Demokratiebildung – Melcher: Wir wollen moderne, gerechte und demokratische Schulen!
Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Sächsische Schulen als Orte der Demokratie und Vielfalt“ (Drs 7/13690)
73. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 06.07.2023, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
im Februar stellte die Landesbeauftragte für Antidiskriminierung, Dr. Andrea Blumtritt, eine Studie zu Diskriminierungserfahrungen in Sachsen vor. Demnach hat jede und jeder Zweite der Befragten bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht – unter anderem natürlich auch an Schulen.
Im April berichteten zwei Lehrkräfte über rechtsextreme Vorfälle an einer Oberschule in Burg. Hakenkreuz-Schmierereien, rechtsextreme Musik, demokratiefeindliche Parolen und Symbole – alle dies gehöre zum Alltag und treffe auf eine „Mauer des Schweigens“.
Im Mai wurden sechs Schüler einer neunten Klasse in Leisnig zeitweise vom Unterricht suspendiert. Zwei von ihnen sollen in der Jugendbegegnungsstätte des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau den Hitlergruß gezeigt und ein Foto davon in den sozialen Medien geteilt haben.
Trotz solcher Vorfälle hat die AfD hier im Land nichts Besseres zu tun, als eine geschmacklose Kampagne gegen den angeblichen „Genderwahn“ zu starten und gegen Vielfalt zu hetzen.
Das ist leider nicht nur hochgradig ekelhaft und vollkommen überflüssig. Diese Kampagne verkennt auch völlig, vor welchen Problemen die sächsischen Schulen tatsächlich stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir setzen mit unserem Antrag einen deutlichen Kontrapunkt: Wir wollen moderne, gerechte und demokratische Schulen!
Wir wollen Schulen, an denen, ich zitiere, „demokratisches und zivilgesellschaftliches Engagement, soziale und ökologische Verantwortung, Rechte und Pflichten sowie Toleranz gelernt und gelebt werden“. So haben wir es bereits im Koalitionsvertrag verankert – und daran halten wir fest.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bis 2016 galt in Sachsen der „Erlass zur politischen Werbung an Schulen“. Von vielen, auch von vielen Lehrkräften, wurde dieser Erlass als Verbot jeglicher politischer Diskussionen an Schulen verstanden.
2016 wurde er von einem neuen Erlass abgelöst, der einen klaren Bezug zum Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule und auch zum Beutelsbacher Konsens herstellt. Trotz des neuen Erlasses wirkt der alte nach, etwa dann, wenn von einem „Neutralitätsgebot“ an Schulen die Rede ist – ein Begriff, der im Beutelsbacher Konsens überhaupt nicht vorkommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
2017 erarbeiten Expertinnen und Experten im Auftrag des Kultusministeriums das Handlungskonzept „W wie Werte“.
Aus unserer Sicht ist das nach wie vor ein guter Leitfaden zur Stärkung der demokratischen Schulentwicklung und der politischen Bildung an sächsischen Schulen.
Das Konzept bringt es auf den Punkt: „Die Schule ist somit nicht nur Ort des Lernens, sondern wird auch zum Erfahrungsraum für den Umgang miteinander. […] Betont werden soll in diesem Zusammenhang auch, dass der Beutelsbacher Konsens nicht als Begründung dienen darf, um Kontroversen aus dem Weg zu gehen – sondern ganz im Gegenteil, um Kontroversen zum Ausgangspunkt politischer Auseinandersetzung in der Schule zu machen“.
Nun ist Papier bekanntlich geduldig. Wir wollen mit unserem Antrag die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen weiter voranbringen.
Dazu zählt mehr Beteiligung und Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Stärkung der Demokratiekompetenz in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir wollen ermutigen. Kinder und Jugendliche sollen erleben, dass es sich lohnt, sich einzumischen. Mehr Beteiligung, mehr Demokratie – das gilt für den Schulunterricht ebenso wie für Ganztagsangebote, schulische Projekte und außerschulische Lernorte.
Demokratie kann und darf nicht nur theoretisch gelernt, sondern muss auch praktisch umgesetzt werden.
So hat auch ein Expertenrat im Beteiligungsprozess Bildungsland Sachsen 2030 empfohlen: „Die Festschreibung und Verankerung des Konzeptes ‚Klassenrat‘ in die Schülermitwirkungsverordnung wird geprüft und vollzogen.“ Das unterstütze ich ausdrücklich und hoffe, es findet am Ende Eingang in das Strategiepapier des Kultusministerium.
Ermutigen wollen wir aber auch die Lehrkräfte – anstatt sie mit Meldeportalen an den Pranger zu stellen, sei es wegen AfD-kritischer Äußerungen oder geschlechtergerechter Sprache. Wir wollen Lehrkräfte ermutigen und bestärken, die Freiheiten von Erlassen und überarbeiteten Lehrplänen zu nutzen.
Erst vorgestern kam die Meldung, dass das Abendgymnasium in Chemnitz eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird. Solche Netzwerke sind für eine erfahrbare und damit wirkungsvolle Demokratiebildung enorm wichtig.
Ermutigen wollen wir schließlich auch die Zivilgesellschaft und die vielen Akteuren, die unermüdlich, schulisch wie außerschulisch, Antidiskriminierungsarbeit in Sachsen leisten. Danke für Ihre wichtige Arbeit! Danke, dass Sie den Angriffen von Demokratiefeinden etwas entgegensetzen. Es ist an uns, Schulen als Orte der Demokratie und Vielfalt stark zu machen.
Es ist in diesen Zeiten nötiger denn je.
Ich bitte um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank.