Datum: 30. September 2020

Sport als Säule der Gesellschaft – Kummer: Es braucht eine Antidiskriminierungsstelle im sächsischen Sportbetrieb

Redebeitrag der Abgeordneten Ines Kummer (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung zum Thema: "Der Sport im Freistaat Sachsen – eine tragende Säule der Gesellschaft"
14. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 30.09.2020, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Sport tut unserer Gesundheit und unserer Gesellschaft gut. Sport schafft Gemeinschaft, Sport baut Vorurteile und Barrieren ab – sogar bei den Personen, die ihn von der Zuschauertribüne oder als Couch-Potato passiv konsumieren.

Wir BÜNDNISGRÜNE sehen Sport und das damit oft verbundene Vereinsleben als wichtigen Baustein für eine gesunde, vielfältige, tolerante sächsische Gesellschaft.
In Sachsen sind in 4.447 Sportvereinen insgesamt 676.126 Mitglieder organisiert. Der Innenminister erwähnte es bereits. Das bedeutet einen Organisationsgrad der Sporttreibenden in der sächsischen Bevölkerung von mehr als 16 Prozent. Das ist viel und das ist großartig!
Unser BÜNDNISGRÜNER Anspruch: Jeder und jede soll sich sportlich betätigen können, unabhängig von Alter, Gesundheits- oder Fitnesszustand, Hautfarbe, Religion, Sprache, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Und auch unabhängig davon, wo die Menschen leben, in der Stadt oder im ländlichen Raum. Im Sportverein lernen sich die unterschiedlichsten Menschen kennen. Bei gemeinsamer sportlicher Aktivität wird das Gemeinschaftsgefühl gestärkt. Es werden Werte wie Fairness, Teamgeist, Respekt und Verantwortung gelernt und gelebt.
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist uns BÜNDNISGRÜNES ein bewusster Umgang mit unserer Umwelt. Egal, wo Sport stattfindet: auf klassischen Sportflächen oder im öffentlichen urbanen Raum, auf Gewässern oder im Wald – er soll im Einklang mit unserer Natur erfolgen.

Meine Damen und Herren,

Der Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Frühjahr war für viele Menschen eine schwere Zeit in vielerlei Hinsicht. Das trainieren im Verein war nicht möglich. Für den Einzelnen bedeutete dies Bewegungsmangel und manchmal sogar Isolation. Für die Vereine bedeutete es darüber hinaus Angst um Einbrüche bei den Mitgliederzahlen und finanzielle Nöte bis hin zu Existenzängsten. Zum Glück hat sich ein Einbruch bei den Mitgliederzahlen in Sportvereinen nicht bestätigt. Hier gilt es mal Danke zu sagen an all die vielen Vereinsmitglieder, die ihren Vereinen in dieser dramatischen Zeit solidarisch zur Seite stehen.

Und ich konnte mich in den letzten Wochen vor Ort überzeugen, wie engagiert Vereine mit Unterstützung der KSB und des LSB den Fast-Normalbetrieb unter Corona-Bedingungen wieder zum sportlichen Laufen brachten. Sicher, es gibt noch Verunsicherungen und, manchmal auch nachvollziehbar, Unverständnis in Sachen Allgemeinverfügung. In der Garderobe 1,5 Meter Abstand, auf dem Spielfeld ganz nah beieinander. Das ist schwer zu vermitteln, wo da der Schutz vor Ansteckung ist.

Meine Damen und Herren,

ich blicke trotzdem etwas mit Sorge auf die kommenden Herbst- und Wintermonate und auf die Infektionszahlen, die auch in Sachsen wieder steigen. Sportliche Aktivitäten werden sich wieder mehr nach drinnen verlagern.

Es ist nun besonders wichtig, den Vereinen weiterhin den Rücken zu stärken, damit sie ihre, für die Gesellschaft und für den Einzelnen enorm wichtige Aufgabe weiterhin erfüllen können. Das bedeutet eine verlässliche Finanzierung, Hilfe bei der Erstellung von Hygienekonzepten, gerade auch für die Unterstützung kreativer Ideen für gemeinsames Sporttreiben.
Für den nun kommenden Doppelhaushalt 2021/22 erwarte ich daher keinen Rückschritt in der Sportförderung. Vor allem die Unterstützung des Breitensports muss auf sicheren Füßen stehen.

Ein Thema, was während der Pandemie besonders zum Vorschein trat, ist die Kompensation des Ausfalls des Schwimmunterrichtes.

Rund 60 Prozent aller Zehnjährigen gelten laut DLRG nicht als sichere Schwimmer.
Der Schwimmunterricht wird regulär in der zweiten Klassenstufe erteilt. Für viele Kinder fiel der Schwimmunterricht in der Pandemiezeit aus. Unklar ist nach wie vor, ob der Unterricht nachgeholt werden kann.

Hier fehlt es an allen Ecken und Kanten. Es gibt zu wenig Schwimmhallen; Zeiten, in denen Schwimmunterricht in den Hallen stattfinden kann, sind begrenzt, es gibt nicht genügend qualifizierte Schwimmlehrer*Innen und es gibt zu wenig Begleitpersonen, die Schulklassen zum Schwimmunterricht begleiten. Und je mehr man in den ländlichen Raum kommt, umso gravierender wird dieses Problem.

Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Von daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der Innenminister vorhin auch im Rahmen der Sportförderung den so wichtigen Bau der Schwimmhalle am Otto-Runki-Platz in Leipzig benannt hat. Und ich hoffe, es bleibt nicht nur beim Benennen.

Meine Damen und Herren,

Das Sportgericht des Sächsischen Fußballverbandes hat im April 2019 festgestellt, dass Äußerungen wie „Schwuchtel“ nicht beleidigend, sondern fußballtypisch seien. Das muss ich so akzeptieren. Ich vertrete auf dem Sportplatz aber andere Werte, auch im Überschwang der Emotionen. Unser Pflegesohn spielte einige Zeit in der Stammmannschaft eines örtlichen Fußballvereins in meiner Heimatstadt. In seiner Mannschaft anerkannt und beliebt, Torjäger und schwarz. Im Stadion wurde ihm zugejubelt. Ein paar Stunden wurde er dann vor dem Stadion wegen seiner Hautfarbe beschimpft und beleidigt. Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Diskriminierungen wegen sexueller Orientierung, Hautfarbe, Geschlecht oder wegen der Herkunft sind auch 2020 im sächsischen Sport Alltag. Das macht mich wütend.
Antidiskriminierungsprojekte im Sport müssen deshalb fester Bestandteil der sächsischen Sportlandschaft bleiben. Da dürfen und werden wir keine Luft ran lassen.

Meine Damen und Herren,
an dieser Stelle möchte ich die Fanprojekte in Aue, Chemnitz, Dresden, Leipzig, Plauen und Zwickau nennen, die für und vor allem mit Fußballfans in diesem Bereich großartige Arbeit leisten und ihnen für dieses Engagement Danke sagen.

Für viele Fußballfans ist das Fan-Sein viel mehr als reiner Sport-Konsum. Das Fan-Sein ist ein wichtiger Teil ihrer Identität. Das Fußballstadion ist für Fans fast schon ein zweites Zuhause. Und es ist ein Ort, an dem sich aktive Fans auch sozial und politisch engagieren. Hier setzen Fanprojekte an und leisten sozialpädagogische Arbeit unabhängig von den Fußballvereinen. Fanprojekte stehen für zwei Dinge: Ein sicheres Stadionerlebnis und jede und jeder hat seinen Platz im Stadion. Dafür werden Themen wie Sexismus, Homophobie, Rassismus oder Gewalt offen angesprochen und diskutiert.

Ich möchte dies an der Arbeit des Fanprojekt Dresden, das ich im Juli dieses Jahres besucht habe, noch kurz verdeutlichen:
Dort lernen zum Beispiel in Workshops Schülerinnen und Schüler bei einer themenspezifischen Stadiontour, was „Fair Play“ im Alltag bedeutet, welche Formen von Gewalt oder Diskriminierung gibt es überhaupt und was kann man im Alltag selbst dagegen tun. Super finde ich auch den Graffiti -Workshop für Mädchen.
Ein weiteres tolles Projekt ist die Spieltagsbegleitung des Fanprojekts. Diese Arbeit hilft sehr, Konflikte zwischen Fußballfans und der Polizei zu vermeiden oder zu deeskalieren – und ist damit ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Gewalt. Ansprechpartner des Fanprojektes sind am Spieltag immer vor Ort. Für Auswärtsspiele hat das Fanprojekt in einem Pilotprojekt einen Auswärtsfragebogen entwickelt. Dieser hilft, Vorfälle im Zusammenhang mit Spielen aus Sicht der Fans zu bewerten und Rückschlüsse zu ziehen, was verbessert werden kann.

