Migration – Čagalj Sejdi: Anspruch auf Asylverfahren ist europäisches Recht
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Grenze sichern – illegale Einreisen nach Sachsen unverzüglich abwehren“ (Drs 7/8173)
40. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Dienstag, 21.12.2021, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kollegen und Kolleginnen,
dieser Antrag ist mal wieder polemisch, er schürt Ängste, er missachtet geltendes Recht und er kommt zur Unzeit.
Drei Tage bevor Sie von der AfD-Fraktion zu Hause unterm Weihnachtsbaum ihren Kindern die Weihnachtsgeschichte vorlesen, schüren sie hier im Plenum und draußen in der Gesellschaft Angst und Hass und wollen eine humanitäre Katastrophe für ihre eigenen Zwecke nutzen: Das ist unredlich, das ist geschmacklos, das ist haarsträubend.
Wir sind weit weg von einer Bedrohungslage, die Sie hier versuchen aufzubauen. Nur zum Vergleich: 2015 wurden insgesamt 890.000 Asylanträge in Deutschland registriert. Der große Ansturm an der Grenze zwischen Belarus und Polen ist beendet. Die Zahl derer, die in Sachsen einreisen, geht zurück. Im Oktober wurden über 2.000 Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen, im November waren es 1.800. Derzeit harren nach Medienberichten noch etwa 1.000 Geflüchtete an der Grenze zwischen Belarus und Polen aus. Unter ihnen sind Familien und
minderjährige Kinder. Auch wenn viele in Unterkünften untergebracht sind, ist unklar, wie viele Menschen ohne Wasser und Nahrung weiterhin in Eiseskälte in den Wäldern im Grenzgebiet ausharren.
Wir haben es nicht mit einer Bedrohungssituation zu tun, die es erfordert, unsere Grenzen zu schützen. Wir haben es hier mit einer humanitären Katastrophe zu tun!
Eine humanitäre Katastrophe, die auch deshalb besteht, weil durch Zäune an der Grenze zwischen Polen und Belarus, durch illegale Pushbacks und die Verweigerung rechtsstaatlicher Asylverfahren diese Menschen vor Ort gefangen sind.
Ich persönlich befürworte ein Aufnahmeprogramm. Das ist das Gesicht, das Wir, das Deutschland, das Europa zeigen sollte. Nicht Abschottung und Zäune.
Flucht ist kein Verbrechen. Weder Sie noch ich haben das Recht, diese Menschen vorzuverurteilen oder ihnen abzusprechen, dass sie nicht gute Gründe für ihre Reise hätten. Menschen sind überall auf der Welt auf der Flucht, aus den unterschiedlichsten Gründen. Einige dieser Gründe führen dazu, dass diese Menschen nicht in ihre Herkunftsländer zurück können. Weil sie verfolgt werden, aus politischen Gründen oder weil sie einer Minderheit angehören, weil sie aus Krisen- und Kriegsregionen geflüchtet sind.
Es ist in Europa geltendes Recht, das Schutzsuchende ein rechtstaatliches Asylverfahren erhalten. Das gilt für JEDEN Menschen, der ein Asylgesuch – auch an der Grenze – stellt. JEDER Einzelfall wird geprüft. Erst am Ende dieses Verfahrens steht fest, ob diese Menschen hier Schutz erhalten oder nicht.
Und solange dürfen sich diese Menschen erlaubt hier aufhalten. Sie dürfen nicht zurückgewiesen werden. Und sie sind nicht illegal. Auch die Einreise ohne Einreisepapiere kann nicht bestraft werden. Das sieht die Genfer Flüchtlingskonvention vor.
Das gilt auch während der Prüfung im sogenannten Dublin-Verfahren. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit oft mit der Frage befassen müssen, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auch für Schutzsuchende in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorliegen kann.
Auch zu Polen wurde das in Einzelfällen bejaht.
Indem Sie diese Menschen als illegale Migranten bezeichnen, die ohne jede Prüfung ihrer Gründe zurückgewiesen werden sollen, missachten Sie diese geltenden europäischen und völkerrechtlichen Bestimmungen.
Dieser Antrag missachtet auch eine weitere grundlegende europäische Idee: Der Grundsatz des freien und uneingeschränkten Personenverkehrs im Schengenraum verbietet Grenzkontrollen an den Binnengrenzen. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn die öffentliche Ordnung und
Sicherheit eines Mitgliedsstaates bedroht ist, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Selbst wenn man von einer außergewöhnlichen Situation sprechen möchte, muss ich Ihnen noch einmal vor Augen führen, dass in den letzten Monaten nicht einmal zehn Prozent der Zahlen von 2015 erreicht wurden. Auch damals wurden keine Grenzkontrollen eingeführt.
Doch davon sind wir weit entfernt. Menschen, die als letztes Mittel die lebensbedrohliche Flucht auf sich nehmen, sind selbst bedroht. Aber sie stellen keine grundsätzliche Bedrohung dar.