Datum: 30. September 2020

Gewaltschutz stärken – Hammecke: Der Schutz von Frauen ist eine staatliche Verpflichtung

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD: "Betroffene häuslicher und sexualisierter Gewalt besser schützen – Kapazitäten im Gewaltschutz bedarfsgerecht ausbauen" (Drs 7/3908)
14. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 30.09.2020, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Zahlen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigen: Etwa jede vierte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder ehemaligen Lebenspartner. Eine Studie der European Union Agency for Fundamental Rights fand heraus, dass etwa jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt durch ihren (ehemaligen) Partner oder eine dritte Person erlebt. Diese Zahlen zeigen eindrücklich: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Und diese Zahlen sind auch nichts Neues. Jedes Jahr, spätestens am 25.11. dem Tag gegen Gewalt an Frauen, hören wir die nahezu gleichen erschreckenden Zahlen – Zahlen zu Gewalttaten gegenüber Frauen, meist von Tätern aus ihrem direkten Umfeld verübt.

Jedes Jahr zeigen wir darüber die gleiche, berechtigte Empörung. Aber Empörung reicht nicht, wenn jede dritte Frau in Deutschland schon einmal Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt geworden ist. Ein Leben ohne Gewalt ist ein Menschenrecht, der Schutz von Frauen eine staatliche Verpflichtung.

„Gewalt gegen Frauen“ umschreibt, dass Frauen – eben aufgrund ihres Geschlechts – von bestimmten Gewaltformen überproportional betroffen sind und dass die Täter überproportional häufig männlich sind.

Gewalt gegen Frauen tritt in vielen verschiedenen Formen auf. Sie zeigt sich zum Beispiel in häuslicher Gewalt, zwischen Menschen, die in einem Haushalt oder in einer Partnerschaft leben, oder auch auch in sexualisierter Gewalt, eine der häufigsten Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen.

Eins steht fest: Gewaltschutz ist ein Thema, das uns alle angeht und es ist wichtig, es auch hier bei uns im Hohen Haus immer wieder zu thematisieren.
Die Istanbul-Konvention ist und war ein Meilenstein im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Die Istanbul Konvention ist ein umfangreiches Menschenrechtsabkommen zur Bekämpfung und Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen; und seit Februar 2018 in Deutschland geltendes Recht. Die Umsetzungspflicht gilt auch für Sachsen im vollem Umfang. Ein Beispiel, dass sich aus der Istanbul-Konvention ergeben hat, von wenigen aber nur damit assoziiert wurde, war das lange überfällige Prinzip „Nein heißt Nein“ im Strafrecht, dass vor wenigen Jahren angepasst wurde. Das war ein sehr entscheidender Schritt für ein Mehr an sexueller Selbstbestimmung von Frauen und für die Stärkung von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Das Strafrecht allein kann aber das Problem nicht lösen. Wir brauchen zusätzlich bestmögliche Prävention und mehr Opferschutz.

Das zeigt auch, der von der Bundesregierung am 1. September vorgelegte Erste Staatenbericht. Darin wird das erste Mal berichtet, wie die Umsetzung der Istanbulkonvention in Bund und Ländern bisher vorangeschritten ist. Um es mal zusammenzufassen: es ist noch viel zu tun, um ausreichend Schutz für Frauen, Kinder und Männer vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen.
Prof Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes forderte anlässlich des Anfang September veröffentlichten Staatenberichtes zur Umsetzung der Istanbul Konvention, dass „in den Bundesministerien und den Bundesländern Gewaltschutz zur Chef*innensache werden [muss], damit sich für Gewaltbetroffene Frauen und Mädchen etwas ändert“.
Der Auftrag ist klar und ich freue mich, dass wir mit unserem Antrag heute ein großes Paket von weiteren Maßnahmen auf den Weg bringen können, um Frauen, Kinder und Männer ein bisschen besser vor häuslicher und sexualisierter Gewalt schützen zu können. Wir fordern die Staatsregierung dazu auf:
Eine Landeskoordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbulkonvention im Freistaat Sachsen zu schaffen.
Den bedarfsgerechten Ausbau an Schutzplätzen in Sachsen voranzubringen, um sich den Empfehlungen der Istanbul Konvention (1 Familienplatz je 10.000 Einwohner*innen) anzunähern.
Dazu wollen wir auch den Personalschlüssel in den Gewaltschutzeinrichtungen reduzieren, damit Frauen und Kinder mehr individuelle Unterstützung erhalten können. Außerdem brauchen wir ein flächendeckenden Netz an Interventions- und Koordinierungsstellen, an die Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sich wenden können.
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Verbesserung hinsichtlich der Barrierefreiheit von Schutzeinrichtungen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Frauen mit Behinderung sind überdurchschnittlich oft von häuslicher Gewalt betroffen.  Eben dieser Ausbau der Barrierefreiheit und der Ausbau und die Auslastung der vorhandenen Kapazitäten in den Gewaltschutzeinrichtungen sollen in einem zweijährigen Monitoring überprüft und berichtet werden.
Wir wollen das Modellprojekt der „Männerschutzwohnungen" evaluieren und basierend auf den Ergebnissen der Evaluation in anderen Regionen in Sachsen ausbauen. Inzwischen wird dieses Modellprojekt aus Sachsen auch in anderen Bundesländern übernommen und zeigt, dass auch wenn Frauen und Mädchen am meisten betroffen sind, häusliche und sexualisierte Gewalt nicht nur ein reines Frauenthema ist.
Wichtig ist auch, dass wir die Weiterbildungen zu sexualisierter und zu häuslicher Gewalt in Justiz und Polizei weiterentwickeln. Personen, die in Kontakt mit Betroffenen kommen, müssen bestmöglich sensibilisiert werden. Menschen in einer Bedrohungslage, wie häuslicher Gewalt, müssen ernst genommen und sofort geschützt werden.
Und wir wollen eine Dunkelfeldstudie zur Viktimisierung vorrangig durch häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt und Stalking, um zumindest ein kleines bisschen Licht in das große Dunkelfeld zu bringen.

