Datum: 16. Dezember 2010

Antje Hermenau: Was wir ändern müssen, um gut leben zu können

Erschienen in der Sächsischen Zeitung, 15.12.2010 …
Herr Professor Biedenkopf würdigt den Staatshaushalt als das Schicksalsbuch eines Landes. Ihm sind drei Grundsätze für gutes Regieren besonders wichtig: Ohne neue Schulden zu wirtschaften, zukunftsfähige Schwerpunkte zu setzen und treuhänderisch verantwortlich mit den Staatsgütern für die kommenden Generationen umzugehen.
Nun, können das die Bürgerinnen und Bürger vom sächsischen Doppelhaushalt 2011/2012 erwarten?
Biedenkopfs politischer Leitsatz, dass wir nicht über unsere Verhältnisse leben dürfen, ist unbestritten. Auch der letzte Bürger hat in dieser anhaltenden Staatsschuldenkrise begriffen, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt. Aber nicht die Menschen haben zuallererst über ihre Verhältnisse gelebt, sondern der Staat – und zwar erheblich.
Es ist deshalb auch die Aufgabe der Politik, diese Staatsverschuldung wieder zu senken – allerdings nicht gnadenlos auf Kosten der Benachteiligten und der zukünftigen Generationen. Genau das geschieht aber. Dieser Doppelhaushalt ist eine seelenlose, leere Hülle. „Ein Dogma“ sei der Verzicht auf neue Schulden, so FDP-Chef Holger Zastrow.
Wer einem Dogma folgen kann, muss nicht mehr selber denken.
Doch ein Haushalt ohne Neuverschuldung bedeutet per se noch keine politische Leistung. Es ist im Gegenteil nicht ohne Chuzpe, den Verzicht auf neue Schulden trotz sinkender Einnahmen laut zu deklamieren und sich andererseits einen Blankoscheck für knapp 1,8 Milliarden Euro für die Neuverschuldung zur Bedienung der Bürgschaft für den Verkauf der Sachsen-LB vom Parlament ausstellen zu lassen. Die alte Mär, nur die CDU könne mit Geld umgehen, zieht nicht mehr. Dafür hat die sächsische Union inzwischen mit dem Landesbankdesaster auch zu viel auf dem Kerbholz. Es wäre sehr leicht gewesen, eine breite Mehrheit im Sächsischen Landtag für einen Haushalt ohne Neuverschuldung zu bilden. Denn außer der Linken hat keine demokratische Fraktion damit geliebäugelt.
Die niedrige Pro-Kopf-Verschuldung Sachsens, ihr jährliches Konstanthalten durch Tilgungen sowie der Generationenfonds – all das sind Instrumente einer guten Haushaltsführung, die auch von anderen Parteien anerkannt werden.
Aber was sagt uns das über Sachsens Zukunft? Wenig, denn wir leben inzwischen in einer völlig anderen Situation! Wachstumspotenziale haben sich nach Asien und Lateinamerika verlagert, die Naturzerstörung hat die Verträglichkeitsgrenze überschritten, das Wirtschafts- und Sozialmodell des 20. Jahrhunderts ist an seine Grenzen gestoßen, unsere europäische
Wirtschafts- und Währungsunion steht vor erheblichen Bewährungsproben, die demografische Entwicklung stellt den Staat vor völlig neue Aufgaben in der Daseinsvorsorge und der Produktivitätsentwicklung. Wir stehen vor wirklichen Existenz- und Sinnfragen und bekommen keine Antworten. Die Ratlosigkeit der CDU ist mit Händen zu greifen.
Neue Prioritäten notwendig
In unserer Situation kommt es auf eine grundsätzliche Neubesinnung an, auf eine durchdachte und gut vermittelte Prioritätensetzung – all das liefert dieser Haushalt nicht. Er hat keine innere Qualität, keine aufeinander abgestimmten Ziele, er setzt nur auf das äußere Erscheinungsbild. Dieser Haushalt ist vieles, aber sicherlich nicht ausgewogen.
Wer im Jahr 2020 auf eigenen Füßen stehen will, muss sehr genau abwägen, wofür er jeden einzelnen Euro, von denen immer weniger zur Verfügung stehen, ausgibt. Doch Effizienzkontrollen bei den vom Freistaat mitfinanzierten Programmen von Bund und EU gibt es kaum. Dem geschenkten Gaul schaut keiner ins Maul. Sich auf die Förderprogramme, die viel bewirken und viele private Investitionen anregen, zu konzentrieren, und die anderen einfach nicht mehr anzunehmen, ist die Sache der Regierung nicht. Sie denkt viel zu wenig in volkswirtschaftlichen Kategorien, ihr fehlen die Gesellschaftsingenieure. Der Haushalt spiegelt dieses Dilemma wider.
