Fachregierungserklärung der Europaministerin – Hammecke: Europa ist ein einzigartiges Gemeinschaftsprojekt
Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung der Europaministerin Katja Meier zum Thema: „Voneinander lernen, miteinander gestalten, füreinander begeistern – Sachsen in Europa“
53. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 13.07.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleg*innen,
Europa ist für viele Menschen meiner Generation vor allem eins: selbstverständlich. Junge Menschen leben, studieren, reisen und arbeiten in Europa, in der Europäischen Union. Sie kannten es – bis zum Ausbruch einer weltweiten Pandemie – gar nicht anders als mit offenen Grenzen.
Die Europäische Union, ein Staatenverbund aus mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten, mit knapp 450 Millionen Einwohner*innen und 24 Amtssprachen ist ein Gemeinschaftsprojekt, welches wohl einzigartig auf der Welt ist.
Und mit dem 1. Mai 2004, an dem auch Polen und Tschechien der Europäischen Union beitraten, begann auch für Sachsen ein neues Kapitel seiner europäischen Identität. Was seitdem weiter gewachsen ist zwischen den Menschen, sowohl in direkter Grenznähe wie in Görlitz und Zgorzelec als auch in ganz Sachsen und auch zwischen den Metropolen, ist eigentlich eine wunderbare Erfolgsgeschichte.
Denn: Das europäische Projekt ist eine Chance. Eine Chance auf gemeinschaftliches Leben, lieben, sein. Auf Frieden. Aber – nichts davon ist selbstverständlich. Nichts davon passiert einfach so, nichts davon bleibt einfach so, nur weil es einmal so gewesen oder geplant gewesen ist.
Gewissheiten wurden – gerade in den letzten Jahren – immer wieder auf die Probe gestellt:
- der Ausstieg eines bis dato zentralen Mitgliedsstaats mit dem Brexit
- eine weltweite Pandemie und geschlossene innereuropäische Grenzen
- und nicht zuletzt ein brutaler Angriffskrieg auf europäischem Boden
Europa – und all das, für das es steht – ist nicht für selbstverständlich zu nehmen. Sondern jeden Tag neu zu gestalten. Das machen wir alle. Mit unserem täglichen Engagement.
Das machen wir – als Politik. Da haben wir eine besondere Verantwortung, für die stärkere Vernetzung des Kontinents einzutreten.
Und ich bin der Staatsministerin sehr dankbar für ebendieses Eintreten. Sehr dankbar für die vielen Projekte, die sie in ihrem Haus, die sie für den Freistaat angestoßen und umgesetzt hat.
Sie hat in ihrer Rede aufgezeigt, welchen neuen Stimmen Gehör verschafft wurde, wie rege Partnerschaften gelebt werden können und wie zentral Europa für den Freistaat und seine Menschen ist.
Und wir hier im Parlament haben auch unsere Hausaufgaben gemacht. Europapolitische Debatten werden regelmäßig im Plenum geführt. Anhörungen zu Kommissionsvorlagen werden in den Ausschüssen regelmäßig abgehalten – und wohl am wichtigsten: Mit dem Beschluss zum Doppelhaushalt 2021/22 haben wir europapolitische Projekte finanziert. Haben die Mittel bereitgestellt, dass Beteiligungsformate im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas stattfinden konnten. Legen einen Fokus auf ein Gesamtkonzept Europabildung und haben mit einem Änderungsantrag Mittel für die neuen Regionalpartnerschaften Sachsens zur Verfügung gestellt. Ich freue mich insbesondere, weil Sachsen dadurch endlich seinen zweifelhaften Titel als letztes Bundesland ohne aktive französische Partnerschaft verliert, und danke der Staatsministerin für ihr Engagement!
Ich möchte jedoch meinen Fokus gerne auf ein Thema noch einmal im Speziellen lenken.
Denn wenn wir das europäische Projekt nicht für selbstverständlich halten wollen – und damit riskieren es zu verlieren –, dann müssen wir kontinuierlich daran arbeiten es zu verbessern.
Und da ist es immer eine gute Idee, sich in der Politik konkret Gedanken zu machen.
Besser aber noch ist es, die Bürger*innen selbst konkret zu fragen, was sie eigentlich verändern wollen. Und die haben auch noch jede Menge Ideen. Ich denke, die Konferenz zur Zukunft Europas war dort ein sehr guter Start.
Ich freue mich aber vor allem auch über die durch das Staatsministerium durchgeführten Dialogveranstaltungen auf sächsischer Ebene. Dieses Ermutigen zur Beteiligung – über Grenzen hinweg – ist etwas meiner Meinung nach sehr besonderes. Unter dem Titel „Nahtstellen Europas: Grenzregionen im Gespräch“ kamen Bürger*innen aus Sachsen, Niederschlesien und den Regionen Ústí und Karlovy Vary zusammen und diskutierten ihre Vorstellungen einer grenzüberschreitenden Zukunft. Im 6-Regionen Dialog kamen Baden-Württemberg und Grand Est in Frankreich dazu. Und dies zu einer Zeit, in der vor dem Hintergrund der Pandemie der grenzüberschreitende Austausch nicht unbedingt gefördert wurde.