Für die Fanprojekte braucht es weiterhin verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Die Deutsche Fußballliga und der Deutsche Fußballbund finanzieren neben dem Freistaat Sachsen und den Kommunen die Fanprojekte. Innerhalb des DFB gibt es Überlegungen, die Förderung zu kürzen. Hier muss der Freistaat unbedingt gegensteuern und gegebenenfalls die Finanzierung sicherstellen!

Diskriminierung, Rassismus, Gewalt sind auch in der Fußballregionalliga und in andere Sportarten ein großes Thema. Sport in Sachsen ist manchmal nicht so inklusiv und verbindend, wie wir es uns wünschen.

Es gibt geschlechterspezifische Diskriminierung und zwar nach beiden Seiten. Da reichen schon blöde Sprüche, wenn Jungs Yoga machen oder Mädchen Fußball spielen wollen

Rechtes Gedankengut ist in manchen Sportvereinen etwas, „das man doch mal sagen kann“. Es können sich rechtsextreme Strukturen in Sportvereinen etablieren. Zum Beispiel sehen wir mit Sorge solche Verbindungen bei den sogenannten „Fight clubs“.

Sexuelle Orientierung ist aus meiner Sicht in vielen Vereinen immer noch ein Tabuthema. Ich gebe da nur das Stichwort „Homophobie im Fußball“. LSBTIQ*-Personen sind im Sport kaum sichtbar, ob als Trainer*in, Sportler*in oder Funktionär*in. In der Realität outen sich LSBTIQ*-Personen überwiegend am Ende ihrer sportlichen Karriere und nicht innerhalb ihrer sportlich aktiven Zeit.  Angst vor Diskriminierung, vor Stigmatisierung oder auch Druck von Sponsoren sind Gründe.

Beim Thema Gewalt müssen wir uns auch den Kinder- und Jugendschutz anschauen.
2019 veröffentlichte die Universitätsklinik Ulm eine Studie über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Sport. Die Studie spricht von mehr als 200.000 Fällen. Das ist erschütternd!
Sport ist im Leben der meisten Kinder und Jugendlichen sehr wichtig. Sie erfahren dabei Gemeinschaft, Selbstwirksamkeit, Freundschaft und Vertrauen. Viele Mädchen und Jungen nutzen Angebote von Sportvereinen, Jugendverbänden oder kommerziellen Anbietern. Sie sollen dies tun können, ohne Angst haben zu müssen in irgendeiner Art missbraucht zu werden.
Ich begrüße an dieser Stelle die Erklärung zum Kinderschutz der Sportjugend Sachsen und des Landessportbundes Sachsen und ich freue mich, dass der Freistaat das Projekt „Starke Kinder im Sport! Training mit Verantwortung“ fördert. Kontinuierliche Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung zu diesem Thema muss fortgeführt und ausgebaut werden!

Zuletzt möchte ich auch die Einbindung von Menschen mit Migrationsgeschichte in die Gesellschaft ansprechen. Zunächst einmal sind Sportvereine eine wunderbare Basis für gemeinsames Kennenlernen und für kulturellen Austausch. Über die gemeinsame Aktivität Sport bietet sich ein leichter Einstieg ins Gespräch, an dessen Ende die Erkenntnis steht: „Der Mohammed ist ja echt nett“. Gleichzeitig bedarf es auch hier gezielter Maßnahmen, um Menschen mit Migrationsgeschichte Teilnahmemöglichkeiten zu schaffen.

Sportvereine müssen für all diese Themenfelder gerüstet werden. Dabei brauchen sie dringend fachliche Unterstützung. Der Landessportbund leistet da schon eine ganze Menge. Ich weiß aber auch, dass die vielfältigen Aufgaben mehr Zeit erfordern, als bisher dafür da ist. Wir BÜNDNISGRÜNE wollen eine Antidiskriminierungsstelle im Umfeld des Landessportbunds errichten. Diese sollte bis 2021 aufgebaut werden. Neben Weiterbildungsprojekten zu Themen wie Diskriminierung von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung, Rechtsextremismus und sexualisierten Gewalt auch im Kinder- und Jugendbereich, soll es auch eine Beschwerdestelle geben und Ansprechpartner, die Aufklärungsprojekte in die Vereine hineintragen.