Dabei geht es auch anders. Die Grüne-Fraktion hätte in den kommenden zwei Jahren über eine Milliarde Euro anders ausgegeben – natürlich ohne einen einzigen Cent Neuverschuldung.
Wir haben vorgeschlagen, bestehende Probleme anzupacken und wichtige Grundbedürfnisse für alle Bevölkerungsschichten zu sichern: Mobilität, Kultur und eine intakte Natur, Nebenkosten beim Wohnen und der Bildungserwerb müssen auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich bleiben. Im Schulhausbau schieben wir in Sachsen einen Investitionsstau von zwei Milliarden Euro von uns her. Mittel von 100 Millionen Euro jährlich hätten sich für diesen Bereich aufbringen lassen. Die fachlich notwendige Verbesserung des Personalschlüssels in den Kitas bleibt weitere zwei Jahre auf der Strecke.
Und mit einem 40-Millionen-Euro-Förderprogramm für die energetische Sanierung von Mietwohnungen im Altbau könnte der stagnierende Anteil der sanierten Altbauten erhöht und die Mietnebenkosten der Bewohner gesenkt werden. Das Programm würde den Vermietern helfen, dem Bauhandwerk Aufträge verschaffen und Energie sparen, wäre also ein Beitrag zum Klimaschutz. Doch von solchen Signalen für die Zukunft keine Spur!
Aufbauarbeit wird zerstört
Stattdessen bekommt die gewachsene soziale Struktur im Lande, die oft von Selbstausbeutung und Ehrenamt lebt, derzeit zu spüren, dass die Sozialpolitik in Regierung und Koalition keine Lobby hat. Hier wird die Aufbauarbeit der CDU unter Biedenkopfs Sozialminister Hans Geisler handstreichartig zerstört. Ein Bruchteil der Reserven im Finanzministerium hätte gereicht, um einen geordneten Umgang mit dauerhaften Finanzierungsfragen im Jugend- und Sozialbereich und in der Kultur zu sichern.
Aber „irgendwo“ musste wohl am Ende gekürzt werden, nachdem die Regierung mit einer Finanzierungslücke von 1,7 Milliarden Euro, der innerhalb eines Jahres auf deutlich unter eine Milliarde schrumpfte, in die Debatte gegangen war. Diese unnötigen Grausamkeiten haben viele Bürgerinnen und Bürger erkennbar verstört. Der Zusammenhalt der Gesellschaft, die Notwendigkeit einer vernünftigen Sozial-, Bildungs- und Kulturpolitik, sind in schwierigen Zeiten notwendiger denn je. Wenn der Haushalt, wie Biedenkopf betont, das Schicksalsbuch der Sachsen ist, dann hätte der Umgang mit der Bevölkerung ein anderer sein müssen.
Parlamentarische Mehrheiten allein reichen nicht mehr, um die Demokratie überzeugend zu gestalten. Es sind gesellschaftliche Mehrheiten nötig, um unsere Existenzfragen erfolgreich anzupacken.
Aber viele, die auf staatliches Geld angewiesen sind bzw. denen es sogar zusteht, werden offenkundig von der Staatsregierung vereinzelt und eingeschüchtert. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich mit zu wenigen Mitteln abspeisen lassen. Die Kirchen sind leiser geworden.
Etwa, weil sie ihre Schulen retten konnten?
Die vielen Engagierten in der Jugend- und Sozialarbeit müssen sich von politischen Jungschnöseln respektlose Sprüche anhören. Herr Biedenkopf blendet diesen Bereich völlig aus – als ob der gesellschaftliche Zusammenhalt für die Zukunft einer Gesellschaft nicht zu den Schwerpunkten der Politik gehören müsse. Mit einer solchen Politik macht man genauso viel Vertrauen kaputt wie mit einer unsoliden Haushaltspolitik.
Überhaupt: Vertrauen. Herr Biedenkopf springt in seiner Analyse viel zu kurz, wenn er meint, allein ein Haushalt, der ohne neue Schulden auskäme, schaffe ausreichend Vertrauen. Das „ob“ ist ja längst entschieden. Das „wie“ wird nicht vertrauensbildend angepackt. Viele Bürger machen sich Gedanken über die nächsten Jahre – ihre Kreativität wird von CDU und FDP wohl eher als Bedrohung empfunden. Statt mit ihnen in Dialog zu treten, werden die Akteure vor den Kopf gestoßen und nicht auf Augenhöhe behandelt.
Wir werden schlecht regiert. Und im Schicksalsbuch Haushalt für die nächsten zwei Jahre ist das auch nachzulesen.