Weichert: Mit ihrer Verweigerungshaltung beim Schulobst hat die Staatsregierung die Chance verspielt, etwas Konkretes zur Verbesserung der Ernährung sächsischer Schülerinnen und Schüler zu tun

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag „Kostenloses Obst und Gemüse für alle Schülerinnen und Schüler“ in der 3. Sitzung des Sächsischen Landtages am 11. November 2009 zum TOP 9
Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht nass
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein Gähnen konnte ich mir nicht verkneifen als ich den vorliegenden Antrag der SPD das erste Mal gelesen habe. Schon wieder die ewige Diskussion ums Schulobst, und diesmal sogar von denen angestoßen, die unseren Antrag vom 16.1.2009 (Drs. 4/14458) mit weitgehend gleichem Inhalt seinerzeit abgelehnt haben.
Seit gestern ist das Thema für Sachsen nun hochaktuell. Wie Staatsminister Kupfer verkündete, hat das Kabinett beschlossen, das EU-Schulobstprogramm in Sachsen nicht umzusetzen. Wir Grünen hatten ja befürchtet, die Staatsregierung könnte ihre Blockadehaltung durch die Überbürokratisierung der Umsetzung fortsetzen. Die Realität ist aber noch trauriger. Der finanzielle und bürokratische Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum Nutzen, hieß es in der Begründung. So hatte ich mir den im Koalitionsvertrag angekündigten Bürokratieabbau nicht vorgestellt!
Gleichzeitig wird man nicht müde, zu betonen, wie stark Sachsen auch künftig auf die Erziehung zu bewusster Ernährung von frühester Jugend an hinwirkt.
Meine Damen und Herren, die Staatsregierung verfährt hier nach dem Prinzip „Wasch‘ mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Einerseits wird sie nicht müde, von der Vorbildfunktion der Schulspeisung zu sprechen, bei der regionale, saisonale und ökologische Produkte auf den Tisch kommen sollen (O-Ton Frau Clauß), andererseits ist sie nicht bereit, für dieses Ziel zu arbeiten. Was hat denn die seit über einem Jahr existierende Arbeitsgruppe zu Umsetzung des Schulobst-Programms während der ganzen Zeit gemacht? Herr Staatsminister Kupfer, das könnten Sie uns bitte einmal erklären!
Mit ihrer Verweigerungshaltung hat die Staatsregierung die Chance verspielt, etwas Konkretes zur Verbesserung der Ernährung sächsischer Schülerinnen und Schüler zu tun. Es ist ja schön und gut, den Kindern die Arbeitsabläufe beim Obstbau näher zu bringen, wie es das geplante Projekt „Sachsen is(s)t Apfel“ vorsieht, aber danach wissen die Schülerinnen und Schüler noch lange nicht, wie der Apfel schmeckt. Und was bitte bringt es Kindern aus einkommensschwachen Haushalten, wenn sich Pädagogen beim Lernportal des Kultusministeriums über Genussfragen informieren? Das klingt für mich schon fast zynisch und hilft den Kindern ungefähr so viel als wenn sie sich eine Kochsendung im Fernsehen anschauen.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, mir klingen Ihre salbungsvollen Worte aus dem Wahlkampf noch in den Ohren. Wer Kinder in seinen Sonntagsreden „unsere Zukunft“ nennt, sollte im Alltag endlich Taten folgen lassen. Dies sieht auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte so. In einer Pressemitteilung fordert der Verband (ich zitiere): „die Auseinandersetzung um die Finanzierung einer gesundheitspolitisch wertvollen Gabe von frischem Obst an Schulkinder umgehend zu beenden und sicherzustellen, dass zu Beginn des neuen Schuljahres an allen Schulen frisches Obst an Schülerinnen und Schüler verteilt wird“.
Was wir in Sachsen nicht hinbekommen, ist in anderen Ländern längst Alltag. In Norwegen gibt es beispielsweise seit 2004 ein nationales Schulobstprogramm. Auch in Belgien, Schweden, Dänemark, Spanien, Frankreich, Ungarn, Italien, Großbritannien und den Niederlanden hat man den Sinn einer solchen Maßnahme erkannt und dementsprechend gehandelt. Dies geschieht aus gutem Grund: Der Verzehr von Obst und Gemüse ging in den letzten Jahren in der EU immer weiter zurück.
Gleichzeitig nehmen Übergewicht und Fettleibigkeit unseres Nachwuchses zu. Laut einer aktuellen Studie wird deshalb in Europa von 2005 bis 2020 die Zahl zuckerkranker Kinder unter 15 Jahren um 70 Prozent ansteigen. Allein in Deutschland sind schon heute rund 2 Millionen Kinder und Jugendliche übergewichtig. Jedes dritte Kind geht ohne Frühstück in die Schule, viele nehmen nicht am Mittagessen teil und ernähren sich von Süßigkeiten und Fast Food. Die Folgekosten ernährungsbedingter Krankheiten sind um ein Vielfaches höher als die Kosten, die durch die Ausgabe kostenlosen Schulobstes entstehen würden. Bundesweit laufen durch Fehlernährung jährliche Behandlungskosten von 70 Milliarden Euro auf. Experten rechnen mit einem Anstieg auf 100 Milliarden Euro in den kommenden Jahren.
Meine Damen und Herren, dies und weitere Untersuchungsergebnisse können Sie in zahlreichen Studien nachlesen, die ich der Staatsregierung dringend zur Lektüre empfehle. Es ist skandalös, dass unsere moderne Gesellschaft für gesunde Lebensmittel keinen Cent übrig hat und sich um die Finanzierung von Schulobst monatelang streiten muss. Entgegen anders lautender Beteuerungen, tut die Staatsregierung zu wenig für eine genussvolle und natürliche Esskultur in Sachsen. Analogkäse, Schinkenimitate, gepresster Fisch als Garnele – die lange Liste der industriellen Irrwege als Folge des Geiz-ist-geil-Dumpings ist lang. Wir hätten mit der Umsetzung des EU-Schulobstprogramms einen ersten aktiven Schritt in die richtige Richtung machen können.
Natürlich sind wir Grüne uns darüber im Klaren, dass das Schulobst allein das Problem der gesunden Ernährung nicht löst. Das ganze Feld muss etwas breiter angelegt werden. Wir fordern klare Kriterien für die Schulernährung insgesamt. Es muss eine Schulernährung sein, die an gesunden und an ökologischen Kriterien orientiert ist. Hier fehlen Vorgaben des Landes. Die fordern wir strikt ein! Vielleicht kann hier die Arbeitsgruppe Schulobst wenigstens ein Ergebnis beisteuern, das ihre monatelange Arbeit rechtfertigt.
 
Der vorliegende Antrag der SPD erweckt den Eindruck, die Sozialdemokraten seien bemüht, sich nach dem Ende der Regierungsbeteiligung vom Saulus zum Paulus zu wandeln. Wie bereits gesagt, lehnte die SPD unseren Antrag „Schulobstprogramm der EU in Sachsen umsetzen“ (Drs. 4/ 14458) vom Januar diesen Jahres ab. Das Resultat bekommen wir nun in Form der endgültigen Verweigerung gegenüber dem Schulobstprogramm durch die Staatsregierung präsentiert. Nun hilft es wenig, die zügige Umsetzung des Programms zu fordern, denn das Kind – oder in diesem Fall das Obst – ist bereits in den Brunnen gefallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ihre Politik gleicht einem Autofahrer, der erst mit aller Kraft die Handbremse zieht und dann Vollgas gibt. Aber so funktioniert das nicht, so geht die Karre kaputt! Und wenn Sie schon so einen Antrag machen, dann denken Sie doch das Thema bitte auch bis zum Ende. Ich finde keinen Hinweis auf die Herkunft des Obstes, welches den Schülerinnen und Schülern bereitgestellt werden soll. Zur Unterstützung unserer sächsischen Produzenten ist aber auf die regionale Herkunft der Lebensmittel zu achten. Wenn wir Geld in die Hand nehmen, dann soll es auch den bestmöglichen Effekt erzielen. Nur wenn das Obst und Gemüse aus regionaler Produktion stammt, profitieren neben den Schülerinnen und Schülern auch die sächsischen Landwirte und Obstbaubetriebe. So können wir zwei (Obst)fliegen mit einer Klappe schlagen.
Außerdem hätten Sie ruhig – wo möglich – Bio-Qualität fordern können. Ökologisch erzeugtes Obst und Gemüse ist im Durchschnitt weit weniger mit Pestiziden belastet als konventionell erzeugte Produkte. In einer von der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen (LUA) im Jahr 2006 durchgeführten Stichprobe an Frischobst und Gemüse wurden in 67 Prozent des Obstes und in 39 Prozent des Gemüses Pestizidrückstände gefunden. In 40 Prozent des Frischobstes sowie in 22 Prozent des Frischgemüses wurden zudem Mehrfachrückstände, d.h. Rückstände von zwei und mehr Wirkstoffen aus Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln in einer Probe, nachgewiesen. Die Staatsregierung räumt auf eine Kleine Anfrage (Drs. 4/3903) hin ein, dass gesundheitliche Wechselwirkungen von Mehrfachrückständen denkbar sind.
Aus diesen Gründen haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Ihren Antrag zu Ende gedacht und mit unserem Änderungsantrag vervollständigt. Nun ist die Sache rund und jeder hier im Saal, dem die Gesundheit unserer Kinder tatsächlich am Herzen liegt, kann dies mit seiner Zustimmung kundtun.