Datum: 10. Juli 2009

PM 2009-160: Zur Trauerfeier für Marwa El-Sherbini am 11. Juli in Dresden

Anlässlich der Trauerfeier für Marwa El-Sherbini am 11. Juli 2009 in Dresden erklären Antje Hermenau, Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, Elke Herrmann, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion und Eva Jähnigen, Landesvorstandssprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen:
„Wir sind tief betroffen angesichts des Mordes an Marwa El-Sherbini. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie, insbesondere ihrem verletzten Mann und ihrem dreijährigen Sohn, die die Tat im Dresdner Landgericht miterleben mussten.
Wir verurteilen die abscheuliche Gewalttat, der sie zum Opfer fiel. Es ist offensichtlich, dass dieses Verbrechen fremdenfeindlich und islamfeindlich motiviert war. Der Täter beleidigte und tötete Marwa El-Sherbini, weil sie sich als Muslima sichtbar zu ihrem Glauben bekannte.
Diese Tat verstößt gegen Prinzipien, die wir als unumstößlich erachten: gegen die Grundsätze der Menschenwürde aller und der Religionsfreiheit. Dieser Mord ist ein Angriff auf die Werte, auf denen jedes demokratische Gemeinwesen basiert.
Der Gedanke, dass Menschen, die unter uns leben, sich heute fürchten, aufgrund ihrer Herkunft und ihres Glaubens angegriffen zu werden, ist für uns unerträglich.
Wir stellen fest, dass in unserer Gesellschaft unter dem Deckmantel einer angeblichen „Islamkritik“ extreme islamfeindliche Positionen geäußert werden. Die oft heftige Propaganda gegen eine angebliche „Islamisierung“ unserer Gesellschaft befördert Ressentiments, die sich zu offenen Hass steigern können. Diese Propaganda darf nicht unwidersprochen bleiben.
Wir fordern die Menschen in Dresden und in Sachsen auf, immer zu protestieren, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft beleidigt werden und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu schützen. Wir brauchen ein solidarisches Miteinander. Es kann nicht sein, dass wir Menschen nicht als Teil unserer Gesellschaft ansehen, nur weil sie aus einem anderen Land kommen oder weil sie einer bestimmten Religion angehören. Nein, außerhalb unserer Wertegemeinschaft stehen nur diejenigen, die das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft in Frage stellen!
Angesichts der Tatsache, dass ein so schreckliches Verbrechen in unserer Stadt, in unserem Land überhaupt möglich war, fällt es uns schwer, die Muslime in Deutschland und in der Welt – insbesondere aber in der ägyptischen Heimat Marwa El-Sherbinis – zu bitten, nicht in Zorn gegen unser Land zu verfallen. Der Täter steht nicht für die Mehrheit in unserem Land – aber wir müssen uns alle fragen lassen, ob wir Rassismus und Islamfeindlichkeit nicht zu gleichgültig gegenüberstehen.
Wir möchten gegenüber den Muslimen, die mit uns in dieser Stadt und in diesem Land leben, die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die Bedrohungen und die Angst vor Anfeindungen nicht obsiegen. Wir hoffen, dass Sie hier auch in Zukunft Perspektiven für Ihr Leben sehen.
Das Eintreten für Toleranz und Respekt ist eine Aufgabe, die sich der Politik, aber auch für die Menschen im Alltag immer wieder stellt. Wir wollen beharrlich versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Wir fordern die rückhaltlose Aufklärung der Hintergründe der abscheulichen Bluttat und eine konsequente Bestrafung des Täters. Wir erachten es für unabdingbar, dass die Umstände der Tat aufgeklärt werden. Denn diese Tat wirft Fragen auf. Wie konnte es dazu kommen, dass ein offensichtlich aggressiv islamfeindlich eingestellter Mann während eines Verfahrens, in dem es gerade um islamfeindliche und fremdenfeindliche Äußerungen ging, auf solch brutale Art und Weise dieses Verbrechen begehen konnte? Wir können dazu keine schnellen vollständigen Antworten geben, aber wir fordern, dass die offenen Fragen sorgfältig erörtert werden. Die Justiz muss künftig angemessen auf die Gefahr, die von rassistisch und islamfeindlich eingestellten Personen ausgeht, reagieren können.
Es ist unerträglich, dass Marwa El-Sherbini in einem Gerichtssaal starb, nachdem sie sich an den Rechtsstaat gewandt hatte, um ihr Recht geltend machen zu können. Diese Tatsache dürfen wir nicht einfach hinnehmen! Der Rechtsstaat muss wieder Vertrauen gewinnen und deutlich machen, dass seine Grundsätze weiterhin für alle gelten und dass auch Muslime ihre Rechte in Anspruch nehmen können, ohne gefährdet zu werden. Wir sind überzeugt, dass der demokratische Rechtsstaat der Rahmen für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen sein kann. Das wird aber nur möglich sein, wenn seine Grundlagen – notfalls mit aller gebotenen Härte – gegen rassistische und islamfeindliche Tendenzen verteidigt werden.
Der Mord an Marwa El-Sherbini hat weltweite Reaktionen ausgelöst. Die Dresdner Öffentlichkeit aber hat lange gebraucht, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden. Wahrscheinlich zu lange! Wir selbst nehmen uns von dieser Feststellung nicht aus. Wir unterstützen die Trauerfeier für Marwa El-Sherbini am 11. Juli in Dresden und hoffen, dass von ihr ein Zeichen für ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt und in unserem Land ausgeht. Wir dürfen danach nicht wieder in Sprachlosigkeit verfallen.
Wir bitten die Dresdnerinnen und Dresdner, jeglicher Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion in dieser Stadt entschieden entgegenzutreten.
Das sind wir unserer ermordeten Mitbürgerin Marwa El-Sherbini schuldig.“