Datum: 24. Juni 2021

Debatte zur EU – Hammecke: Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam über die Zukunft Europas verständigen

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Konferenz zur Zukunft Europas – grenzüberschreitende Diskussion für eine Demokratie mit Zukunft“
33. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 24.06.2021, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

die Gemeinschaft der Europäischen Union hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter entwickelt. Das gilt ganz praktisch für das Vertragswerk, das immer weiterentwickelt wurde, aber auch in der Zahl immer mehr – und zuletzt auch weniger – Mitgliedsstaaten.

Das gilt aber auch für das Ankommen Europas in den Köpfen der Menschen. Vor allem junge Menschen nehmen Europa als etwas sehr Selbstverständliches wahr. Sie kennen es gar nicht mehr anders, als sich als Europäer*innen zu fühlen.

Wie es mit Europa aber weitergeht – das ist eine Frage, die nicht nur uns BÜNDNISGRÜNE beschäftigt. Sondern, pünktlich zum Europatag am 09. Mai gestartet, wird diese Frage  jetzt unionsweit diskutiert.

Ich bin davon überzeugt, dass wir die großen, globalen Fragen unserer Zeit eben am besten gemeinsam meistern können und dafür braucht es eine gestärkte Europäische Union. Dafür braucht es aber auch Mut zur Veränderung und kein Zufriedengeben mit dem Status quo, denn er beantwortet wichtige Herausforderungen der Zukunft nicht adäquat.

Das Instrument der Wahl: die Konferenz zur Zukunft Europas. Ein lang besprochenes und erwartetes Instrument, dessen Starttermin unter anderem – aber nicht nur – aufgrund von Corona immer wieder verschoben wurde.

Als erste Rednerin möchte ich hier kurz einführen:

Auf der digitalen Zukunftsplattform können sich alle europäischen Bürger*innen mit ihren eigenen Vorstellungen zur Zukunft Europas einbringen.

Es wird aber auch große Plenarversammlungen geben, teilweise digital, bei denen sich Bürger*innen aller 27 Mitgliedsstaaten beteiligen. Am 19. Juni hielt die Plenarversammlung der Konferenz zur Zukunft Europas in Straßburg ihre Eröffnungssitzung ab. Teil der großen Versammlungen sind etwa Mitglieder des Europäischen Parlaments, Vertreter*innen des Rates, der Kommission, Mitglieder der Parlamente der Mitgliedsstaaten und eben auch Bürger*innen und Bürgern, von denen ein Drittel jünger als 25 ist.

Ich glaube, es ist ungemein wichtig, dass wir uns gemeinsam über die Zukunft verständigen. Denn es gibt auch einiges zu tun in Europa, als Europa. Die Europäische Union muss mehr sein als ein perfekt erarbeiteter, frei funktionierender Wirtschaftsraum!

Die Förderung sozialer Gerechtigkeit und sozialen Schutzes sowie die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung sind bereits als Ziele der EU in Artikel 3 EUV verankert. Jetzt geht es darum, das Ganze auch umzusetzen: Der Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte kann und sollte hier greifen.

Die Freizügigkeit muss besser sozial abgesichert werden. Es braucht eine stärkere koordinierende Wirkung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch das Europäische Semester und verbindliche Ziele in der Sozialpolitik, die mindestens durch Mindeststandards im Bereich der sozialen Sicherung und des Arbeitsmarktes gelten.

Verlässliche soziale Rechte sind die Voraussetzung dafür, dass Binnenmarkt und Währungsunion im Interesse der Menschen wirken. Und damit auch im Sinne eines europäischen Zusammenhalts.

„grenzüberschreitende Diskussion für eine Demokratie mit Zukunft“ – so lautet der Titel unserer Aktuellen Debatte. Und das ist auch wortwörtlich ein BÜNDNISGRÜNES Kernanliegen: die Weiterentwicklung der europäischen, parlamentarischen Demokratie.
Die sich auch weiter emanzipiert von teils sehr intransparent getroffenen Entscheidungen im Europäischen Rat – hin zu einer Stärkung des Europäischen Parlamants, das gleichberechtigt mit dem Rat agiert. Dafür braucht es aber ein Initiativrecht und ein starkes Haushaltsrecht!

Und in einem starken europäischen Rechtsraum braucht es einen gestärkten Mechanismus für Demokratie, in dem Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte weiter gestärkt und vor allem von Seiten der Europäischen Kommission auch genutzt werden!

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

Sachsen liegt im Herzen Europas. Wir haben das große Glück, dass wir Grenzen gleich zu zwei europäischen Nachbarn haben.

Und das zeigt sich in der Praxis: Die nächstgelegene Millionenstadt von Annaberg-Buchholz, das ist nicht Berlin – das ist Prag! In Sachen Bergsport geht es für Menschen aus Zittau sehr viel schneller ins Riesengebirge als in die Alpen. Menschen hier und jenseits der Grenze arbeiten in Görlitz gemeinsam an der grenzüberschreitenden Wärmeversorgung der Zukunft. Die Menschen in den Grenzregionen leben europäisch. Die Menschen in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien leben seit vielen Jahren einen Alltag, der nationalstaatliche Grenzen überschreitet.

Vor etwa drei Wochen nahm ich an der Abschlusspräsentation des Deutsch-Tschechischen Jugendforums teil, bei der Jugendliche aus Deutschland und Tschechien, die im letzten Jahr gemeinsam – teilweise digital – an ihren eigenen Projekten gearbeitet haben, diese vorstellten. Und ich war hellauf begeistert von den Ideen der jungen Menschen. Von der Idee einer grenzüberschreitenden Wanderung, die zu einer handfesten Karte wurde, für all jene, die sich über die Grenzen hinweg bewegen wollen – hin zu einem Podcast zum Deutsch beziehungsweise Tschechisch lernen oder einem Quiz zu Vorurteilen in unseren Gesellschaften. Es hat mir noch einmal mehr deutlich gemacht: junge Menschen leben Europa schon. Für die ist das grenzüberschreitende Arbeiten eine Selbstverständlichkeit, weil sie Grenzen gar nicht kennen und die Hürden digitaler Kommunikation sie nicht so sehr stören.

Und junge Menschen – auch wenn es eine Phrase ist – sind eben doch die Zukunft, hier und überall sonst auf der Welt.

Zwischenmenschliches, gemeinsames europäisches Leben zeigt sich auch in institutioneller Zusammenarbeit: Ein Beispiel ist wohl die – nun nicht erfolgreiche – gemeinsame Bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt in der Dreiländerregion Oberlausitz. Oder dem gemeinsamen Weltkulturerbe in der Montanregion Erzgebirge.

Corona hat hier natürlich – und das wurde hier im Hohen Haus auch immer wieder diskutiert – einen krassen Einfluss gehabt.
Dies war auch Thema aller Gespräche, die vom Europaausschuss in den letzten Wochen dazu geführt worden.

Letzte Woche haben sich Abgeordnete des Europaausschusses mit Abgeordneten der Woiwodschaft Niederschlesien getroffen, wenige Wochen vorher gab es ein digitales Treffen mit den Senator*innen des Europaausschusses des Tschechischen Senats.

Das zeigt: Es gibt ganz konkret Redebedarf über die Zukunft, die Zusammenarbeit in der Zukunft, über die zukünftigen Grenzregionen.

An Themen gab es eine Vielzahl, die unsere Nachbar*innen mit uns diskutieren wollen – und wir mit ihnen. Es geht um stärkere Kooperation und wie wir zukünftig bei Situationen, wie Corona sie darstellte, anders gemeinsam agieren können. Es ging um grenzüberschreitende, elektrifizierte Verkehrswege genauso wie um das Thema Jugendaustausch und Mehrsprachigkeit oder eben gemeinsame umwelt- und klimapolitische Herausforderungen.

Umso froher bin ich, dass wir uns in den Haushaltsverhandlungen dafür entschieden haben, auch hier in Sachsen quasi kleine Versionen der Konferenz zur Zukunft Europas stattfinden zu lassen. Quasi Konferenzen zur Zukunft der Grenzregionen. Sächsinnen und Sachsen sollen gemeinsam mit Tschech*innen und Bürger*innen aus Polen gemeinsam die Zukunft der Grenzregion diskutieren.

Denn diese Chance, die die Konferenz zur Zukunft Europas hier gibt, die wollen wir nutzen, um gemeinsam mit unseren Nachbarn zielorientiert zu diskutieren, wie ganz konkret Zusammenarbeit und Zusammenleben aussehen kann! Ich glaube, das tut Sachsen gut, das tut uns aber auch als Europa gut!

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

„Europa schafft sich ab“ – so heißt das Buch eines BÜNDNISGRÜNE Kollegen aus dem Europaparlament. Und das hat einen Grund: Wenn Europa sich selbst nicht an das hält, was sie als Werte definieren. Wenn die Mitgliedsstaaten ungesühnt Europarecht brechen können, dann verliert Europa seine Glaubwürdigkeit. Auch das gehört zur Realität unserer europäischen Gemeinschaft.

Deshalb muss in der Asylpolitik gehandelt werden. So sehr wir als BÜNDNISGRÜNE für eine weitere gemeinsame europäische Integration sind, so braucht es hier kein Warten auf eine 27-Staaten-Lösung, denn das würde bedeuten, über weitere Jahre hinweg im Stillstand zu verharren und die Situation an den Außengrenzen mindestens zu tolerieren.

Deshalb muss spätestens die nächste Bundesregierung ganz klar in einer Koalition der Willigen agieren, solange sich Länder wie Ungarn oder Polen weiterhin weigern, hier gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.

Im Anblick der gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die hier in Europa passieren, darf sich die Bundesrepublik nicht hinter den Viktor Orbáns dieser Welt verstecken, sondern muss Verantwortung übernehmen.

Vielen herzlichen Dank!