Ein weiteres wichtiges, grünes Anliegen ist die Förderung von Spitzensportlerinnen sowie Trainerinnen und Frauen in Führungspositionen im sportlichen Bereich.

Über Sportlerinnen wird weniger berichtet, sie verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen und sie werden in vielen Sportarten oft belächelt. Selbst durch Sprache werden sportliche Leistungen marginalisiert – mit Formulierungen wie "Die Mädels" sind meistens "hübsch" oder "süß".

Da freut es mich ganz besonders, dass wir nun im Eisschnelllauf gleich zwei Frauen als Trainerinnen haben: Jenny Wolf wird Bundestrainerin im Eisschnelllauf und Co-Trainerin Gunda Niemann-Stirnemann. Für Sachsen müssen wir an solchen Erfolgsmeldungen noch arbeiten.

Wir BÜNDNISGRÜNE wollen Frauen im Sport gezielt fördern. Wir wollen duale Karrieremöglichkeiten schaffen, damit Training, Wettbewerb und Berufsleben unter einen Hut passen.

Etwa 6.000 Frauen und Mädchen sind Mitglied im Sächsischen Fußball-Verband, Tendenz steigend. Frauenfußball ist ein starker Leistungsträger!
Wir brauchen eine Debatte über gesellschaftliche Anerkennung und die Bezahlung von Frauen und Männern im Profifußballbereich ohne diskriminierende und sexistische Störgeräusche!

Als dritten Punkt möchte ich noch das Thema Nachhaltigkeit ansprechen. Die Sportförderrichtlinie wird überarbeitet. Das Thema Nachhaltigkeit muss hier aufgenommen werden. Berücksichtigung muss finden, ob Sportstätten mehrfach genutzt werden können. Werden Kunstrasenplätze gebaut, sollen umweltfreundliche, nachwachsende und recyclebaren Füll-Materialien wie Kork-Kokosfasern priorisiert werden. Außerdem muss ein Nachhaltigkeitskonzept Bedingung für die Förderfähigkeit durch den Freistaat Sachsen sein.

Wir BÜNDNISGRÜNE sehen grundsätzlich die Vorteile von Sport-Großveranstaltungen.  Sie stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt und haben Vorbildcharakter über den Sport hinaus. Nun steht auch fest, dass die Bob- und Skeleton-WM 2021 erneut in Altenberg stattfinden wird. Es freut mich, dass den sächsischen Organisationen hier so viel Vertrauen entgegengebracht wird. Eine weniger euphorische Bemerkung sei mir hier erlaubt. Ich sehe Wintersportveranstaltungen im Freistaat vor dem Hintergrund des Klimawandels und des steigenden Bedarfs an Kunstschnee sehr kritisch. Von daher wäre es nur schlüssig, wenn bei Erstellung eines neuen Wassermanagements für den Freistaat Sachsen auch die Wintersportregionen und ihr Bedarf an Wasser mit in Betracht gezogen werden. Und dass mit den betroffenen Regionen und Akteur*innen Konzepte für die Zeit mit wenig, sehr wenig oder gar keinem Schnee auf den Weg gebracht werden. Auch in den Wintersportregionen wird es einen Strukturwandel geben.

Ökologische und soziale Kriterien müssen fester Bestandteil von Konzeptionen für Großsportveranstaltungen werden. Vorbild gebend kann hier der „Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und Umweltbundesamtes (UBA) oder der Leitfaden für umweltfreundliche Sportveranstaltungen des Deutschen Olympischen Sportbundes sowie des Bundesministeriums des Innern sein.

Meine Damen und Herren, zum Ende bleibt mir anzumerken:
Der Sport ist eine Tätigkeitsform des Glücks. Beim Glück bin ich mir sogar sehr sicher, dass es sich einstellt. Zu Recht sagt man ja: Ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg mit dem neuen Sportplatz! Und nicht zuletzt haben Mediziner und Psychologen festgestellt: Sport setzt Stoffe in unserem Körper frei, die wir als Glückshormone bezeichnen können. Wer Sport treibt, ist fröhlicher, optimistischer als andere!

Vielen herzlichen Dank.
» Mehr Informationen zur 14. und 15. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages