Datum: 27. April 2023

Aktuelle Debatte Deutschlandticket – Liebscher: Meilenstein für klimagerechte Mobilität – jetzt braucht es noch einen Sozialtarif

Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion SPD zum Thema: „Einfach, bezahlbar und klimagerecht: Das Deutschlandticket als Meilenstein für die Mobilität der Zukunft.“
70. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 27.04.2023, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

das Deutschlandticket ist ein Meilenstein für die klimagerechte Mobilität, ganz klar! Mit Bus und Bahn unterwegs zu sein, wird ab kommender Woche deutlich einfacher und bezahlbarer. Wir BÜNDNISGRÜNE freuen uns über die große Nachfrage und sind uns sicher, dass das Deutschlandticket nicht nur für ÖPNV-Pendler*innen ein tolles Angebot ist, sondern auch viele Gelegenheitsfahrer und Neukunden dazu bewegen wird, regelmäßig mit Bus und Bahn unterwegs zu sein, statt mit dem eigenen PKW. Das Deutschlandticket ist damit ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende und somit zum Schutz des Klimas.

Doch bei aller berechtigter Euphorie: Natürlich kann das Deutschlandticket nur einen Teil des Berges versetzen. Damit die Verkehrswende gelingt, braucht es neben einem guten Ticket auch einen guten Fahrplan. Es nützt das beste Ticket nichts, wenn kein oder nur selten ein Bus fährt. Auch wenn wir im Freistaat mit dem Plus- und Taktbusangebot eine gute Grundlage für ein landesweites Busgrundnetz gelegt haben, muss dieses weiter ausgebaut werden, genauso wie der Schienenpersonennahverkehr und flexible Bedienformen auf dem Land. Ein gutes ÖPNV-Angebot in der Fläche lässt alle gleichermaßen vom Deutschlandticket profitieren, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Ein gutes ÖPNV-Angebot stärkt den ländlichen Raum und macht ihn als Lebensmittelpunkt attraktiv.

Gleichzeitig braucht es auf stark nachgefragten Strecken genügend Flexibilität, das Angebot zu verbessern, damit der Umstieg auf Bus und Bahn dauerhaft attraktiv bleibt. Denn wer will sich im Regionalzug von Chemnitz nach Leipzig wie in der Tokioer U-Bahn fühlen?

Dass die genannten Maßnahmen Geld kosten, ist einleuchtend. Das tun sie allerdings auch ohne das Deutschlandticket. Der Angebotsausbau ist Teil unseres Koalitionsvertrages, auch wenn wir aufgrund der vielfältigen aktuellen Herausforderungen, leider noch nicht alle Ziele vollständig umsetzen konnten.

Zukünftig muss der Freistaat Sachsen seiner Verantwortung für guten ÖPNV noch besser gerecht werden und noch mehr Landesmittel zur ÖPNV-Finanzierung einsetzen. Ein Schritt dazu ist die vollständige Weiterreichung der Regionalisierungsmittel des Bundes für den Schienenpersonennahverkehr. Hierzu läuft die Evaluierung. Gleichzeitig ist der Bund in der Pflicht, die Länder beim Angebotsausbau zu unterstützen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

die tiefgreifenden Auswirkungen, die das Deutschlandticket zeitigt, sind vielfach Anlass, das bestehende Nahverkehrssystem zu hinterfragen. Die angeschobenen Debatten sind wichtig zur Weiterentwicklung des Verkehrssystems hin zur Mobilität der Zukunft.

Wir BÜNDNISGRÜNE sehen allerdings mit Einführung des Deutschlandtickets weder den Sachsentarif noch die Sächsische Mobilitätsgesellschaft als überflüssig an, im Gegenteil. Nicht alle werden sich ein Deutschlandticket kaufen. Der Erfolg des 9-Euro-Tickets unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit der Einführung des Sachsentarifs. Die Menschen wollen aus dem Ticketkauf keine Wissenschaft machen. Hier erwarten wir keine halben Sachen.

Dass auch die Sächsische Mobilitätsgesellschaft nach wie vor dringend gebraucht wird, machte zuletzt das Debakel um die Chipkarten-Nutzung deutlich. Gemeinsame verkehrsverbundübergreifende Lösungen im Sinne der Nutzer*innen sind im Freistaat offensichtlich immer noch nicht möglich. Die Sächsische Mobilitätsgesellschaft wird dringend gebraucht und sollte jetzt gegründet werden.

Doch noch einmal zurück zur Chipkarte: Mein Unverständnis steigt ins Unermessliche angesichts solcher Ignoranz. Dass flexible Lösungen, zugunsten von Menschen ohne Smartphone, möglich sind, beweisen zahlreiche Verkehrsunternehmen. Technisch ist die Ausgabe als Chipkarte kein Problem, denn auch das Bildungsticket wird so angeboten. Hier kann ich den Betroffenen nur raten, ihr Deutschlandticket-Abo bei einem anderen Verkehrsunternehmen abzuschließen.

Doch nicht nur die Zugänglichkeit zum Ticket ist ein Thema: Damit das Deutschlandticket auch für alle bezahlbar ist, braucht es einen Deutschlandticket-Sozialtarif. Ein 49-Euro-Abo werden sich viele nicht leisten können, die wirtschaftlich nicht so gut dastehen. Da eine bundeseinheitliche Lösung zwar wünschenswert, aber nicht absehbar ist, schlagen wir BÜNDNISGRÜNE für Student*innen, Azubis, Schüler*innen, Bürgergeld-Empfänger*innen, Senior*innen oder Freiwilligendienstleistende die Einführung eines Sozialtarifs für den Freistaat Sachsen vor. Finanziert werden könnte der Sozialtarif aus Mitteln für das Azubiticket. Das Azubiticket ist im Vergleich zum Deutschlandticket unattraktiv und wird voraussichtlich auslaufen. Mit einem Sozialtarif für 29 Euro würden soziale Teilhabe und umweltgerechte Mobilität für wirklich alle Menschen in Sachsen ermöglicht.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

das Deutschlandticket ist ein Meilenstein, ja. Und das Deutschlandticket macht mir Hoffnung! Hoffnung darauf, dass wir, trotz aller Widrigkeiten und Hürden, die es noch zu nehmen gilt, doch in relativ kurzen Zeiträumen viel bewegen können – wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Lassen Sie uns weiter an diesen Strang ziehen – für die Menschen im Freistaat und das Klima.

Vielen Dank!