PM 2005-240: Grüne zur Aktuellen Debatte der NPD-Fraktion „EU-Verfassung – gesetzeskonform?“
Rede des Abgeordneten Johannes Lichdi, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
31. Sitzung des Sächsischen Landtages, 06.10.05, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen,
I. Vereinbarkeit des EU-Verfassungsvertrags mit dem Grundgesetz
Die Anhörung im Rechtsausschuss am 26. September hatte ein eindeutiges Ergebnis:
Das deutsche Zustimmungsgesetz zum Verfassungsvertrag der Europäischen Union ist selbstverständlich grundgesetzkonform. Dies war die Meinung aller Staatsrechtslehrer. Allein Prof. Schachtschneider, der sich nicht schämte, sich von der NPD als Sachverständiger benennen zu lassen, war anderer Meinung.
Schachtschneider vertritt die Ansicht, dass das deutsche Zustimmungsgesetz die „existentielle Staatlichkeit“ der Bundesrepublik Deutschlands, wie er es nennt, aufgebe. Das Zustimmungsgesetz verstoße gegen Art. 20 und 79 Abs. 3 des Grundgesetzes. Diese Vorschriften regeln die Verfassung Deutschlands als demokratischer, rechtsstaatlicher und sozialer Bundesstaat.
Von einer Aufgabe der „existentiellen Staatlichkeit“ Deutschlands kann nicht die Rede sein. Diese Argumentation verkennt die historisch bisher einzigartige Idee un Entwicklung einer supranationalen Integration, wie sie die EU seit 60 Jahren verfolgt. Die Mitgliedstaaten lösen sich durch die Integration nicht auf, sondern geben manche Politikbereiche zur gemeinsamen Ausübung auf die europäische Ebene. Zugleich anerkennen sie Akte der EU auch auf ihrem Hoheitsgebiet.
Im Einzelnen:
Erstens: Aus der Tatsache des Abschlusses eines sog. „Verfassungsvertrages“ folgt nicht die Gründung eines europäischen Bundesstaates. Der Verfassungsvertrag ist vielmehr im Kern eine grundsätzliche Zusammenfassung des bisher erreichten Integrationsstandes.
Zweitens: Kompetenzen der Mitgliedstaaten werden grundsätzlich nicht endgültig übertragen, sondern nur deren Ausübung. Auch der Vorrang der Anwendung europäischen Rechts vor mitgliedstaatlichem Recht ist lediglich eine notwendige Spielregel der Funktionsfähigkeit einer supranationalen Integration und kein echter normhierarchischer Vorrang.
Drittens: Das Bundesverfassungsgericht hat im wegweisenden Urteil zum Vertrag von Maastricht festgestellt, dass die Kompetenzen des Bundestages nicht „substantiell entleert“ werden dürften. Zugleich hat es aber die Schaffung einer gemeinsamen Währung nicht für eine solche substantielle Kompetenzentleerung gehalten. Seitdem sind keine wesentlich neuen Befugnisse hinzugekommen – auch nicht durch den Verfassungsvertrag!
Viertens: Nötig ist ein „hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau“ der Ausübung der europäischen Hoheitsakte auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten. Diese Legitimation gewährleisten nach herrschender Lehre die Zustimmungsgesetze der Mitgliedstaaten sowie die Mitwirkung der Regierungen und des Parlaments an der EU-Gesetzgebung.
Fünftens: Die EU hat seit langem Grundrechte aus der europäischen Verfassungstradition abgeleitet und anerkannt. Der Verfassungsvertrag schafft nun einen kodifizierten und verbindlichen Grundrechtskatalog. Trotzdem behält sich das Bundesverfassungsgericht die Kontrolle der Einhaltung der Grundrechte ausdrücklich vor, wenn der Europäische Gerichtshof hier keinen ausreichenden Schutz gewährleisten sollte.
