Fachkräftemangel – Kummer: Wer Arbeitskräfte will, muss für gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung sorgen
Redebeitrag der Abgeordneten Ines Kummer (BÜNDNISGRÜNE) zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE: „Arbeits- und Fachkräftebedarf in Sachsen“ und die Antwort der Staatsregierung (Drs 7/13519)
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.12.2023, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
der Arbeits- und Fachkräftemangel ist eine zentrale Herausforderung für unsere Wirtschaft und für die gesamte Gesellschaft. Die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE und die Antwort der Staatsregierung verschaffen uns noch einmal einen umfassenden Rundumblick über den Sachstand. Vielen Dank dafür.
Wir BÜNDNISGRÜNE sind uns bewusst: Wenn wir das wirtschaftliche Niveau und unseren Wohlstand in den kommenden Jahren halten wollen, müssen wir auf allen Feldern parallel anpacken. Mit der Großen Anfrage werden verschiedene Baustellen benannt und die wichtigen Schritte zusammengeführt, die die Staatsregierung bereits gegangen ist.
Auch wenn es viele Baustellen sind: Wir sehen einen übergreifenden Grundsatz, werte Kolleginnen und Kollegen: Wer Arbeitskräfte will, muss für gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung sorgen!
Der Freistaat liegt im Ländervergleich bei den Tarifbindungen immer noch ganz weit hinten. Das ist ein großes Manko für die Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei sind Tariflöhne ein Teil der Lösung, wenn der Strukturwandel gelingen soll.
Ich möchte mich jetzt auf einige Schwerpunkte aus Sicht der BÜNDNISGRÜNEN Fraktion konzentrieren. Sie lassen sich in drei arbeitsmarktpolitischen Säulen bündeln.
Die erste Säule ist die Zuwanderung. Fachkräftegewinnung ist chancenlos ohne Zuwanderung. Es ist völlig klar, dass schon die Altersabgänge nicht aus Sachsen heraus kompensiert werden können. Dem trägt die Staatsregierung durch zahlreiche Programme und Initiativen Rechnung. Die Unterstützung bei der Arbeitssuche und der Beratung der Unternehmen wollen wir weiter ausbauen.
Ein Beispiel: Die Arbeitsmarktmentorinnen und -mentoren wollen wir besonders im ländlichen Raum stärken und weiter an die Bedarfe anpassen. Das Programm schafft es, Menschen mit internationalem Hintergrund entsprechend ihrer Qualifikation und Interessen in Arbeit zu integrieren. Seit 2020 wurden circa 2.000 Teilnehmende in Berufsausbildung oder Beschäftigung vermittelt und mehr als 1.500 Arbeitgeber unterstützt.
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Ampel haben wir jetzt bessere Voraussetzungen für die Zuwanderung und die Nutzung inländischer Potenziale. Aber auch in Sachsen müssen wir noch mehr tun, um Arbeitsmarktintegration zu erleichtern. Das betrifft vor allem effizientere und bedarfsgerechtere Verfahren der Anerkennung. Wir BÜNDNISGRÜNE wollen künftig den Blick stärker auf vorhandene Qualifikationen lenken und nicht nur auf formale Bildungsabschlüsse. Wir brauchen ein ausreichendes Angebot an Anpassungsqualifizierungen und plädieren für finanzielle Entlastung und Freistellung bei berufs- oder ausbildungsbegleitenden Zusatzqualifikationen.
Damit mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt kein frommer Wunsch bleibt, brauchen wir auch einen Wandel in den Köpfen, eine echte Willkommenskultur. Wir BÜNDNISGRÜNEN setzen auf langfristige Integration und interkulturelle Kompetenz an allen Stellen, an denen internationale Fach- und Arbeitskräfte in unserer Gesellschaft ankommen. Auch in den Unternehmen selbst. Das haben viele Unternehmerinnen und Unternehmer aber längst begriffen. Es wird ihnen in ihrem Umfeld nur oft nicht leicht gemacht. Helfen würde ihnen ein klarer Widerspruch gegen Vorurteile und Übergriffe auf Menschen anderer Herkunft – überall im Land.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir werden realistisch nicht alle benötigten Fach- und Arbeitskräfte durch Zuzug bekommen.
Die zweite zentrale arbeitsmarktpolitische Säule ist deshalb die Aus- und Weiterbildung. Wir wollen das Potenzial junger Menschen stärker fördern. Ich verweise auf den Koalitionsantrag zur beruflichen Bildung. Uns geht es insbesondere darum, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung herzustellen und die nachholende Bildung zu stärken. Derzeit haben rund 125 .000 Menschen in Sachsen keinen Berufsschulabschluss erreicht. Diese Abbruchquote muss runter. Dazu soll eine bessere Berufsorientierung an allen Schularten beitragen.
Außerdem wollen wir die Beteiligung an Weiterbildung erhöhen. Auf Grundlage eines Koalitionsantrages wird die Weiterbildungsstrategie fortgeschrieben. Sie ist derzeit ressortübergreifend in Bearbeitung. Wichtige Datengrundlagen werden voraussichtlich im Januar 2024 vorliegen.
Ein wichtiger Faktor für die Attraktivität des Standortes Sachsen für Fachkräfte fehlt derzeit noch: Das Recht auf Bildungsfreistellung. Dafür machen auch wir BÜNDNISGRÜNE uns stark!
Die dritte arbeitsmarktpolitische Säule ist die Chancengleichheit. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt ist bei weitem noch nicht gegeben. Das sehen wir bei der Verteilung der Teilzeit: Jede zweite Arbeitnehmerin in Sachsen arbeitet verkürzt, dagegen nur jeder siebte Arbeitnehmer. Damit Frauen länger arbeiten, brauchen sie mehr Vereinbarkeit von Familie und Arbeit. Und sie brauchen Lohngerechtigkeit! Eine Studie des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz, für Demokratie, Europa und Gleichstellung zeigt, dass Frauen in Sachsen bei gleicher Qualifizierung circa elf Prozent weniger verdienen als Männer. Das Ministerium trägt mit dem Modellprojekt „Entgeltgleichheit“ deshalb zu mehr Transparenz und Bewusstseinsbildung bei und entwickelt Handlungsoptionen für Unternehmen und Beschäftigte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für notwendige Schritte in den vielen anderen Bereichen, die in der Großen Anfrage berührt wurden, fehlt die Redezeit. Hier müssen wir überall Strategien weiterentwickeln.
Etwa im Bildungsbereich: Hier wurde auf BÜNDNISGRÜNE Initiative das Kita-Fachkräftemonitoring etabliert. Darauf stützt sich die Fachkräftestrategie Frühkindliche Bildung. Auch im Schulbereich drängen wir auf eine aktuelle Bedarfsprognose und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte und weitere Beschäftigte. Im Gesundheitsbereich ist nach der Erhöhung der Studienplätze für Humanmedizin auch eine Anpassung in der Zahnmedizin wichtig.
Und was für Ärztinnen und Ärzte gilt, gilt für viele Berufsgruppen: Wir müssen auch für gute Lebensbedingungen sorgen – gerade in ländlichen Regionen. Von Kinderbetreuung bis Kultur, müssen wir gemeinsam mit den Kommunen die Voraussetzungen dafür schaffen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir Fachkräfte sichern und gewinnen wollen, müssen wir an all diese Baustellen ran.