne Fassade, mit der das eigentliche Ziel, die Identifizierung vulnerabler Menschen, nicht erreicht werden kann.
Die unabhängige Asylverfahrensberatung wurde nun nach den Änderungen des Asylgesetzes auf Bundesebene in Sachsen im zweiten Halbjahr 2023 wieder eingeführt. Ja, WIEDER eingeführt, nachdem es 2020 keine Finanzierung mehr für sie gab. Dabei war die Verstetigung der Asylverfahrensberatung in 2019 ebenfalls ein Ziel des Koalitionsvertrages. Die Staatsregierung hat sich nicht damit übernommen, an der Einrichtung der Asylverfahrensberatung mitzuwirken, sondern alles dem Bund und den Trägern der Asylverfahrensberatung überlassen. Die Folge: Eine Beratung für alle Bewohner*innen von Aufnahmeeinrichtungen VOR der Anhörung ist zwar im Gesetz so vorgeschrieben, ABER nicht regulär möglich. Die Träger hatten und haben einige Probleme, Zugang in die Einrichtungen zu finden. Das Ziel, geflüchtete Menschen auf Augenhöhe mit dem BAMF zu bringen, kann so ebenfalls nicht erreicht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Mackenroth,
verzeihen Sie mir meine harschen Worte. Aber, die Rechte von Geflüchteten und auch von anderen Menschen mit Migrationsgeschichte werden auch in diesen Tagen immer wieder zur Disposition gestellt. Es braucht starke Stimmen, die hier dagegen halten – da hätte ich mir mehr vom Sächsischen Ausländerbeauftragten gewünscht.
Was für mich leider auch sehr befremdlich war in den vergangenen Tagen, ist die Tatsachsen, dass Sie – der Sächsische Ausländerbeauftragte – sich in Ihrem privaten Social-Media-Kanal als „Landtagshase“ ganz ungeniert eines populistisch-rassistischen Vokabulars bedienen, welches betroffenen Menschen tief kränkt und beleidigt. Ganz unabhängig von Ihrer persönlichen Meinung, die ein jeder von uns ja haben kann, finde ich das für die öffentliche Darstellung des Sächsischen Ausländerbeauftragten enttäuschend, wenn nicht auch schädlich.
Vielen Dank.