Datum: 10. November 2022

Paragraf 130 Strafgesetzbuch – Lippmann: Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Diffamierung und Hetze

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Einberufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 II GG“
61. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 10.11.2022, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Meinungsfreiheit ist ein hohes Schutzgut und eines der konstitutiven Grundrechte für die Demokratie – das hat das Bundesverfassungsgericht seit der Lüth-Entscheidung immer wieder betont, dabei aber auch stets deutlich gemacht: Dass die Meinungsfreiheit nicht automatisch Vorrang etwa gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beanspruchen kann.

Heute reden wir über eine Änderung des Strafrechtes, die Äußerungen unter Strafe stellt und damit eine Schranke zur Meinungsfreiheit darstellt. Das ist naturgemäß eine der sensibelsten Bereiche des Strafrechtes überhaupt, noch dazu wenn diese sich in jenen Paragraphen einkleidet, der aufgrund seiner historischen Gravität und der Singularität des Holocaust einer der bedeutendsten in diesem Bereich ist.

Nachdem bereits zu den Inhalten einiges vorgetragen wurde, werde ich mich vorrangig der Kritik an der Änderung widmen.

Sie kritisieren das Verfahren, weil die Regelung in einem sogenannten Omnibus-Gesetz, also einem Gesetz, dass viele Gesetze in einem Mantelgesetz ändert, verabschiedet wurde.

Sicherlich war das nicht der geschickteste Weg. Gerade in einem solch sensiblen Bereich wäre eine umfassende Diskussion – von mir aus gern im Rahmen der geplanten großen Strafrechtsnovelle – trotz des Damoklesschwertes des Vertragsverletzungsverfahrens sicherlich angezeigt gewesen. Das Thema ist per se zu sensibel für Schnellschüsse. Allerdings ging es hier dem Bundestag nicht, wie insinuiert um Vertuschung, sondern schlicht um die angezeigte Schnelligkeit. Für absurd halte ich den Einwand der späteten Uhrzeit des Beschlusses. Die Uhrzeit, werte Kolleginnen und Kollegen, sagt nichts über die Qualität der Gesetze oder gar der Debatten dazu aus. Die AfD zeigt doch hier im hohen Haus regelmäßig, dass selbst Debatten, die von Ihr zur parlamentarischen Primetime bestritten werden, auf ein Niveau absinken, dass irgendwo zwischen RTL-Nachmittags-Soap und Suff-Schlägerei am Ballermann liegt.

Im Lichte dieses Zustandes fällt es natürlich schwer zu glauben, man können 23 Uhr keine Gesetze mehr beschließen. Aber ich empfehlen Ihnen erneut, nicht immer von Ihnen auf andere zu schließen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
zur inhaltlichen Kritik ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben worden. Nicht alles teile ich, aber an der ein oder anderen Stelle schimmert doch durch, dass die gerichtliche und publizistische Auseinandersetzung mit der Regelung uns noch lange begleiten wird.

So wurde mit dem Gesetzesentwurf das „das Billigen“ sowie der Tatbestand „in einer Versammlung“ mit aufgenommen, um – so das Bundesministerium der Justiz – einen Wertungswiderspruch zu § 140 Nr. 2 StGB zu verhindern. Dieser sieht vor, dass, wer in einer Versammlung Taten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen billigt, und dies geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, sich strafbar macht.

Durch das Einbeziehen der Versammlung im neuen §130 Absatz 5 bezieht sich das auch auf die Tatbestände des „gröbliches Verharmlosen“ und „Leugnen“ und geht damit weiter. Gerade das „gröbliche Verharmlosen“ stellt einen doch im erheblichen Maße undefinierten Rechtsbegriff dar, der nun ausgefüllt werden muss. Derartige Offenheit hätte man meines Erachtens vermeiden sollen und auch können. Aber ich kann Sie beruhigen mit der Frage, was „grob“ für ein Qualifizierungsmerkmal ist, dürfen sich Strafgerichte beispielsweise schon im § 22 Sächsisches VersG auseinandersetzen.

Ich beneide das Bundesministerium der Justiz nicht um diese Änderung im § 130 StGB mit seinen Herausforderungen. Es handelt sich um besonders sensibles Strafrecht, welches aber eben auch eine besondere geschichtliche Bedeutung hat, die auch nicht verwaschen werden darf und bei dem die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes von Lüth bis Wunsiedel zu berücksichtigen sind. Schlussendlich scheint mir, dass so richtig keiner mit dem Ergebnis zufrieden ist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
um derlei fachlich fundierte Diskussion geht es der AfD aber gar nicht. Das zeigen die Argumente aus dem Antrag, die teils so hanebüchen sind, dass einem vor Lachen die Tränen kommen würden, wenn das Thema nicht so sensibel wäre.

Sie insinuieren, es ginge hier um eine „lex Ukraine“, die eilends eingeführt werden solle und versuchen sich als bekannte fünfte Kolonne Russlands schon wieder als Opfer zu stilisieren. Einen solchen Quatsch kann man nur erzählen, wenn man wie die AfD keine Ahnung hat und aufstacheln will oder Recherche mal wieder Sache des Praktikanten bzw. Glücksache war.

Der verbindliche Rahmenbeschluss der EU stammt aus dem Jahr 2008! Gerade den osteuropäischen Ländern ging es damals beim Aushandeln dieses Rahmenbeschlusses darum, vergangene Sowjet-Verbrechen neben dem Holocaust mit einbeziehen zu dürfen. Mit den aktuellen Kriegsverbrechen in der Ukraine hat der aber wirklich gar nichts zu tun. Es sei denn, die AfD ist mittlerweile so weit im Verschwörungssumpf eingesunken, dass sie glaubt, man hätte schon 2008 gewusst, dass Russland 2022 die Ukraine überfallen würde.

Aber genau dieser Punkt zeigt doch, worum es hier wirklich geht. Sie haben Angst davor, dass Ihre plumpe Putin-Propaganda irgendwann auch die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet. Aber die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Diffamierung und Hetze. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: Von den Brandstiftern werden wir uns nicht erzählen lassen, wo die Brandmauern zu stehen haben.

Zum Schluss sei noch Folgendes angemerkt. Sie zeigen auf die jetzige Erweiterung in Gestalt des § 130 Abs. 5 StGB. Sie meinen aber eigentlich den ganzen § 130, der Ihnen zu wider scheint. Sie waren es doch – unter ihrem rechtsextremen Vorkämpfer Jens Maier –, die 2018 den § 130 durch ein Rekurrieren auf das „Deutsche Volk“ entwerten wollten und diesen dabei als Regelung gegeißelt haben, die dazu diene, unliebsame Meinungen zu unterdrücken.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
wer versucht – eingedenk unserer historischen Verantwortung – eines der sensibelsten Bereiche unseres Strafrechtes zu schleifen und damit die Axt an die strafrechtlichen Instrumentarien, die sich aus der Erfahrung mit den Grauenstaten des Nationalsozialismus ergeben, anlegt, kann in diesem Haus auch bei solchen durchschaubaren Anträgen wie diesem nur auf unsere Ablehnung zählen.

Vielen Dank.