Mein ganz persönliches Highlight fand vergangenen Oktober in Görlitz statt. Dort durfte ich, gemeinsam mit tschechischen und polnischen und weiteren deutschen Politiker*innen beim Deutsch-polnisch-tschechischen Jugendforum mit 15 bis 17-Jährigen über ihre Ideen für Europa sprechen. Und sie hatten so einige. Denn wie selbstverständlich für sie Europa auch war, immerhin kannten sie Europa wirklich gar nicht anders – so viele Verbesserungsvorschläge hatten sie auch.
Denn darum muss es doch gehen. Europapolitik ist doch kein Selbstzweck.
Es gibt einen Grund dafür, dass wir gemeinsam in Europa Politik machen, dass wir in diesem krassen Projekt namens Europäische Union sind. Dahinter steckt die ganz klare Feststellung, dass gemeinsam besser ist als einsam. Dass die großen Probleme, die auf viele kleine Einzelstaaten zukommen, sich viel besser im Miteinander lösen lassen. Dass auch die vielen alltäglichen Kleinigkeiten sich besser im Dialog und mit gemeinsamen Lösungen finden lassen.
Damit sich dies aber wirklich für alle Menschen erfüllt, braucht es nicht nur einen gut funktionierenden, gemeinsamen Binnenmarkt – sondern auch starken Verbraucher*innenschutz. Und das Versprechen, dass die Mitgliedsstaaten nicht nur für einen Abbau von Handelsbarrieren streiten, sondern ebenso für die soziale Sicherung einer und eines jeden Europäer*in.
Und da hört es nicht auf – denn als einer der drei größten globalen Akteure im internationalen Handel hat die Europäische Union auch hier eine krasse Verantwortung. Und da muss niemand anfangen mit „aber in Deutschland wohnen doch nur“ oder „aber was ist mit China“. Kein Verstecken, sondern Verantwortungsübernahme. Verantwortungsübernahme für Lieferketten, die für unseren Wohlstand verantwortlich sind. Verantwortung für unsere klimaschädlichen Emissionen, die auch historisch gewachsen sind. Verantwortung für die Menschen, die aufgrund der Abschottungspolitik, auf der Flucht nach Europa sterben.
Dieser Verantwortung muss sich eine Europäische Union stellen. Auch und gerade wenn es knallharte innereuropäische Konflikte gibt. Innereuropäische Konflikte, die sich am Kernprinzip dessen, was die europäische Union ausmacht, aufhängen: Der Unabhängigkeit der Justiz. Der demokratischen Konstitution – nicht nur der europäischen Institutionen, sondern auch der Mitgliedsstaaten. Der Freiheit der Medien. Und der Einhaltung der Menschenrechte. Im Kampf gegen Diskriminierung, gegen Rassismus, gegen Queerfeindlichkeit – gegen das Bestreben Frauen das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper abzusprechen und dabei ihr Leben auf das Spiel zu setzen.
Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass das Justizministerium mit der trinationalen Rechtsstaatskonferenz einen Finger in die Wunde gelegt und gleichzeitig in einen konstruktiven Diskurs überführt hat. Die Vernetzung zwischen Aktivistinnen aus Polen und Sachsen vorangetrieben hat und in einer wunderbar solidarischen Frauentagsaktion hier im Plenum des Sächsischen Landtags ganz klar Stellung bezogen hat. Dass Katja Meier als Vorsitzende der Europaminister*innenkonferenz die Asylpolitik der Europäischen Union kritisiert und Veränderungen angemahnt hat. Dafür bin ich dankbar.
Denn ich bin davon überzeugt: Den Herausforderungen der Zukunft begegnen wir am besten gemeinsam mit einer starken und einer handlungsfähigen Europäischen Union. Dafür muss sie sich aber verändern.
Sehr geehrte Abgeordnete,
eines ist aber auch klar. Europa endet nicht an den Grenzen der Europäischen Union. Und man kann und darf und sollte nicht über das europäische Projekt sprechen – ohne über die schrecklichen Verbrechen zu reden, die auf europäischem Boden gerade und jetzt geschehen, auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit sich langsam in Richtung anderer Dinge verschiebt. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine passiert hier und heute auf europäischem Boden. Die Menschen in der Ukraine, ebenso wie die Menschen, die geflohen sind, verdienen weiterhin unsere vollste Solidarität. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff auf eine souveräne, eine demokratische, eine europäische Ukraine. Daher ist es so richtig, wenn die Kommissionspräsidentin sagt, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört – und die Ukraine nun offiziell den Status einer EU-Beitrittskandidatin innehat.
Vielen herzlichen Dank!