PM 2005-263: Grüne Kritik an CDU-Patriotismus-Thesen – Hermenau: „Gemeinsinn ist nötig statt Provinzialismus“
Die Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, Antje Hermenau, kritisiert im Vorfeld des Schwarzenberger Parteitages der sächsischen CDU am kommenden Wochenende die zwölf Thesen zum Patriotismus, die von Ex-Wissenschaftsminister Matthias Rößler und CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer als Antrag vorgelegt wurden. „Die Thesen gehen in mancher Hinsicht an den Problemen im Freistaat vorbei. Sie werden in der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten nichts bringen, und sie deuten politische Weichenstellungen an, die für Sachsen nicht gut sind“, so die Grünen-Politikerin.
Insbesondere angesichts des demografischen Wandels in Sachsen, sei es notwendig, darüber nachzudenken, wie Sachsen auch für Menschen zur Heimat werden könne, die nicht hier geboren worden seien: „Ausgerechnet die sächsische Tradition der Weltoffenheit ignorieren die Verfasser aber in ihren historischen Exkursen.“ Das Patriotismus-Papier enthalte einen so eng gefassten Begriff von Heimat und Identität, dass nicht nur ausländische Bürger sich dadurch ausgegrenzt fühlen müssten, sondern auch Deutsche, die aus anderen Bundesländern stammen, aber inzwischen in Sachsen ein neues Wirkungsfeld gefunden haben. „Georg Milbradt oder Geert Mackenroth müssten sich auf Dauer als Fremde fühlen, wenn sich Rößlers Heimatverständnis durchsetzen würde.“ Die grüne Fraktionschefin vermutet, dass mit den Rößler-Thesen auch die unionsinterne Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westdeutschen „durch die Hintertür“ wiederkehre.
„Wir müssen in Sachsen lernen, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben und produktiv zusammenarbeiten können“, meint Antje Hermenau. Dies sei die entscheidende kulturelle Herausforderung. Die politische Debatte müsse weniger auf die Bestimmung von Identität, sondern auf die gemeinsamen Ziele der in Sachsen lebenden Menschen abzielen. Deshalb gehe das Patriotismus-Papier an den entscheidenden Fragen vorbei: „Viel wichtiger als die Frage, wo wir herkommen, ist die Frage, wo wir hinwollen.“
In diesem Zusammenhang begrüßt Antje Hermenau die Kritik von Friederike de Haas an den Thesen. Die CDU-Landtagsabgeordnete und sächsische Ausländerbeauftragte hatte bemängelt, dass der Schutz der Menschenwürde, die Abkehr von Antisemitismus und Rassismus und die <
Das Papier werde auch der eigenen Feststellung, dass man Patriotismus nicht verordnen könne, nicht gerecht. Dies werde durch die Forderung, dass bereits in der Grundschule die Nationalhymne gelehrt werden müsse, konterkariert. Antje Hermenau bekräftigt ihre Haltung, dass Schüler an nationale Symbole erst in einem Alter herangeführt werden sollten, in dem sie reflektiert damit umgehen können.
Die grüne Fraktionsvorsitzende befürchtet, dass die zwölf Thesen eine unzeitgemäße Debatte auslösen: „Eine offene und demokratische Gesellschaft braucht die Debatte um die Werte der Verfassung. Es ist unverantwortlich, die Bedeutung des Verfassungspatriotismus zu relativieren.“ Antje Hermenau schlägt vor, eine gesellschaftliche Diskussion über den Gemeinsinn unter den Bürgerinnen und Bürgern des demokratischen Staates anzustoßen. „Wer stattdessen Zugehörigkeit durch den Geburtsort bestimmen will, läuft Gefahr, in Heimattümelei und Provinzialismus stecken zu bleiben“, so Hermenau. Hierin liege auch eine Gefahr für die Entwicklungsdynamik in Sachsen.
Außerdem weist das CDU-Patriotismus-Papier nach Antje Hermenaus Ansicht auch in europapolitischer Hinsicht in die falsche Richtung: Die Thesen tragen in verantwortungsloser Weise dazu bei, die deutsch-polnischen Beziehungen zu belasten, indem sie die Forderung nach dem Standort Berlin für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ bekräftigen. „Angesichts der aktuellen Lage ist das verantwortungslos.“ Eine Verschlechterung der Beziehungen zum Nachbarland könne nicht im Interesse Sachsens sein.
Ferner wendet die grüne Fraktionschefin sich gegen die fundamentalistische Ablehnung eines EU-Beitrittes der Türkei: „Wer der Türkei abspricht, zu Europa zu gehören, weil sie angeblich keinen Anteil am antiken Erbe, am Christentum und an der Aufklärung habe, liegt falsch.“ Hier argumentiere das Papier pseudohistorisch. Natürlich sei die moderne Türkei eine aufgeklärte Gesellschaft. Wenn man als Aufklärung nur die Aufklärung des 18. Jahrhunderts gelten lasse, dürfe man auch Griechenland nicht zu Europa zählen. Das antike Erbe der Türkei liege auch vielen deutschen Touristen offen vor Augen. Die Europäische Union sei aber nicht als Christen-Club konzipiert. Hermenau abschließend: „Außerdem sollte die CDU nicht vergessen, dass schon der Apostel Paulus Briefe an die christlichen Epheser, Galater und Kolosser geschrieben hat – und die saßen bekanntlich alle in der heutigen Türkei.“