Datum: 22. Juli 2021

Digitalisierung – Gerber: Es braucht eine wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Umsetzung

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Daniel Gerber (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der CDU-Fraktion zum Thema: „Digitalisierung nach der Pandemie als zentraler Treiber für Gesellschaft und Wirtschaft verstehen!“
35. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 22.07.2021, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

ich danke der CDU-Fraktion ganz ausdrücklich für diese Aktuelle Debatte. Diese Debatte ist wirklich überfällig. Am liebsten würde ich sie regelmäßig in einem Digitalausschuss hier im Landtag führen. Das würde der Bedeutung dieses Themas für die Zukunft des Softwareland Sachsen sehr gut zu Gesicht stehen.

Häufig werden Buzzwords verwendet, die nur die wenigsten selber verstehen: Big Data, KI, Machine Learning, Blockchain, IoT oder Quantum Computing.

Fakt ist: Immer weniger Menschen verstehen überhaupt noch die Technik, die sie miteinander verbindet. Und selbstverständlich will niemand Weiße oder Graue Flecken, aber darum soll es heute ausnahmsweise mal nicht gehen.

Bei der Umsetzung der Digitalisierung ist es wichtig, dass alle gesellschaftlichen Schichten mitgenommen werden. Dazu braucht es auch unbedingt Change Management Prozesse in der Verwaltung.

Aussagen und Denkweisen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Das haben wir noch nie so gemacht“ oder „Wo kommen wir denn da hin?“ sind da eher hinderlich.

Im Gegenteil, „Fail early and often“ heißt es in der agilen Philosophie. Kurzum steht dieser Spruch für eine gesunde Fehlerkultur. Ausprobieren ist okay, scheitern ist gut, Fehler eingestehen ist noch besser. Doch dafür müssen endlich agile Strukturen gestärkt werden.

Die Digitalisierung hat durch Corona einen großen Schub erhalten. Es hat aber auch dazu geführt, dass an vielen Stellen, vor allem in der Wirtschaft, nicht ausreichend Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. So macht man es Angreifern leicht.

Mittlerweile passieren Angriffe auf kritische Infrastruktur überall auf der Welt. Die Colonial Pipeline, die größte Öl-Pipeline der USA, musste vom Netz gehen, was zu einem regionalen Notstand führte. Bei JBS, dem weltgrößten Fleischproduzent aus Brasilien, waren große Teile der Produktion in Nordamerika und Australien lahmgelegt. In Schweden musste die Supermarktkette Coop zeitweise alle Filialen schließen, da die Kassensysteme nicht mehr funktionierten. Und auch in Deutschland musste erst vor kurzem der erste Cyber-Katastrophenfall in Deutschland ausgelöst werden. Eine Ransomware hatte die Verwaltung von Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt für fast zwei Wochen komplett lahmgelegt. Der Landkreis mit rund 157.000 Einwohnerinnen und Einwohnern konnte deshalb etwa keine Sozial- und Unterhaltsleistungen auszahlen.

Da ist mittlerweile eine ganze Industrie entstanden. Ransomware as a Service: Hacking, Infrastruktur, Geldabwicklung und Supportabteilung nach einem Angriff. Wer betroffene Firmen kennt: auf nomoreransom.org gibt es Hilfe.

Nicht erst seit Corona, aber da ganz besonders, spart man seit Jahren an der IT-Sicherheit. Sieht man ja nicht, bis es zu spät und der Schaden eingetreten ist.

Deswegen dürfen auch Sicherheitslücken nicht absichtlich für Staatstrojaner offen gelassen werden. Am Ende schadet das uns allen. Und wer die Verschlüsselung angreift unter dem Oxymoron „Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung“, der greift einen Grundpfeiler der IT-Sicherheit an und sorgt am Ende dafür, dass Kriminelle weiterhin eine funktionierende Verschlüsselung haben, aber alle anderen den Kürzeren ziehen.

Genau das zeigt der aktuelle Pegasus-Skandal. Zitat aus der Zeit: „Geheimdienste und Polizeibehörden haben offenbar weltweit Cyberwaffen missbraucht, um damit Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Politiker zu überwachen”. So wohl auch den französischen Präsidenten Macron.

Um all das zu verhindern braucht man natürlich entsprechende Entwickler und Systemadministratorinnen. Doch der Fachkräftemarkt ist praktisch leer. Wer im Softwareland Sachsen Fachkräfte finden will, muss da schon international suchen, Umzug und Visa Service ist da mittlerweile im Einstellungsprozess mit integriert.

Wer heute große Projekte umsetzen will, kann nicht mehr nur einzelne Personen einstellen, sondern kauft sich ganze Firmen, um die Entwickler*innen zu erhalten. Große Unternehmen wie Volkswagen beginnen selbst Entwickler*innen auszubilden. Google macht das schon lange so.

Wir stehen vor einer Disruption. Unsere ganze Gesellschaft wird digitalisiert, natürlich auch die Verwaltung, samt Technik und allen Prozessen. Dafür und deshalb brauchen wir in Zukunft deutlich mehr Ausbildungsplätze als bisher.

Eine Gruppe, die in der ganzen Diskussion hier aber stets unterrepräsentiert ist, ist die Zivilgesellschaft. In den Beratungsgremien findet man stets nur Mitglieder aus der Wirtschaft und Wissenschaft. Deshalb möchte ich hier, auch so kurz vor der Bundestagswahl, explizit auf das bundesweit agierende Bündnis Digitale Zivilgesellschaft hinweisen. In diesem Bündnis versammelt sich die ganze breite Landschaft der digitalen Zivilgesellschaft, wie der Chaos Computer Club, die Digitale Gesellschaft e.V., die Wikimedia Foundation, die Stiftung Neue Verantwortung, die Open Knowledge Foundation, Algorithm Watch, Stiftung Datenschutz und viele weitere.

Sie fordern völlig zu Recht, dass die Digitalisierung wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig umgesetzt werden muss. Dass die Zivilgesellschaft paritätisch beteiligt und Transparenz geschaffen wird. Wissen frei verfügbar sein soll und dass die digitale Souveränität der Gesellschaft als zentrale Maxime in der Digitalpolitik verankert wird.

Eine weitere Forderung des Bündnisses, die ich hier auch schon das ein oder andere mal vorgebracht habe, ist die Forderung: „Öffentliches Geld, öffentliches Gut”. Immer dann, wenn öffentliches Geld verwendet wird, muss auch das Ergebnis der Öffentlichkeit wieder frei zur Verfügung stehen.

Doch das gilt eben nicht nur für Software, sondern auch für Daten, Wissen und Bildungsmaterialien. Andernfalls hat das häufig den Nachteil, dass Wissen verloren geht, Software doppelt entwickelt werden muss und so jede Menge Geld verschwendet wird.

Um das alles noch einmal zusammenzufassen: Die Digitalisierung ist überall. Selbst die Redezeitanlage braucht ein Virenscanner. Wir müssen darauf achten, dass wir alle bei diesem Transformationsprozess mitnehmen, Hilfen anbieten und auch mal aus den bisherigen Arbeitsweisen heraustreten.

Wir müssen in Zukunft die IT-Sicherheit in allen Bereichen stärken. Unsichere IT ist wertlos und schafft kein Vertrauen.
Wir brauchen dringend mehr Personal für immer mehr Anwendungsbereiche. Wir sollten auch darauf setzen, der Zivilgesellschaft mehr Gehör zu verschaffen. Und digitale Produkte, welche aus öffentlichen Geldern finanziert werden, müssen wir wieder an die Öffentlichkeit zurückgeben.