Datum: 03. März 2021

Corona-Debatte – Schubert: Wir wollen einen verantwortungsvollen Neustart mit umfassendem Infektionsschutz

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zum Sonderplenum des Sächsischen Landtages am Mittwoch, 3. März 2021, zum Antrag der AfD-Fraktion „‚Endlos-Lockdown‘ beenden – Bürgern und Unternehmen eine klare Perspektive bieten“ (Drucksache 7/5673)

 

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir stehen an einem Kipp-Punkt. Der Ruf nach Lockerungen ist so unüberhörbar wie die Warnung vor einer Dritten Welle.

Wir spüren als BÜNDNISGRÜNE die Verantwortung, beidem gerecht zu werden. Für uns ist ein Weg möglich und auch notwendig, der Perspektiven und Infektionsschutz zusammendenkt. Es gilt, den Menschen klare Perspektiven aus dem Lockdown aufzuzeigen, weil es Perspektiven sind, die dafür sorgen, dass Schutzmaßnahmen weiterhin gemeinsam getragen werden.

Der vorliegende Antrag der AfD leistet das nicht, er ist widersprüchlich, schlecht begründet und gefährdet das Erreichte. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Auf den ersten Blick sieht er fundiert und detailliert aus, und es finden sich darin Dinge, die wir alle wollen: dauerhaft geöffnete Schulen und Kitas, eine florierende Wirtschaft und ungehinderte gesellschaftliche Teilhabe. Auf den zweiten Blick ist die Begründung des Antrages allerdings so wacklig wie die Verankerung der AfD in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Es beginnt mit dem Satz, ich zitiere: „Die bisher bekannten Varianten in Großbritannien, Südafrika, Brasilien oder auch Nigeria verbreiten sich zwar teilweise schneller, sind aber nicht unbedingt tödlicher“. Das ist erstens sachlich falsch, da diverse neueste Studien eine erhöhte Tödlichkeit aufzeigen, übrigens auch bei jüngeren Menschen. Und zweitens steckt der Teufel im Detail, denn eine doppelte Verneinung wie „nicht unbedingt“ heißt in der Logik dann „meistens schon“. Das Problem ist, dass der Rest Ihrer gesamten Argumentation, werte AfD-Fraktion, auf diesem logischen Fehler aufbaut und damit fällt.

Lassen Sie mich zur von Ihnen angeführten Stanford-Studie kommen, dem zweiten Glied Ihrer Argumentationskette. Im Einleitungsteil heißt es – und ich bin so frei, das direkt zu übersetzen: „Die frühe Anwendung d[ies]er restriktiveren nichtpharmazeutischen Interventionen im Jahr 2020 war gerechtfertigt wegen der rapiden Verbreitung des Virus, überrannten Gesundheitssystemen in schwer betroffenen Regionen und Unsicherheit über die Krankheitsverläufe und Sterblichkeit.“ Werte AfD-Fraktion, Sie zitieren hier eine Studie, die das, was Sie ablehnen, nämlich den Lockdown, für richtig und geboten erklärt. Ich frage Sie daher: Lesen Sie eigentlich auch die Studien, die Sie zitieren? Und wenn ja, wie gründlich?

Ich möchte noch einen weiteren Satz direkt aus der von Ihnen angeführten Studie zitieren, diesmal aus dem Diskussionsteil: „Unsere Studie baut auf den Befunden der generellen Effektivität von Lockdown-Maßnahmen zur Reduzierung des Anstieges von Fallzahlen auf.“

Genau das haben Sie aber nicht verstanden. Die Autoren der von Ihnen angeführten Studie sagen selbst, dass ein Lockdown grundlegend sinnvoll ist. Sie bezweifeln lediglich den Zusatznutzen von sehr restriktiven Maßnahmen wie Ausgangssperren. Wir BÜNDNISGRÜNE sehen das übrigens genauso. Sie als AfD fordern jedoch nicht weniger restriktive Maßnahmen, wie in der Studie angeführt, sondern gar keine Maßnahmen. Werte Fraktion der AfD, es wäre gut, wenn Sie Stanford-Studien nicht nur zitieren, sondern auch verstehen würden. Diesen Mut zur Wahrheit möchte ich mir an dieser Stelle erlauben.

Ich möchte nun aufzeigen, warum der Antrag der AfD-Fraktion das Gegenteil von dem erreichen würde, was er behauptet, erreichen zu wollen. Die Folge einer unkontrollierten Öffnung, wie Sie das fordern, wäre ein Kontrollverlust, denn wir müssten ständig wieder öffnen und schließen, und hätten keinerlei Planungssicherheit mehr. Planungssicherheit ist jedoch das, was die von Ihnen angeführten Unternehmen benötigen. Auch Eltern und Kinder brauchen endlich Planungssicherheit. Ich verstehe ja, dass Sie bei der AfD exponentielles Wachstum nicht verstehen, da Sie linear in die Vergangenheit wollen. Das Problem ist jedoch, dass Ihr Antrag, wenn wir dem zustimmen würden, angesichts der Mutationen zu Fallzahlen führen würde, die wir uns heute kaum vorstellen können. Genau das ist das, was wir gerade in Tschechien sehen, mit Inzidenzwerten teils über 1000. Und mir ist vollkommen unbegreiflich, wie Sie es verantworten wollen, dass wir wieder in eine Situation kommen wie damals in Zittau, als wir kurz vor der Triage waren. Dass Sie wirklich wieder so viele Tote riskieren wollen, dass die Krematorien in Sachsen an ihre Grenzen kommen?

Es geht darum, die Menschen in Sachsen zu schützen und verantwortungsvoll aus der Pandemie herauszukommen. Zu Recht erwarten die Menschen, die Wirtschaft nach einem Jahr Pandemieerfahrung mehr Kreativität im Umgang mit dem Virus, um zurückzufinden in einen normalisierten Alltag.

Das, meine Damen und Herren, bringt mich zu dem, wie wir als BÜNDNISGRÜNE an das Thema Perspektiven und Öffnungen rangehen. Wir sagen: Klare Perspektiven geben, damit wir nicht die Akzeptanz für Schutzmaßnahmen verlieren. Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, was wann wie unter welchen Bedingungen wieder möglich wird, ohne den Infektionsschutz zu vernachlässigen. Konkret heißt das: Wir wollen einen verantwortungsvollen Neustart mit umfassendem Infektionsschutz. Dazu gehören „basics“, um Öffnungsschritte gehen zu können. Zu den „basics“ gehört Prävention – Masken, Abstand, Luftfilter. Wir wollen mehr Tests und Selbsttests – „Kinder first“, ein sicherer Schul- und Kitabetrieb ist uns z.B. wichtiger als die Öffnung von Baumärkten. Konsum vor Kindern ist kaum vermittelbar.

Testen und Impfen haben Priorität. Darauf sollten wir unsere Kraft bündeln. Es sind Grundpfeiler von Öffnungsschritten. Wir brauchen außerdem gezielte Hotspot-Strategien und können bei der Digitalisierung der Gesundheitsämter deutlich besser werden.

Genau das, nämlich konkrete Vorschläge, wofür man steht, ist unsere Bündnisgrüne Alternative zum Antrag der AfD. Ihr Antrag ist nicht nur richtig schlecht begründet und in sich widersprüchlich, sondern auch deswegen so verantwortungslos, weil er in Tschechien in der Praxis, wo das gemacht wurde, was Sie vorschlagen, krachend gescheitert ist. Die Alternative für Deutschland hat nicht nur keine eigenen echten Vorschläge – sie bedient sich aus dem gescheiterten Modell Tschechiens. Ein Armutszeugnis.

Das, was wichtig wäre, kommt in Ihrem Antrag nicht vor, im Gegenteil – und er ist definitiv weder eine Alternative noch eine Perspektive. Und genau deshalb lehnen wir ihn ab.