Tatsächlich schafft der Verfassungsvertrag das Fundament einer supranationalen Demokratie:
– Der neue Grundrechtskatalog entspricht dem Stand der Grundrechtsentwicklung in Deutschland und Europa, die EU tritt der Europäischen Menschenrechtskonvention bei
– die sogenannte „dritte Säule“, die Innen- und Rechtspolitik, wird aus der reinen Regierungszusammenarbeit vergemeinschaftet, also auch der Mitwirkung des Europa-Parlaments und der Rechtsprechung des EuGH unterworfen
– der Verfassungsvertrag schafft eine klarere Kompetenzabgrenzung und stärkt das Subsidiaritätsprinzip
II. Notwendige Weiterentwicklung der EU
Aus demokratischer Sicht ist dennoch nicht zu verkennen, dass das Zustimmungsgesetz eben doch eine allgemeine Ermächtigung ist, die nicht absehen lässt, welche Regelungen im Einzelnen im Fortgang der Integration damit legitimiert werden. Die demokratische Legitimation durch Regierungen, mitgliedstaatliche Parlamente und EU-Parlament ist doch sehr mittelbar, ausgedünnt und aus Sicht des Bürgers wenig verständlich und handhabbar. Auch besteht keine volle Abhängigkeit der Kommission vom Vertrauen des EU-Parlaments. Dies und anderes zeigt, dass die demokratische Legitimation der EU unvollkommen ist.
Wir hätten uns eine gesamteuropäische Volksabstimmung über den Verfassungsvertrag gewünscht. Dies hätte einen europaweiten gemeinsamen Diskussionsprozess ermöglicht, der vielleicht unabhängiger von den jeweiligen innenpolitischen Querelen hätte ablaufen können. In dem Prozess hätten die Anfänge einer europäischen Öffentlichkeit gestärkt werden können. Und der Verfassungsvertrag hätte eine unbestreitbare demokratische Legitimation erhalten!
Der Ausweg ist aber nicht die Ablehnung des Vertrags oder die Verweigerung weiterer Integration, sondern das konsequente Fortschreiten des eingeschlagenen Weges zu einer vollen Demokratisierung der Gesetzgebungsrechte der EU.
III. Was die NPD wirklich meint
Die NPD spielt sich hier als Hüter der deutschen Demokratie und des deutschen Sozialstaatsmodells auf. Eine lächerliche und zutiefst verlogene Vorstellung!
Herr Gansel und Herr Richter von der braunen Fraktion haben uns im Mai in einem Anfall von Größenwahn und unter Missbrauch des Namens unserer schönen Stadt Dresden mit einem Grundsatzpapier ihrer sogenannten „Dresdner Schule“ beglückt.
Neben völkisch – rassistischen Versatzstücken und autoritär-faschistischem Gedankenmüll der „Konservativen Revolution“ der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts findet sich dort eine ausdrückliche Kampfansage an das „egalitäre Menschenbild“ und die sogenannte „Menschenrechtslüge“.
Wörtlich: „Objektive Menschenrechte gibt es nicht, vielmehr sind die sog. „Menschenrechte“ ein ideologisches Konstrukt, das im Gefolge der Französischen Revolution … formuliert wurde. Sowohl von ihrem Menschenbild her als auch unter Souveränitätsgesichtspunkten lehnt die Dresdner Schule die Fiktion der sogenannten Menschenrechte vehement ab.“
Hier liegt der Hund begraben! – Die NPD ist gegen den Verfassungsvertrag, weil er ihrem völkisch-rassistischem Denken widerspricht. Ihr Reden von einer „Abstammungsgemeinschaft“ fantasiert eine Ursprünglichkeit und Reinheit des „Volkes“, das es historisch nie gegeben hat und die politisch zwangsläufig zur Unfreiheit und Diktatur führen muss.
Wir lassen es nicht zu, dass Sie sich als Hüter des Grundgesetzes tarnen! – Sie lehnen den Verfassungsvertrag ab, weil er auf den Werten der Aufklärung, der Französischen Revolution und auf den besten sächsischen und deutschen Traditionen gründet – nämlich auf den Werten der Menschenrechte, der Freiheit und der Gleichheit aller Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft – und weil sich die EU im Grundrechte-Katalog genau zu diesen Werten bekennt!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.