Datum: 19. November 2021

Jahresbericht Ausländerbeauftragter – Sejdi: Endlich den im Koalitionsvertrag vereinbarten Spurwechsel angehen

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Jahresbericht 2020 des Sächsischen Ausländerbeauftragten (Drs 7/7866)
39. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag, 19.11.2021, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Mackenroth,

vielen Dank für ihren Bericht, dem wir sehr viele wichtige und interessante Informationen entnehmen können.

Die momentane Corona-Situation zeigt uns, wie wichtig es ist, dass die Gesellschaft zusammenhält und dass wir alle als Teil dieser Gesellschaft etwas beitragen. Ebenso wichtig ist, dass wir auch alle Teil dieser Gesellschaft sind. Als Sächsischer Ausländerbeauftragter haben Sie für die in Sachsen lebenden Migrantinnen und Migranten eine sehr wichtige Rolle. Meine Fraktion begrüßt es daher sehr, dass Sie eine Umfrage zu den Folgen der Corona-Pandemie für Migrant*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte veranlasst haben.

Die Ergebnisse der Studie zeigen uns das, was zu befürchten war: In allen Bereichen, in denen Partizipation und Teilhabe stattfinden, sei es Bildung, Sprache, Arbeit, Beratungsangebote oder gesellschaftliche Partizipation, hat Corona zum Stillstand oder gar zu Rückschritten geführt.

Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Migrationsgeschichte in Sachsen stagniert. In den Vorjahren sank diese Quote kontinuierlich. Auch eine Studie des IAB – des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung – kommt zu dem Schluss, dass Menschen mit Migrationsgeschichte überdurchschnittlich von Beschäftigungsabbau und Kurzarbeit während der Pandemie betroffen waren. Für die Zukunft braucht es hier einen großen Kraftaufwand, um Versäumtes aufzuholen. Für mich ist es dabei besonders wichtig, dass Lösungsansätze zusammen mit den Betroffenen entwickelt werden. Teilhabe und Integration gelingen nur Miteinander und nicht „von oben herab“.

Ich wünsche mir von Ihnen, Herr Mackenroth, dass Sie sich in Ihrer Funktion als Ausländerbeauftragter weiter dafür einsetzen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht die weit abgeschlagenen Verlierer dieser Pandemie werden. Ich nehme Sie daher beim Wort, wenn Sie als einen Ihrer Schwerpunkte des nächsten Jahres die Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie für Menschen mit Migrationsgeschichte benennen.

Es hat mich auch sehr gefreut zu lesen, dass die Arbeit am Heim-TÜV III sowie am Heim TÜV IV, auch unter Beteiligung der betroffenen Bewohner*innen, weiter vorangehen wird. Es ist wichtig dass wir alle Perspektiven mit aufnehmen, um ein authentisches Bild der Lage in den Gemeinschaftsunterkünften zubekommen. Und es ist außerdem wichtig, dass Menschen, die bei uns leben und für deren Unterbringung wir verantwortlich sind, die Möglichkeit haben, ihre Kritik, ihre Anmerkungen und Gedanken zu ihrer Unterkunft kundzutun.

Die Unterbringung muss noch stärker in den Fokus genommen werden. Punkte, wie die aktuelle medizinische Versorgung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, das Lernangebot für Kinder oder die Unterbringung vulnerabler Gruppen müssen kritischer unter die Lupe genommen werden. Ich würde mir wünschen, wenn Sie hierzu künftig Äußerungen machen könnten, wo noch Verbesserungsbedarf aus Ihrer Sicht besteht.

Ganz besonders am Herzen liegt mir aber der Arbeitsschwerpunkt Arbeitsmarktintegration im Bericht. Nicht nur Corona ist für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationsgeschichte ein Hindernis.

In ihrem Bericht stellen sie vor allem die Fachkräfteeinwanderung vor. Ich konnte hier interessante Erfahrungen von Menschen aus der Praxis nachlesen. Ich vermisse jedoch Ihre eigenen Schlussfolgerungen: Wo müssen wir in Sachsen konkret besser werden UND wo werden SIE sich aktiv einsetzen, um Fachkräfte zu gewinnen beziehungsweise die Potentiale der hier in Sachsen lebenden Menschen auszuschöpfen? Denn eines hat einer Ihrer Interviewpartner im Bericht sehr deutlich gemacht: Es werden in Zukunft im Freistaat Fachkräfte fehlen.

Aus meiner Sicht bedeutet das, dass Bleiberechte in Sachsen gestärkt werden müssen. Wir müssen endlich den im Koalitionsvertrag vereinbarten Spurwechsel angehen. Bisher wurden nur ermessenslenkende Regelungen zur Ausbildungsduldung durch das Sächsische Innenminiserium erlassen. Was wir nicht wissen: Hat sich die Lage derer, die in Sachsen eine Ausbildung beginnen wollen, verbessert? Wie bewerten potentielle Arbeitgeber die derzeitigen Verfahren?

Menschen haben schon jetzt nach dem geltenden Aufenthaltgesetz Möglichkeiten, ein Bleiberecht zu erhalten. Wer Sicherheit hat, hat auch bessere berufliche Chancen, kann sich und seiner Familie selbstständig ein Leben aufbauen. Kinder können Berufe erlernen, studieren, sich in die Gesellschaft einbringen, partizipieren und unser Land noch besser machen.

Wir müssen nicht auf neue bundesgesetzliche Regelungen warten, sondern wir müssen die Ermessenspielräume, die es gibt, ausnutzen. Der Fall der neunköpfigen Familie aus Pirna hat das nur zu deutlich gezeigt: Während die Ausländerbehörde keine Möglichkeit für ein Bleiberecht gesehen hat, hat das Oberverwaltungsgericht in Bautzen durchaus Potential gesehen.

Auch aus der Praxis erreichen mich immer wieder Anfragen von Arbeitgebern, die Angst haben, dass ihr Lehrling oder Arbeitnehmer keine Arbeitserlaubnis bekommt oder gar abgeschoben wird. Es sind immer die gleichen Geschichten: toller Mensch, hat sich super in den Betrieb eingelebt, macht eine hervorragende Arbeit! Hier erwarte ich den Ausländerbeauftragten als Partner an unserer Seite.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich habe die Erfahrung in meiner Familie selbst gemacht. So wie viele Menschen in der heutigen Zeit, kam auch mein Vater vor vielen Jahren nach Deutschland. Er konnte erst nach einer Weile einen sicheren Aufenthalt bekommen. Aber er hat mich unterstützt und inspiriert zu studieren und mich zu engagieren. Und heute stehe ich hier als Abgeordnete vor Ihnen.

Wir alle, die wir in Sachsen leben, bringen etwas in die Gesellschaft ein. Wir haben Potenziale, diese sollten wir gemeinsam nutzen!