PM 2005-204: Hermenau kritisiert „Europapolitische Schwerpunkte“ der Staatsregierung
Die Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag kritisiert die „Europapolitischen Schwerpunkte“ der Staatsregierung.
„Die pauschale Absage an eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union steht im Widerspruch der Position, die die CDU von 1963 bis zum Ende der Ära Kohl innehatte“, erklärte Hermenau. „Die CDU muss erklären, warum sie jetzt die Türkei nicht mehr zu Europa zähle.“
Staatskanzleichef Hermann Winkler hatte das Papier gestern anlässlich seiner Übernahme des Vorsitzes der Europaministerkonferenz der Länder vorgelegt.
Die Grünen-Politikerin befürchtet, dass die Ansicht Winklers, der EU-Beitritt der Türkei würde zu einem Rückfall in nationales Denken führen, sich als eine selbst erfüllende Prophezeiung erweisen könnte. „Eine Versachlichung der Debatte wäre hier hilfreich, aber dazu trägt das Papier leider nicht bei“, so Hermenau. „Herr Winkler blendet aus, dass wir hier über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren reden, bevor überhaupt eine Entscheidung fällt. Und diese Entscheidung fällt dann anhand klarer bestehender wirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Kriterien.“ Der Zeitraum bis zur Entscheidung könne auch länger sein. Währenddessen seien die Beitrittsverhandlungen ergebnisoffen.
Hermenau weiter: „Gerade ein sächsischer Politiker sollte doch wissen, wie viel sich in einem Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren ändern kann.“ Die grüne Fraktionschefin verweist in diesem Zusammenhang auf die Reformen, die die Beitrittsperspektive in der Türkei bereits ermöglicht habe, und auf die guten historischen Erfahrungen mit den Beitritten Portugals, Spaniens und Griechenlands.
Zur Argumentation, dass die EU den Beitritt der Türkei nicht verkraften könne, sagt Antje Hermenau: „Egal, ob mit oder ohne Türkei-Beitritt: Die EU kann ihre Agrar- und Strukturpolitik so, wie sie ist, nicht aufrechterhalten. Hier hätte die Staatsregierung Reformvorschläge machen können.“
Die grüne Fraktionsvorsitzende bedauert, dass die Staatsregierung die sicherheitspolitischen und geostrategischen Chancen, die eine moderne und reformorientierte Türkei in der Europäischen Union böte, nicht sehen will. Bemerkenswert sei, dass Staatsminister Winkler den Anspruch erhebe, Identität und Grenzen Europas zu bestimmen, in seinem Papier aber keinerlei Kriterien dafür benenne. „Hier hat er offenbar seine Hausaufgaben noch nicht gemacht“, meint Hermenau hierzu.
Positiv wertet die Grünen-Politikerin, dass die Staatsregierung zur EU-Verfassung stehe und notfalls deren Kernpunkte im Rahmen eines EU-Vertrages erhalten wolle. „Auch dass die Staatsregierung, sich in die Diskussion um die demografische Entwicklung einbringen will, begrüße ich sehr“, so Hermenau, „auch wenn wir nicht in allen Punkten zu denselben Ergebnissen kommen werden“. Außerdem schließe die grüne Landtagsfraktion sich voll und ganz der Unterstützung der Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec als Kulturhauptstadt Europas 2010 an.