Nachhaltige Verwertung von Lebensmitteln – Zschocke: Genießbare Lebensmittel dürfen nicht im Müll landen
Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD „Nachhaltige Verwertung von Lebensmitteln statt Entsorgung in der Abfalltonne“ (Drucksache 7/5243)
25. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 24.03.2020, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein Drittel der weltweiten Nahrungsproduktion geht auf dem Weg zwischen Acker und Teller verloren. Ohne diesen Verlust könnte ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs gespart werden, ein Drittel weniger Fläche müsste für die Landwirtschaft verbraucht werden.
Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist auch in Deutschland enorm. Pro Sekunde landen drei Kilogramm genießbare Lebensmittel im Müll. Ohne Fleischabfälle müssten hierzulande jährlich 45 Millionen Hühnchen, 4 Millionen Schweine und 230.000 Rinder weniger gefüttert und getötet werden.
Lebensmittelverschwendung geht massiv zu Lasten von Umwelt und Klima. In der persönlichen Klimabilanz schlägt sie mit einem Fünftel zu Buche.
Jetzt könnten wir uns zurücklehnen und sagen: Dagegen vorzugehen ist Sache von Bund und EU. Die länderübergreifenden Handlungsfelder sind in der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung bereits beschrieben. Es geht im vorliegenden Antrag vor allem darum, was wir konkret hier in Landeszuständigkeit tun können. Und das sind vor allem Aufklärung, Beratung und Bildung.
Damit sollen aber die nationalen Handlungsnotwendigkeiten nicht ausgeblendet werden. Natürlich müssen verbindliche Reduktionsziele für Lebensmittelproduktion und Handel festgelegt werden. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und der EU-Aktionsplan zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung sehen vor, dass bis zum Jahr 2030 diese Verschwendung in Deutschland pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren ist. Als Zwischenziel hat das Europäische Parlament eine Reduktion der Lebensmittelverschwendung um 30 Prozent bis zum Jahr 2025 gefordert.
Genießbare Lebensmittel dürfen nicht im Müll landen. Deshalb wäre es sehr wichtig, Supermärkte ab einer gewissen Größe zu verpflichten, nicht verkaufte, aber noch gute Lebensmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Es gibt bereits Supermärkte, die nicht verkaufte Lebensmittel z. B. über extra Regale kostenfrei bereitstellen. Sie nehmen die damit verbundenen Umsatzeinbußen in Kauf. Gerechter wäre es, wenn es für Produzenten und Handel ein klares gesetzliches Primat der Weiterverwendung gäbe. Ein solch bundeseinheitlicher Rechtsrahmen muss auch die Haftungsrisiken des Handels in den Blick nehmen. Das können wir zwar nicht auf der Landesebene festlegen. Aber wir können – wie in Punkt 1 formuliert -, über den rechtlichen Rahmen bei der Weitergabe aufklären und Unsicherheiten beseitigen.
Die Praxis der Abholung durch die Tafeln ist in Sachsen bereits etabliert. Ausbaufähig hingegen sind Angebote des Foodsharings. Dabei können Menschen, die Lebensmittel übrig haben, diese über eine App oder eine Internetseite in virtuellen Essenskörben anbieten. Auch Verteilstation inklusive Kühlmöglichkeit – wie von Foodsharing Bautzen – betrieben, sind hier förderwürdige Initiativen. Darauf gehen wir in Punkt 3 ein.
Ein sehr dickes Brett, was wir nicht mit diesem Antrag bohren können, sind die Regelungen zum Mindesthaltbarkeitsdatum. Lebensmittel werden sehr oft weggeworfen, sobald dieses Datum abgelaufen ist, obwohl sie bei richtiger Lagerung oft noch lange nach Ablauf zum Verzehr geeignet sind. Die Hersteller lassen sich bei der Entscheidung für das MHD auch wieder von haftungsrechtlichen Bedenken leiten. Hier sind standardisierte Leitlinien notwendig, damit dieses Datum dem tatsächlichen Verderb möglichst nahe kommt. Bei langlebigen Produkten wie Reis oder Nudeln braucht es eigentlich gar kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Das kann nur europäisch geregelt werden. Im Rahmen unserer sächsischen Zuständigkeiten ist es zumindest wichtig, immer wieder deutlich zu machen, dass „mindesten haltbar bis“ eben nicht „sofort tödlich ab“ heißt. Diese Aufklärung macht vor allem bei den privaten Haushalten viel Sinn, weil hier das größte Potential zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung liegt. Deshalb wollen wir gemäß Punkt 2 die privaten Küchen- und Kühlschränke in die Aufklärung zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen stärker einbeziehen.
Eine wirklich schlimme Entwicklung unserer Konsumgesellschaft ist, dass genießbare Lebensmittel aufgrund von Optik und Äußerlichkeiten aussortiert werden. Derzeit landen in der EU mehr als ein Drittel des angebauten Obstes und Gemüses gar nicht erst im Markt, weil es nicht den Handelsnormen entspricht. Die EU hat zwar einige von diesen strengen Vorgaben wieder zurückgenommen, dennoch können sächsische Erzeugerinnen und Erzeuger wegen festgelegter Standardgrößen der Händler einen Teil ihrer Produkte nicht vermarkten. Wir können die Vermarktungsnormen und private Handelsstandards nicht im Landtag ändern. Aber es macht auch hier Sinn, in Verbraucherbildung zu investieren. Auch kleine Kartoffeln oder krumme Möhren sind wertvolle Lebensmittel. Obst und Gemüse dürfen nicht vernichtet werden, nur weil sie nicht perfekt aussehen. Das versteht eigentlich jedes Kind.
Durch Stärkung der regionalen Produktion und Vermarktung kann es zudem gelingen, dass weniger Lebensmittel durch überflüssige Handels- und Qualitätsnormen aussortiert werden. Dort wo es eine direkte Verbindung zwischen Stadtbevölkerung und Erzeugern aus der Region gibt – zum Beispiel auf dem Wochenmarkt oder bei der Direktvermarktung – besteht eine große Chance, die falsche Fokussierung auf genormte Produkte aufzubrechen.
Im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung scheitert die Weitergabe von Lebensmitteln an Tafeln oder andere soziale Einrichtungen oft an Hygieneregeln oder haftungsrechtlichen Bedenken. Hier wollen wir gemäß Punkt 4 aufklären und beraten und die Handlungsspielräume aufzeigen.
Viel Luft nach oben gibt es in Sachsen bei der Ernährungsbildung in Kitas und Schulen. Bei Punkt 5 des Antrages sind verschiedene Ressorts gefordert. Es geht um den Lehrplan, um Kenntnisse, um Kompetenzen bei der Zubereitung, um Esskultur und insgesamt mehr Wertschätzung unserer Lebensmittel als „Mittel zum Leben“.
Ich will am Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der im gemeinsamen Koalitionsantrag keine Rolle spielt, aber für uns BÜNDNISGRÜNE sehr wichtig ist: Menschen, die Lebensmittel aus dem Abfallcontainer des Supermarktes retten, sollen nicht bestraft werden. Das Wegnehmen von weggeworfenen noch genießbaren Lebensmitteln zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Verteilstationen sollte straffrei werden. Dazu muss das Strafgesetzbuch geändert werden. Das Ganze ist nicht trivial, weil auch andere Straftatbestände berührt sein können wie z.B. Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung. Das ist Sache des Bundesgesetzgebers, aber es gehört in der Debatte hier zumindest angesprochen. Denn ganz grundsätzlich besteht hier ein ethischer Widerspruch, wenn der gesellschaftlich sinnvolle Einsatz gegen Lebensmittelverschwendung beim sogenannten „Containern“ kriminalisiert wird. Es würde zumindest schon helfen, dass in Fällen des „Containerns“ grundsätzlich wegen Geringfügigkeit von der Verfolgung abgesehen wird.