Datum: 21. Juli 2021

Gendersprache – Hammecke: Sprache ist ein kleiner Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der AfD-Fraktion: „Anwendung der sogenannten geschlechtergerechten Sprache in der behördlichen und ministerialen Kommunikation unterbinden“ (Drs 7/1895)
34. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 21.07.2021, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete,

die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Sprache entwickelt sich weiter, wird beeinflusst von gesellschaftlichen Entwicklungen UND formt auch unsere Gesellschaft mit.

Ich möchte zwei historische Beispiele bringen:

Zunächst will ich aus dem Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes zitieren.

Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869:
„Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen hiermit im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages was folgt:
In § 1. wird der Wähler definiert. für den Reichstag des Norddeutschen Bundes ist jeder Norddeutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat, in dem Bundesstaate, wo er seinen Wohnsitz hat.“

Wissen Sie, wer damit berechtigt war zu wählen? Ich wäre es damals nicht gewesen – auch nicht nach meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag.

Nächstes Beispiel:
Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die am 26. August 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurde.  Sie legte in 17 Artikeln die Menschen- und Bürgerrechte fest, die jedem Franzosen unveräußerlich als Mensch und als Bürger Frankreichs zuerkannt wurden.

Jedem Franzosen? Ja. Jeder Französin? Nein. Und schon damals fand sich Kritik daran in Form der Schrift von Olymp de Gouges der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Denn keineswegs waren mit dem generischen Maskulinum Männer und Frauen beide gemeint. Diese nervigen Feministinnen, die darauf bestehen, dass Frauen in unserer Gesellschaft auch mitgedacht und mitbedacht werden – die gibt es bereits seit mindestens 232 Jahren.

Die rein männliche Form, die stammt aus einer Zeit, in der in der Regel nur Männer präsent waren, sei es als Politiker oder Richter. Man musste nur Männer ansprechen. Es waren ohnehin nicht Frauen gemeint. Heutzutage sind Frauen natürlich gleichberechtigter Bestandteil unserer Gesellschaft, aber Studien zeigen, dass geschlechtergerechte Sprache dazu führt, dass sie tatsächlich nicht nur mitbenannt, sondern auch bedacht werden. Zum Beispiel wenn es um Berufsbezeichnungen geht, können sich junge Mädchen eher vorstellen, stereotype Männerberufe zu ergreifen. Damit ist Sprache ein kleiner Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit sein.

Spreche ich im generischen Maskulinum, stellen sich die meisten Männer vor. Wird gegendert, werden Frauen mehr einbezogen und sind nicht nur mitgemeint.

Laut sozialpsychologischen Studien  glauben 44 Prozent, dass der Spezialist eine Frau ist, wenn der Text, den sie lesen, in geschlechtergerechter Sprache verfasst ist. Bei Texten im generischen Maskulinum glaubten das nur 33 Prozent der Leute. Gendern kann also helfen, Geschlechterstereotype zu reduzieren.

Kinder trauen sich mehr Berufe zu: Sprechen wir etwa von Ingenieurinnen und Ingenieure, trauen sich Mädchen viel eher zu, stereotype “Männerberufe” zu ergreifen. Auch Jungen wählen häufiger stereotype “Frauenberufe”, wenn gegendert wird, etwa der Geburtshelfer und die Geburtshelferinnen.

Oft wird das Argument angeführt, in Ländern, wo es kein generisches Maskulinum gibt, etwa in der Türkei oder in Ungarn, ist es nicht automatisch besser mit der Gleichstellung. Das mag sein, denn natürlich ist Sprache nur einer von vielen Faktoren. Wenn die Türkei aus der Istanbulkonvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aussteigt oder Ungarn mit queerfeindlichen Gesetzen LSBTTIQ Menschen diskriminiert, dann werden wir das allein mit Sprache nicht ändern können, da braucht es mehr.

Aber auch das lehnen sie ja mit einer Inbrunst ab.

Das generische Maskulinum ist eine historisch sehr junge und keineswegs durchgängig stabile Form des Sprachgebrauchs. Es stellt keine strukturelle Unterscheidung des Sprachsystems, keine grammatische Kategorie oder dergleichen dar. Das generische Maskulinum nicht zu verwenden, verletzt also keine Regel des Sprachsystems, wie die AfD zu behaupten versucht. Das ist von Sprachwissenschaftler*innen belegt.

Nein, geschlechtergerchte Sprache ist tatsächlich auch einhundertmal präziser und genauer. Vor Ihnen stehen eine Gruppe von 99 Ärztinnen, 99 Politikerinnen, 99 Erzieherinnen. Zu der Gruppe kommt ein Mann hinzu und schon müssen in ihrer Vorstellung von 100 Ärzten, 100 Erziehern, 100 Politikern sprechen.

Na, wenn das nicht unpräzise ist, weiß ich auch nicht.

Geschlechtergerchte Sprache ist ein Schritt, ein kleiner, aber wichtiger Schritt, hin zu einer inklusiveren, einer gerechteren Gesellschaft. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir nicht stehen bleiben! In den 80ern und 90ern wurde über das Binnen-I gestritten. Heute diskutieren wir über Gendersternchen oder Doppelpunkte, den sogenannten Gendergap, also eine Sprechpause, die so manches Gemüt erhitzt.

Die ist übrigens auch in der Linguistik nicht neu. Niemand hat ein Problem mit Wörtern wie “Spiegelei”, “überall” oder “vereisen”.  Oder auch Richter*innen.

Alle haben eine Meinung, wenige fragen sich, warum Menschen, die mit Gendergap gendern, das eigentlich machen. Es hat etwas mit Anerkennen von gesellschaftlichen Realitäten zu tun. Es hat etwas damit zu tun, präzise zu sein.

Denn – und eigentlich dürfte ich Ihnen spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 2017 zur dritten positiven Geschlechtsoption hiermit nichts neues erzählen: Es gibt in unserer Gesellschaft nicht nur Frauen und Männer. Das können Sie sich wünschen, in ihrer kleinen engstirnigen Vorstellung. Das entspricht jedoch nicht der Realität. Die Geschlechterbinarität ist eine Lüge. Eine Mogelpackung, die einem das 8. Klasse Biologiebuch versucht hat zu verkaufen.

Deshalb nutzen wir Sprache, die eben alle Menschen nicht nur meint, sondern auch benennt.

Und eine Sache ärgert mich in der Debatte um geschlechtergerechte Sprache noch mehr als diese völlige Ahnungslosigkeit um geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen, die so tun, als würde das hier irgendein von oben verordnetes Ideologie-Ding sein, wenn es eigentlich ein – wie wir gelernt haben – jahrhundertelanger Kampf der feministischen Bewegungen war, der dazu geführt hat, dass jetzt sogar die Staatsregierung so weit war, sich zumindest darauf einzulassen, mit der Doppelnennung einen Schritt hin zu geschlechtergerechter Sprache zu machen.

Vielen herzlichen Dank.