Datum: 25. März 2021

Frauen in der Corona-Krise – Hammecke: Gewaltschutz muss in unserer Gesellschaft endlich prioritär werden

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Frauen in der Corona-Krise – gesellschaftliche Rückschritte vermeiden und Gleichberechtigung stärken“
26. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 25.03.2020, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

sprechen wir über Frauen und Gleichstellungspolitik, so müssen wir leider oft auch über den Schutz von Frauen sprechen. Über die Gewalt, die Frauen durch Männer erfahren. Über die Gewalt, der sie gerade zu Zeiten von Lockdowns und zu Zeiten von Quarantäne eben auch viel schlechter entrinnen können. So eben in Zeiten der Pandemie.

Hier in Sachsen hat sich das Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung einmal wöchentlich den Belegungsstand in den sächsischen Frauenschutzhäusern berichten lassen, hat die fachpolitischen Sprecherinnen regelmäßig informiert, hat extra Interimsunterkünfte eingerichtet und eine Plakatkampagne gestartet, mit der die Hilfenummern in ganz Sachsen noch einmal bekannter gemacht wurden. Wir haben als Koalition im Herbst letzten Jahres einen Antrag beschlossen, der eben jenes Hilfesystem längerfristig stützen und stärken soll.

Wir als Gleichstellungspolitikerinnen, als Feministinnen, wir sprechen das Thema immer wieder an. Dabei werden wir die Frauen nicht in eine Opferrolle drängen oder behaupten „Frauen sind eben verletzlich und müssen beschützt werden“ (so wie das Thema immer gern von Rechts vereinnahmt wird). Sondern es ist gesellschaftliche Realität durch alle Schichten hindurch, die durch die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, in denen wir leben, geprägt ist.

Und es zeigt sich auch bei unseren sächsischen Zahlen: Die Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 macht deutlich, dass es zu einer Steigerung der Straftaten im Bereich Häusliche Gewalt kam.

Die Pandemie hat an dieser Stelle das Problem zu Lasten der Frauen verstärkt, aber kein neues Problem geschaffen. Denn das war bereits vorher Realität.

Aber auch in anderen Feldern der Gleichstellungspolitik gibt es viel zu diskutieren. Die Folgen des Lockdowns treffen die Geschlechter nämlich sehr unterschiedlich und verstärken gesellschaftliche Schieflagen, die es vorher bereits gegeben hat: geschlossene Kitas, Homeoffice und nebenbei Homeschooling. Schon vor der Pandemie haben Frauen den größten Teil der Sorgearbeit zu Hause übernommen. Jetzt zeigen Studien, dass es in bestimmten Paarkonstellationen zu einer Retraditionalisierung kam, und in vielen Fällen beide Geschlechter etwa gleich viel Arbeit mehr in die Sorgearbeit stecken es im Schnitt aber bei der krass ungleichen Verteilung zwischen Männern und Frauen bleibt.

Denn bereits vor Corona übernahmen Mütter an Wochentagen durchschnittlich 3,3 Stunden mehr Kinderbetreuung als Väter. Manche sprechen davon, dass es durch die Corona-Pandemie zu einer Rückkehr des Patriarchats kommt. Ich bin mir ziemlich sicher, es war nie weg.

Je mehr Sorgearbeit Frauen dauerhaft übernehmen, desto weniger können Frauen erwerbstätig sein. Es drohen Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung sowie geringere eigene Rentenansprüche: Individuelle Abhängigkeiten und Armut sind die Folgen.

Denn es gibt neben den Rollenverteilungen zuhause auch ganz einfache finanzielle Gründe dafür, dass Frauen häufiger zu Hause bleiben als ihre männlichen Partner. Sie verdienen einfach weniger. 18 Prozent waren es im Schnitt dieses Jahr in Deutschland. In den Ostbundesländern ist diese Quote zum Glück schon immer niedriger aber trotzdem weiter relevant hoch. Und damit benenne ich mit voller Absicht den sogenannten Ungereinigten Gender Pay Gap das ist nämlich in der Realität das, was im Schnitt weniger auf den Konten von Frauen ankommt.

Dabei arbeiten Frauen häufig in dem, was wir als „systemrelevante Berufe“ bezeichnen. 81,8 Prozent sind es in den Medizinischen Gesundheitsberufen. Krankenhäuser, Altenheime die Pflege, sie ist angewiesen auf Frauen. Die Sorgearbeit nicht nur im privaten Kontext ist angewiesen auf Frauen. Und auch hier, wie bei den Müttern, die zu Hause im Homeoffice das Homeschooling schultern, wird das Bild der Heldin gezeichnet. Pflegerinnnen, die Überstunden machen, an ihre körperlichen Grenzen gehen, sich der Ansteckungsgefahr aussetzen. Und im Vergleich zu anderen Berufsgruppen verdammt mies bezahlt werden.

Und es setzt sich fort Familien, die es sich leisten können, lagern ihre Sorgearbeit viel zu häufig zu prekär bezahlten migrantischen Frauen aus. Wir müssen das Problem auch intersektional betrachten.

Corona ist also eine Lupe für die Probleme. Jetzt geht es darum, diese Probleme anzugehen.

Sehr geehrte Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

was lernen wir also aus der Corona-Krise. Hoffentlich viel. Was lernen wir daraus im Aspekt der Gleichstellungsfragen? Hoffentlich viel!

Zuallererst, dass wir uns nicht auf den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ausruhen dürfen. Wenn es in Zeiten der Corona-Pandemie zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen kommen konnte, dann deshalb, weil sie immer noch massiv unser gesellschaftliches Leben, aber auch unser privates Sein prägen.

Wir müssen verstehen, dass wir als Gesellschaft Frauen weder das Bild der Hausfrau, die freiwillig zurücksteckt, aufzwingen dürfen, noch das Bild der Heldin, der starken Powerfrau, die Job, Sorgearbeit und Ehrenamt gleichzeitig stemmt, aufzwängen dürfen.

Anstattdessen müssen wir an den Bedingungen arbeiten, in denen Frauen, aber auch alle anderen Geschlechter, in unserer Gesellschaft gebunden sind. In denen wir alle miteinander aufwachsen und diese so gestalten, dass letztlich alle Menschen komplett frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten wollen.

Und dann müssen wir Stück für Stück dagegen vorgehen, und das auf allen politischen Ebenen: kommunal, landespolitisch, bundespolitisch aber auch auf Ebene der Europäischen Union.
Und das fängt beim gesamten Thema der Entlohnung damit an, dass wir den Berufen, in denen vor allen Frauen tätig sind, eine höhere Wertschätzung zukommen lassen. Und damit meine ich nicht das Klatschen auf dem Balkon sondern bessere Arbeitsbedingungen, etwa durch bessere Betreuungsschlüssel in der Kinderbetreuung, durch bessere Bezahlung, durch Flächentarifverträge wie in der Pflege vor kurzem probiert und an der Caritas gescheitert. Aber auch durch eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, denn Frauen sind überproportional häufig in der Niedriglohnbranche beschäftigt.

Wir müssen Diskriminierung am Arbeitsmarkt begegnen und dafür ein funktionierendes Entgeltgleichheitsgesetz mit Lohntransparenz und Verbandsklagerecht einführen und damit auch den bereinigten Gender Pay Gap schließen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass es jetzt seitens der EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Entgeltgleichheit und Lohntransparenz, die dieses Problem anerkennt und dagegen vorgehen will, gibt. Diese werden wir auch noch im Ausschuss für Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung diskutieren.

Wir müssen als Freistaat als Arbeitgeber auch als Vorbild fungieren: Durch das Landesgleichstellungsgesetz müssen wir die Positionen von Frauen in der Verwaltung stärken. Wenn sie in der Verwaltung beschäftigt sind, stehen ihnen auch die Führungspositionen zu.

Wir müssen die Gleichstellungsarbeit finanzieren und ihr einen funktionierenden Rahmen geben. Dazu gehören die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten ebenso wie die vielen, vielen, vielen Initiativen, die hier im Freistaat Sachsen im Bereich Gleichstellung tätig sind, wunderbare Arbeit leisten und Stück für Stück am Abbau von Ungerechtigkeit arbeiten. Sei es die Korrektur von historischer Unsichtbarkeit, wie es die Frauenorte leisten, oder die vielen gleichstellungspolitischen Bildungsprojekte.

Der Gewaltschutz muss endlich in unserer Gesellschaft prioritär werden. Dazu gehört der flächendeckende Ausbau der Hilfestrukturen für Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt, ebenso wie eine Dunkelfeldstudie, um endlich mehr Klarheit im Bereich Gewalt gegen Frauen zu gewinnen, um diese Informationen dann in politisches Handeln umzusetzen. Und ich bin froh, dass wir hier als Koalition einen breiten Konsens haben.

Und wir müssen die Debatten um diese Fragen öffentlich und breit führen und da ist doch so eine Debatte hier im Sächsischen Landtag vor immerhin 72,3 Prozent Männern schon einmal kein schlechter Start. Ich finde aber auch, dass wir daran arbeiten müssen, dass hier in der nächsten Legislatur ein paar mehr Frauen sitzen.

Denn eine unserer Forderungen ist und bleibt: die Hälfte der Macht.

Herzlichen Dank.