Debatte zum Infektionsschutzgesetz – Schubert: Um die dritte Welle zu brechen, sollten alle gesellschaftlichen Bereiche ihren Beitrag leisten
Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Sondersitzung des Sächsischen Landtages zum Antrag der AfD-Fraktion „Föderalismus erhalten – Nein zum Verlust der Länderkompetenz durch das Infektionsschutzgesetz“ Drs 7/6053
28. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Dienstag, 20.04.2020, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
eine „abstrakte Normenkontrollklage“ bricht keine dritte Welle. Die AfD widerspricht mit ihrem Antrag nicht nur erneut sich selbst; dieser Antrag leistet auch keinen Beitrag zur Lösung der schwierigen Situation. Deshalb lehnen wir ihn ab.
Wir als BÜNDNISGRÜNE sagen ganz klar: Wir brauchen Mittel, die rechtssicher und nachhaltig sind, um erstens die dritte Welle tatsächlich zu brechen, und zweitens die Lasten in der Pandemie gerecht zu verteilen. Über diese Punkte werde ich in meiner Rede sprechen.
Meine Damen und Herren, es ist unser aller Aufgabe, die Infektionszahlen deutlich zu senken und Maßnahmen zu treffen, die wirkungsvoll, gerecht und rechtssicher sind. Diese Absicht liegt im Grundsatz auch der Notbremse des Bundes zugrunde. Wir teilen diesen Anspruch als BÜNDNISGRÜNE, kritisieren jedoch die handwerkliche Machart der vorgeschlagenen Änderungen im Infektionsschutzgesetz.
Wir finden es problematisch, …
… dass erstens rechtliche Fragen unbeantwortet bleiben, insbesondere bei den nächtlichen Ausgangssperren,
… dass zweitens das Thema Kontaktbeschränkungen im Entwurf, ich möchte das ganz offen so sagen, lebensfremd formuliert ist und auch nicht abgerückt wird davon,
… dass drittens die Anpassungen im Infektionsschutzgesetz für einige Länder Rückschritte bedeuten,
… dass viertens die Ausrichtung weiterhin nur am Inzidenzwert erfolgt und ein Stufenplan nicht in Sicht ist;
Und dass fünftens, und das ist für uns BÜNDNISGRÜNE zentral: Die ungleichmäßige Verteilung der Lasten bleibt. Denn nach wie vor leiden Kinder, Jugendliche und Eltern am meisten unter den Beschränkungen.
Und genau aus diesen Gründen hält die Notbremse nicht das, was sie verspricht, und sollte nochmals nachgebessert werden.
Diese Nachbesserung geschieht aber nicht, indem im Bundesrat ewige und, wie es die AfD hier fordert, ergebnisoffene Debatten geführt werden. Wir brauchen eine Debatte, ja, und wir brauchen auch klare politische Entscheidungen, aber keine Endlosdiskussionen.
Wir BÜNDNISGRÜNEN stehen für einen starken Föderalismus auch in schwierigen Zeiten. Allerdings macht eine Pandemie eben nicht Halt an Bundeslandgrenzen. Somit ist es eine fragile Abwägung zwischen bundeseinheitlichen Regelungen und den Länderentscheidungen, die in solchen Situationen regelmäßig neu bewertet werden muss – deshalb haben wir auch immer wieder deutlich gemacht, dass die Kompetenzen für den Bund nicht überschießend sein dürfen und stets befristet sein müssen. Und dass eine Föderalismusdebatte mal wieder dran ist, darüber kann man trefflich diskutieren; aber das ist nicht der Punkt heute.
Was mir auffällt, wenn ich den Antrag der AfD lese, ist ein eklatanter Widerspruch zum grundsätzlichen Politikverständnis dieser Fraktion. Sie stehen ja immer für eine entschiedene Politik des starken Nationalstaates. Aber wenn dieser nun tatsächlich befristet für sich Kompetenzen beansprucht, sind Sie auf einmal die heldenhaften Verteidiger des Föderalismus?
Meine Damen und Herren, das passt nicht zusammen, das ist unglaubwürdig, und das zeigt, dass es mal wieder mehr um das Bespielen Ihrer Filterblase als um tatsächlich gute und passgenaue Maßnahmen geht, so wie Sie das in Ihrem Antrag nennen.
Ich komme zum zweiten Punkt meiner Rede, nämlich dazu, dass alle in dieser Krise solidarisch ihren Beitrag leisten sollen. Wir alle haben in dieser Krise unser Päckchen zu tragen, aber, und das ist das Problem, für manche Menschen ist dieses Päckchen um ein Vielfaches größer, und das ist ungerecht. Menschen, die mit mir sprechen, sagen mir, dass sie Kleinkinder haben, die ein Drittel ihres Lebens schon im Lockdown sind. Sie berichten mir von jungen Menschen, die all das, was Jugendzeit ausmacht, nicht erleben können. Sie erzählen mir von der andauernden Mehrfachbelastung, die sie empfinden, und die auch durch den x-ten Spaziergang nicht mehr reduziert wird. Das ist heftig und es schmerzt. Wenn ich sehe, dass Menschen vor Schulen für deren Schließung zu demonstrieren, dann verstehe ich ihre Ängste und Sorgen. Und dann frage ich mich: Ist es gerecht, dass Kinder und Familien vor derartige Härten gestellt werden, aber die große Wirtschaft nach wie vor geschont wird? Das hat mit unserem Verständnis von Gerechtigkeit nichts zu tun. Die geplanten Einschränkungen treffen vor allem wieder das Privatleben der Bevölkerung. Um aber die dritte Welle zu brechen, sollten alle gesellschaftlichen Bereiche einen Beitrag leisten. Allem voran muss der Coronaschutz in der Arbeitswelt verbindlich verstärkt werden, um wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen.
Diese Kernfrage, nämlich wie wir Gerechtigkeit in der Pandemie schaffen, wird aber im AfD-Antrag mit keiner Silbe thematisiert, und genau deshalb verfehlt er auch den Kern dieser Debatte und ist abzulehnen.
Wir BÜNDNISGRÜNE haben seit dem Beginn dieser Pandemie immer den Standpunkt vertreten, dass alle Eingriffe, die aus nachvollziehbaren Gründen des Infektionsschutzes nötig sind, auf eine parlamentarische Grundlage gestellt werden und rechtssicher sind. Denn jede Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten braucht eine entsprechende Legitimation. Wir brauchen auch hier in Sachsen eine gesetzlich verankerte parlamentarische Beteiligung, dabei bleiben wir.
Aber darum geht es ja in diesem Antrag der AfD auch nicht, dabei würde das ihrem erklärten Ziel ja helfen, die Länderbefugnisse klar zu definieren. Vor allem aber verfehlt dieser Antrag das gemeinsame Ziel, nämlich so schnell wie möglich mit gerecht verteilten Lasten die Infektionszahlen zu senken und aus dieser Krise zu kommen.
Und genau deshalb lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.