Datum: 22. Juli 2021

Debatte zur Asylpolitik – Čagalj Sejdi: Es ist unsere Pflicht, die gesamte Gesellschaft zu schützen

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte auf Antrag der AfD-Fraktion zum Thema: „Zuwanderung und Sicherheit – Wie geht es weiter?“
35. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 22.07.2021, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich den Titel der Debatte vergangene Woche gelesen habe, habe ich bereits befürchtet, dass wir heute wieder ein Spektakel der Angstmacherei und Abschiebepolemik erleben müssen. Leider haben sich meine Erwartungen bewahrheitet.
Die AfD nutzt die Debatte wieder einmal um gegen Zuwanderung und Menschen zu polemisieren. Sie schüren Angst und dramatisieren.

Aber wenn wir heute über Zuwanderung und Sicherheit reden wollen, dann müssen wir über die Sicherheit aller Menschen sprechen. Viele Menschen, die hier mit uns leben, leben in Angst. Sie leben in Angst vor Diskriminierung, Rassismus, vor rechten Straftaten und Gewalt.

Heute vor fünf Jahren am 22. Juli 2016 tötete ein rechtsradikaler Täter neun Menschen und sich selbst im Münchner Olympia Einkaufszentrum:
Armela, Sabina, Sevda, Can, Selcuk, Janos Roberto, Chousein, Dijamant „Dimo“ und Giuliano-Josef mussten aufgrund von Menschenhass und Rassismus ihr Leben lassen.

Erst vergangenen Sonntag wurde in Aue-Bad Schlema ein junger Somalier in einem Linienbus von acht Personen rassistisch beleidigt. Einige der Täter stießen den Mann anschließend zu Boden und traten auf ihn ein. Unter ihnen ein Polizist, welcher der Straftat tatenlos zu sah.

Und das ist nur das jüngste Beispiel fremdenfeindlich motivierter Gewalt. 2020 wurden in Sachsen 578 fremdenfeindliche Straftaten registriert. Aber auch das ist nur die Spitze des Eisberges.

Alltagsrassismus, vermeintliche unbedachte oder „harmlose“ Kommentare erleben People of Color und Menschen mit Migrationsgeschichte tagtäglich. Sie werden bei Wohnungs- oder Jobsuche benachteiligt. Kinder mit Migrationsgeschichte haben erwiesenermaßen Bildungsbenachteiligungen.

Ich bekomme diese Geschichten ständig zu hören, in meinem Freundeskreis, in der Nachbarschaft, im Wahlkreisbüro.

Die Bedrohung beginnt mit Vorfällen wie zum Beispiel diesem, den ich vor zwei Jahren erlebt habe, als ich einen jungen Mann ins Polizeirevier begleitet habe, um gemeinsam mit ihm Anzeige zu erstatten, da Fotos von ihm mit Verleumdungen im Internet erschienen. Der Beamte hat über eine Stunde auf uns eingeredet, doch von einer Anzeige abzusehen, es sei ja nicht so schlimm.

Und die Geschichte endet: bei Fällen wie Oury Yalloh in Dessau und bei Amokläufen in München, in Hanau, in Halle.
Das ist ein Sicherheitsproblem!

Wir sind eine Gesellschaft – unabhängig davon, wann wir wo her gekommen sind, wie wir aussehen oder leben. Wir sind ein Zuwanderungsland. Über fünf Prozent der sächsischen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Es ist unsere Pflicht, die gesamte Gesellschaft zu schützen.

Zugewanderte Menschen sind nicht das Problem, das Problem sind rechte Stimmungsmacher. Mit ihrer heutigen Debatte heizt die AfD die Stimmung weiter auf, sie spaltet und sie fördert rassistisch motivierte Gewalt und Diskriminierungen im Alltag! So etwas dürfen und werden wir in Sachsen nicht dulden!

Wir verhindern Straftaten nicht mit Ausgrenzung oder damit, dass wir Straftäter und Gefährder abschieben. Wir verhindern Straftaten mit Teilhabe.

Wir als Gesellschaft tragen maßgeblich dazu bei, ob die Menschen, die hier ankommen, sich gedemütigt und ausgeschlossen fühlen und in Angst leben müssen, oder ob sie sich willkommen fühlen.

Die beste Prävention vor Gewalttaten ist nicht, Menschen auszugrenzen und Hass zu schüren – die beste Prävention vor Gewalt ist, dass sich alle Menschen als Teil der Gesellschaft fühlen. Dazu müssen wir den Menschen, die hier ankommen, eine reelle Chance geben, um hier Fuß zu fassen.

Dabei müssen wir sie von Anfang an mit aktiver Partizipations- und Inklusionsspolitik unterstützen! Das heißt, um nur einige Maßnahmen zu nennen: Clearing bei der Erstaufnahme, wenn nötig Therapie von Traumatisierungen, umfassende Möglichkeiten zum Spracherwerb, Förderung der Erwerbstätigkeit und natürlich, den gesetzlichen Spielraum für Bleibeperspektiven auszunutzen.

Außerdem muss die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte in allen gesellschaftlichen Bereichen gefördert werden. Auch mir ist klar, dass wir mit diesen Maßnahmen nicht jede Gewalttat verhindern können. Das wäre eine Utopie. Straftaten – egal von wem sie begangen werden – müssen konsequent verfolgt werden. Außerdem helfen Deradikalisierungsprogramme und Reintegrationsmaßnahmen, um Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Hierauf müssen wir ein Augenmerk legen.

Aber grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns beim Thema Sicherheit ganz konsequent: gegen Menschenfeindlichkeit, gegen Rassismus, gegen Rechtsradikalismus positionieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin immer wieder schockiert, wie leicht ihnen die Forderung nach der Abschiebung von Straftätern und Gefährdern von den Lippen geht. Diese Forderung ist reine Symbolpolitik. Sie verschweigt den Wählerinnen und Wählern die Schwierigkeiten und Folgen, die damit einhergehen:

Abschiebungen von Straftätern oder Gefährdern in ihre Herkunftsländer lösen das Problem nicht. Nein, sie lagern es aus. Ist es Ihnen egal, wenn Terroristen in einem anderen Land Menschen töten, Sexualstraftäter woanders Frauen misshandeln? Mir ist das nicht egal. Straftäter müssen hier in der Bundesrepublik rechtmäßig verurteilt werden und ihre Strafe verbüßen. Straftäter, die zum Beispiel aus Syrien kommen, können gar nicht abgeschoben werden. Das verbietet uns das Völkerrecht. Daran ist die Bundesrepublik, daran ist Sachsen gebunden. Niemand darf in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung droht! NIEMAND, auch keine Straftäter.

Und nicht zuletzt würde die Abschiebung zum Beispiel nach Syrien bedeuten, dass wir diplomatischen Beziehungen aufnehmen müssen mit einem Staat, in dem massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir in Europa leben, dass wir in einer Wertegemeinschaft leben, die sich schützend vor die Würde des Menschen stellt. Diese Wertegemeinschaft würden wir mit Füßen treten, aber das tun Sie ja ohnehin mit Ihrer heutigen Debatte.