PM 2008-139: Sächsischer Verfassungsgerichtshof: GRÜNE mit Teilerfolg zum Umgang mit EU-Mitteln
Mit der Informationspflicht der Staatsregierung ist 19 Jahre nach der Wende Augenhöhe zwischen Parlament und Staatsregierung hergestellt
Zum heutigen Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs zur Organklage der GRÜNEN-Fraktion „EU-Fördermittel: Mitspracherechte des Landtags“ gegen die Staatsregierung erklärt die Fraktionschefin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antje Hermenau:
„Das Verfassungsgericht hat heute klargestellt, welche Rechte und Pflichten die Staatsregierung und welche Rechte und Pflichten die Abgeordneten des Landtags bei der Vergabe der EU-Gelder haben:
Die Landtagsabgeordneten haben ein Recht darauf, vollständig und rechtzeitig über die Anmeldung der EU-Programme in Brüssel von der Staatsregierung informiert zu werden.
Es bleibt das alleinige Recht der Staatsregierung, die Formulierung der EU-Fonds vor dem Abschlussbericht vorzunehmen. Hier gibt es keine Mitwirkungsrechte der Parlamentarier. Das Verfassungsgericht hat dies zum Schutz des exekutiven Kernbereiches definiert.“
„Für die demokratische Kultur im Land ist dieses Urteil ein großer Erfolg. Die Staatsregierung kann die EU-Mittel nicht mehr am Parlament vorbei vergeben. Gleichzeitig wächst den Abgeordneten und Fraktionen im Sächsischen Landtag mit dem Informationsrecht eine größere Verantwortung sowohl für die EU-Mittel als auch die Haushaltsberatungen zu.
Die Haushaltsberatungen im Landtag können jetzt an Substanz gewinnen. Kein Abgeordneter kann sich mehr herausreden, er habe nicht gewusst, was die Staatsregierung tue. Damit ist 19 Jahre nach der Wende in der Frage der EU-Gelder endlich Augenhöhe zwischen Parlament und Staatsregierung hergestellt.“
„Den Informationspflichten der Staatsregierung, die das Verfassungsgericht heute klargestellt hat, sind 2006 vor allem die damaligen Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, Stanislaw Tillich, und für Wirtschaft und Arbeit, Thomas Jurk, nicht nachgekommen.“
„Vom designierten Ministerpräsidenten Tillich, der einen neuen Stil versprochen hat, und der SPD erwarten wir künftig als Selbstverständlichkeit die vollständige und rechtzeitige Information über die EU-Programme und über die geplanten Veränderungen während der Förderperiode, um unser Budgetrecht bei den Haushaltsberatungen voll wahrnehmen zu können.“
2006 hatte die Staatsregierung parallel zu den Haushaltsberatungen des Parlaments die Formulierung der EU-Programme vorgenommen. Die Fraktionen erhielten weder sukzessive noch zum Abschluss vor der Anmeldung in Brüssel eine vollständige und umfassende Information. Damit ist die Staatsregierung ihrer Pflicht nicht nachgekommen, den Abgeordneten hinreichend Zeit und Gelegenheit für eine fundierte politische Willensbildung zu geben, die sich in konkreten Beschlüssen zum Doppelhaushalt hätte wieder finden können. Somit hat die Staatsregierung gegen die Verfassung verstoßen.
„Das muss der Staatsregierung klar gewesen sein, denn die Koalitionsfraktionen brachten im Oktober 2006 noch einen Antrag auf Information ein, um diesen Fehler wenigstens optisch zu kaschieren. Dieser, sehr offensichtlichen, politischen Mauschelei hat das Verfassungsgericht klar einen Riegel vorgeschoben.
Warum das Linke und SPD in den gemeinsamen Oppositionsjahren bis 2004 nicht eingeklagt haben, ist mir unverständlich.“
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte während der damaligen Beratungen versucht, durch Beschlussfassung über die Anmeldung der Programme die politische Notbremse zu ziehen. Dem hat das Verfassungsgericht eine Absage erteilt, weil dies in die Kernkompetenz der Regierung eingreifen würde. „Durch die vollständige und rechtzeitige Information des Parlaments sind solche ‚politischen Notbremsen‘ nicht mehr erforderlich.“
Mit der zwingenden Vorlage eines Abschlussberichts der EU-Programme vor der Anmeldung in Brüssel im Parlament, muss sich die Staatsregierung in Zukunft allerdings einer ausführlichen politischen Debatte im Parlament stellen.
„Vertritt der Landtag in seiner Mehrheit eine andere Meinung, muss die Staatsregierung vor der Bevölkerung rechtfertigen, warum sie diese nicht bei der Anmeldung in Brüssel berücksichtigt.
Das schafft mehr Raum für Bürgerbeteiligung und Demokratie in Sachsen.“
„Das Parlament kann außerdem in den Haushaltsberatungen durch die notwendige Kofinanzierung oder deren Verweigerung andere Weichenstellungen vornehmen. Es sind jederzeit Veränderungen der Anmeldungen in Brüssel möglich, wenn das Parlament sie im Haushalt beschließt.“