Wir fangen in Sachsen aber auf keinen Fall bei 0 an. Wir bauen auf Maßnahmen und Netzwerken auf. Sachsen hat in den letzten Jahren bereits ein Stück des Wegs zur Umsetzung der Istanbul-Konvention bestritten. Jetzt geht es darum, nicht stehen zu bleiben, sondern ein Stück weiter zu gehen.
So gibt es bereits eine modellhafte Fachstelle der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser und Interventions- und Koordinierungsstellen, die mit den Polizeidirektionen kooperieren. Auch wurden zu Beginn diesen Jahres neue Schutzeinrichtungen oder Schutzwohnungen in Nordsachsen, Torgau, Delitzsch geschaffen. Doch es fehlt weiterhin an flächendeckenden und wohnortnahen Hilfestrukturen.
Ich danke hier der Gleichstellungsministerin, welche gerade während Corona entsprechende Hilfen zur Verfügung gestellt hat, um mit Soforthilfen Vereine und freie Träger mit dem Ziel der Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt zu unterstützen und um deren Beratungsangebote in dieser Zeit aufrechterhalten zu können. Diese Anträge können auch noch bis 31. Oktober gestellt werden.
Ein weitere wichtige Maßnahme ist das seit Juli diesen Jahres aufgelegte Förderprogramm des Gleichstellungsministeriums zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Gefördert werden mit knapp sechs Millionen Euro der Aus,- Um- und Neubau, der Immobilienkauf sowie die Sanierung von Schutzeinrichtungen, Fachberatungsstellen oder anderen Einrichtungen für gewaltbetroffenen Frauen.
Während Corona war gerade durch die pandemie-bedingte häusliche Isolation das Risiko gestiegen von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Gleichzeitig war es sehr viel schwieriger, an Hilfe zu kommen. Öffentlichkeitskampagnen, wie die des SMJusDEGs und des Landesfrauenrats, die auf die bestehenden Hilfetelefone hinweisen, waren ein notwendiger und wichtiger Schritt.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleg*innen,
ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben: Gewalt an Frauen ist eben kein frauenpolitisches Thema. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wer ist betroffen, wer ist Täter. Darauf müssen wir als Gesellschaft eine Antwort finden, dagegen müssen wir als Gesellschaft vorgehen.
Ich möchte aber auch kurz einen Blick über die binnen-europäischen Grenzen werfen. Es ist erschreckend, wenn wir sehen, dass unser europäisches Nachbarland Polen die Istanbul-Konvention wieder aufkündigen will und ein massiver Rückschritt für den Schutz von Frauen, wenn Menschenrechtsabkommen wie diese als „ideologisch“ bezeichnet werden.
Ich bin dankbar, dass wir dieses gesellschaftliche Problem und auch Lösungsansätze hier und heute im hohen Haus diskutiert haben. Ich denke uns allen ist klar, das Thema Gewaltschutz ist kein nice-to-have, sondern staatliche Verpflichtung. Die entsprechenden Gewaltschutzstrukturen müssen ausreichend finanziert werden, darum wird es auch in den nächsten Monaten gehen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
Vielen herzlichen Dank. » Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD "Betroffene häuslicher und sexualisierter Gewalt besser schützen – Kapazitäten im Gewaltschutz bedarfsgerecht ausbauen" (Drs 7/3908) » Mehr Informationen zur 14. und 15. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages